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Luke Stoker (Erzbischof von Reims), Matthias Klink (Karl von Valois, König von Frankreich), Oliver Zwarg (Gilles de Rais, genannt »Blaubart«), Natalie Karl* (Johanna), Chor der Oper Köln. Foto: © Paul Leclaire
Luke Stoker (Erzbischof von Reims), Matthias Klink (Karl von Valois, König von Frankreich), Oliver Zwarg (Gilles de Rais, genannt »Blaubart«), Natalie Karl* (Johanna), Chor der Oper Köln. Foto: © Paul Leclaire
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Machtmissbrauch und bunter Kinderbilderbogen – Kölner Erstaufführung von Walter Braunfels’ „Jeanne d'Arc“

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In der Messehalle Staatenhaus, wo sich die Oper derzeit interimistisch eingerichtet hat, erfolgte die späte Kölner Erstaufführung jenes Komponisten, der hier kurz vor der Machtergreifung der Nazis und im Nachkriegsdeutschland die Hochschule für Musik geleitet hat. Der von Hitler geschätzte, für eine NS-Hymne vorgesehene jüdische Walter Braunfels (1882-1954) überlebte bei Überlingen am Bodensee den Terror in der inneren Emigration. Hier komponierte er seine letzte Oper „Jeanne d’Arc – Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna“. Ohne Aussicht darauf, sie irgendwann noch hören oder auf der Bühne erleben zu können, versuchte der Komponist mit seinem mystisch-katholischen Bekenntniswerk Wagners „Parsifal“ zu überbieten.

Die Stationen der drei Akte hatte Braunfels als sein eigener Librettist mit den Begriffen „Berufung“, „Triumph“ und „Leiden“ überschrieben und damit offenbar auch die traurige Entwicklung seiner eigenen Karriere parallelisiert. Als Text-Quelle nennt Braunfels die „Prozessakten von 1431“, aber zu seinen uneingestandenen Vorlagen gehört auch George Bernard Shaws dramatische Chronik „Die Heilige Johanna“.

Durch die Kölner Inszenierung von Tatjana Gürbaca – erst die zweite szenische Realisierung seit der durch das Schlingensief-Kollektiv an der Deutschen Oper Berlin im Jahre 2008 – fließt Einiges von Shaws Ironie mit ein in die überaus lebendige, farbenfreudige Realisierung. Bühnenbildner Stefan Heyne hat einen wie vom Tsunami verwüsteten Kinderspielplatz als dreidimensionale, bunte Spiellandschaft von der Zuschauertribüne bis an die Decke der Halle gezogen. Ein Steg vom Auditorium bis in die halbe Bühnenhöhe durchteilt das Orchester, dessen tiefe Streicher, Blechbläser und Schlagzeuger den Schlag des Dirigenten von Monitoren abnehmen müssen.

Johannas Heiligen-Erscheinungen sind die Personen ihrer Umwelt, zwei hibbelig-alberne Mädchen ihrer Altersstufe als heilige Katharina (Justyna Samborska) und Margarete (Judith Thielsen); der heilige Michael ist gesplittet in ein Trimmfahrrad fahrendes, später auf einem zertrümmerten Flügel Klavier spielendes Kind und dem gleich gewandeten, zunächst pappflügelbestückten Sänger des Erzengels (Ferdinand von Bothmer). Der menschenscheue König von Frankreich (Matthias Klink) vegetiert in einem zerborstenen Boot im Schlafanzug; erst durch Johannas Bestätigung seiner königlichen Herkunft wächst er an ihrer Seite zu einem eitel-dummen Popanz. Der kirchliche Ankläger Bischof Cauchon (Martin Koch) massiert sich die lilafarbig trikotierten Füße. Wiederholt zu lebenden Bildern erstarrend oder in Zeitlupe die Arme schwenkend, agiert der von Andrew Ollivant einstudierte Chor und Extrachor. Im Finale des dritten Aktes hat Kostümbildnerin Silke Willrett die Choristen mit schwarzen Schnäbeln und Krallen als Vögel gewandet – damit schlägt die Aufführung den Bogen zu Braunfels’ beliebtester Oper „Die Vögel“.

Im Gegensatz zu Christoph Schlingensiefs verfremdender Abstraktion bemüht sich Gürbacas Inszenierung um eine lineare, heutige Nacherzählung. Da liegt es nahe, dass die Ministrantinnen anzahlmäßig mehr aus Mädchen als aus Knaben des Kölner Domchores bestehen. Statt mit Ketten wird Johanna mit dem Kabel eines Mikrofons gefesselt, in welches zuvor der Vikar-Inquisitor (Dennis Wilgenhof, der auch Johanns Vater imposant verkörpert) seine Anklage gesprochen hat.

Zu den eindrucksvollsten sängerdarstellerischen Leistungen in dieser Inszenierung zählen der textintensive Bjarni Thor Kristinsson als ein weitsichtiger Gegenspieler Johannas: der narrenhaft die Wahrheit verkündende, nihilistisch-pragmatische Herzog de la Trémouille äußert u. a.: „Aus allen Löchern schlüpft es nun, was arm war, was erniedrigt tief nach tausendjähr’gem Reich sich sehnt“. Neben ihm verleiht John Heuzenroeder dem Herzog von Alençon, einem weiteren adeligen Spötter, Profil. Christian Miedl verkörpert den Johanna für seine eigene Politik benutzende Ritter Baudricourt.

Stimmgewaltig und vielfarbig gestaltet Oliver Zwarg den jungen Gilles de Rais, der Johanna fördert, aber nach deren Scheitern konstatiert: „Satan hat gesiegt!“, und sich mit Benzin aus einem Kanister überschüttet. Plastisch verdeutlicht der Bassist die von Johanna prognostizierte Wandlung des Guten, „Blaubart" genannten Wohlhabenden zu jenem Satanisten, der nach Johanns Ableben hunderte von Kindern missbrauchen und ermorden sollte.

Eine Besonderheit der Premiere entstand ungeplant: Natalie Karl, die Sängerdarstellerin der Titelpartie, brach sich in der Generalprobe den Fuß. Ihren Gesangspart übernahm Juliane Banse. Eng am Steg der Spielfläche, neben den Holzbläsern sitzend, gestaltete sie die anspruchsvolle Sopranpartie der Johanna mit hoher Stimmkultur, anrührend und wunderschön. Den szenischen Part übernahm die jugendlich schlanke Regisseurin selbst – ohne dabei die Lippen zu bewegen; dies steigerte durchaus die Wirkung, denn es evozierte, die Stimme bräche ungewollt aus der hypersensiblen Heldin hervor.

Lothar Zagrosek, der die Ersteinspielung von Braunfels’ „Die Vögel“ in der Decca-Reihe „Entartete Musik“ eingespielt und damit die Renaissance dieser Oper eingeleitet hatte, leitete die vor, hinter und neben ihm, auch im Auditorium, agierenden und singenden Solisten, wie auch das trotz räumlicher Zweiteilung präzise Gürzenich-Orchester Köln mit trefflicher Sicherheit. Zagroseks Lesart der Partitur ist ungewohnt breit und offenbart einigen vordem nicht gehörten Tiefgang. Das mag damit zusammenhängen, dass sich Zagrosek unlängst als ein bei den Regensburger Domspatzen brutal misshandelter Zögling geoutet hat. Die „brutale Gewalt“, dort im Internat an der Tagesordnung, habe viele seiner Mitschüler gebrochen; die Kehrseite für ihn habe aber in der intensiven Pflege der Musik bestanden, und die Möglichkeit, den ersten Knaben in der „Zauberflöte“ bei den Salzburger Festspielen zu verkörpern, habe ihm seine Lebensperspektive eröffnet.

Folgen von Machtmissbrauch bestimmen in der Kölner Inszenierung Bildfindung (der einsame König erwürgt eine Ratte, Gilles de Rais eine weiße Taube und drangsaliert das Knabendouble des heiligen Michael) und Klangwelt: in Lothar Zagroseks Lesart der Braunfels-Partitur wird die Ambivalenz der katholischen Kirche und ihrer Machinationen geradezu plastisch hörbar.

  • Weitere Aufführungen: 17., 19., 21. 24., 26., 28. Februar, 6. März 2015.

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