Hauptbild
Foto: H. Dietz Fotografie
Foto: H. Dietz Fotografie
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Männer-Marionetten und Frauen-Puppen – „Der fliegende Holländer“ am Theater Hof

Publikationsdatum
Body

Intendant Reinhardt Friese macht aus seiner Skepsis gegenüber Richard Wagner kein Hehl und für den Chefdirigenten Walter E. Gugerbauer ist es eines der ersten Großprojekte am Theater Hof, das auch beim Gastspiel im Rosenthal Theater Selb einen beträchtlichen Aufwand betreibt: Das gesamte Ballett ist dabei. Seit Jahren erarbeitet sich das Haus im Musiktheater eine gekonnte und geschickte Repertoire-Erweiterung, die im Frühjahr zu einem neuen Höhepunkt ansetzt: Da gelangt Aribert Reimanns frühe Oper „Ein Traumspiel“ zur Premiere Aufführung.

Zuerst klingen die Hofer Symphoniker weniger stürmisch als homogen, dann im zweiten Alt bei der zentralen Begegnung des erlösungsgierig über die Weltmeere schippernden Holländers und der norwegischen Kapitänstochter Senta eine kleine Spur zu harmlos. Erst im dritten Akt kommt das in die richtige dramatische Balance. Dann, wenn die Frauen des Balletts wie schon zu Sentas Ballade als funktionale Puppen und die Männer an Marionettenfäden automatisch und freudlos vorführen, wie Geschlechter in dieser starren Welt funktionieren müssen. Kein Wunder, dass Senta letztlich weder den bleichen Mann vom Meer noch den Jäger Erik will. Aus ist das Traumgespinst, bei dem das Bild des Holländers mehr Bedeutung bis zum Ende hat als die „realen“ Begegnungen: Senta geht am Ende einfach hinaus und lässt alles hinter sich. Findet sie ihren Weg? 

Von der ersten Sekunde an ist Senta auf der Bühne – als kindliche Beobachterin (die Schauspielerin Susanna Mucha) und erst mit Beginn des zweiten Aktes die Sängerin. Sie beobachtet den Heiratsschacher ihres Vaters Daland und des fliegenden Holländer. Mit wenigen symbolkräftigen Accessoires wie Spinnrad, Schiff, Globus und Kruzifix wird der Tagtraum zum Traumspiel einer höheren Tochter zwischen Biedermeier und Gründerzeit. Ohne allzu bedrohliche Alptraum-Schärfe: Annette Mahlendorf entfesselt dafür neben blau-weißen Lichtspielen einen satten Kostümzauber. Daland wird da zum herzlosen „Geldbürger“ wie eine Romanfigur von Charles Dickens. Hier umspielt den Holländer ein Hauch vom Fluch der Karibik. Erik dann, der ein totes Reh schultert, und die düstere Mary geistern heran wie victorinanische Lemuren bei Robert Wilson. Es ist klar, in diesem Ambiente ist Senta mindestens ebenso erlösungsbedürftig wie das Objekt ihrer Jungfrauensehnsucht und Leidenschaft. Reinhardt Friese hat das mit den Solisten klar und sinnfällig entwickelt.

Der große leidenschaftliche Ton kommt aber an diesem Abend nicht so ganz auf. Das liegt zum überwiegenden Teil daran, dass die Hofer Symphoniker auf der Hinterbühne sitzen müssen, weil die vorgesehene Personenstärke sich nicht in den Selber Orchestergraben pressen lässt. Aber auch daran, dass sich Walter E. Gugerbauer nicht dafür entscheiden kann, ob er das Werk aus dem Ungestüm der Urfassung oder aus dem Farbreichtum des späteren Wagner erschließen will. Es gibt den Erlösungsschluss also schon am Ende der Ouvertüre, die drei Akte sind geteilt und da fällt auf, wie man sich eigentlich an die Spannnungsattacken der pausenlosen Fassung gewöhnt hat. Dabei siegt James Tolksdorf als Holländer glattweg über den mehr knarzigen als eleganten Strategen Daland von Rainer Mesecke. James Tolksdorf gestaltet den Part höchst eindrucksvoll auf Basis der Deklamation, konditioniert, mit starkem Ton und Reserven noch immer nach den langen Fortissimi. Liine Carlson gibt die Senta mit ungewohnt dunkler Timbrierung. Das nimmt etwas Erlösungsattacke aus dem Part und, wahrscheinlich liegt das an den Begleitumständen des Gastspiels, hat nicht ganz die erwartete Binnenspannung. Alexander Geller gehört zu den wichtigen jungen Wagner-Nachwuchsstimmen, die sich an kleineren Häusern in die größere Kondition bringen. Hier besteht einmal wirklich der Kontrast zwischen einem volltönig lyrisch ausfahrenden Erik und dem fein, dabei an jeder Stelle über dem Orchester schwebenden Minseok Kim.

Hinter der Marionetten-Choreografie Barbara Busers leisteten Hsin-Chien Fröhlich und Claudio Novati bei der Choreinstudierung Außerordentliches. Die mit nur zehn Frauen- und siebzehn Männerstimmen besetzte Formation klingt bemerkenswert homogen und rund. Einwände gegen diese kleine Besetzung verflüchtigen sich im Nu. Hier bricht sich jenes Ungestüm aus Wagners Frühwerk Bahn, das man sich von den Musikern gewünscht hätte. Mit Spannung, Sturm und Drang, die die Erregungskurve von Sentas Traum rasant in die Höhe schnellen lassen. Daran kann auch die mit großem Ton und leicht sadistisch-gruftige Amme Mary von Stefanie Rhaue zum Glück gar nichts ausrichten. Und unbedingt erfreulich ist der Enthusiasmus des Publikums, das seinem Theater Hof in herzlicher Liebe zugetan ist und sich wieder einmal an einer sehr geschlossenen, keineswegs selbstverständlichen Ensembleleistung erfreuen kann.


DER FLIEGENDE HOLLÄNDER – Theater Hof
Alternative Besetzung: Liine Carlson (Senta)
Termine: 30.09., 01.10., 11.10., 13.10., 21.10., 22.10., 19.11. im Theater Hof – 18.10. in Bad Kissingen

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!