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Biedermeier Blümnchentapeten und aufwändige historisch anmutende Kostüme. Das Ensemble steht zu einem Stillleben zusammen.

Inga Lisa Lehr (Rosa), Annina Olivia Battaglia (Röschen), Minseok Kim (Reinhold) und Chor der angenehm leichten Humperdinck-Inszenierung in Hof. Foto: H. Dietz Fotografie

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Märchen-Degustation mit Stil und Freude: Humperdincks „Dornröschen“ am Theater Hof

Vorspann / Teaser

Die Aufführungsgeschichte von Engelbert Humperdincks zwischen Oper und Schauspiel unentschlossenem Märchentheater „Dornröschen“ (1902) bekommt langsam, aber sicher Zuwachs. Am Theater Hof lieferten Tamara Heimbrock und Jeannine Cleemen einen leichtgewichtigen szenischen Rahmen in eigener Dialogbearbeitung. Diese beschädigt das Märchen nicht und beschert allen Generationen eine zugängliche Theaterfreude. Das Musiktheater-Ensemble und die Hofer Symphoniker agieren hörens- und liebenswert. 

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Die Jahrhundertwende um 1900 war gierig nach theatralen Raumfahrten – egal ob im Weihnachtsmärchenklassiker „Peterchens Mondfahrt“ oder in Paul Linckes Operettenposse „Frau Luna“. Sogar in Engelbert Humperdincks Märchenoper „Dornröschen“ reist Prinz Reinhold zu Sonne und Mond, um an die zur Erweckung der schlafenden Königstochter nötigen Ringe zu kommen. Dieses 1902 an der Oper in Frankfurt am Main uraufgeführte Opus entstand auf halber Zeitstrecke zwischen Humperdincks Evergreen „Hänsel und Gretel“ und der Endfassung seiner wirklich wertvollen „Königskinder“. Aber „Dornröschen“ wirkt trotz Poesie und berückend schwebender Musik etwas kurios. Die Dichtung von Elisabeth Ebeling und Bertha Lehrmann-Filhés komponierte der auch im echten Leben als harmoniesüchtig geltende Meister der nachwagnerschen Märchenoper nur, weil er sich für einen Aufenthalt in der Ebelingschen Villa am Wannsee zum Dank verpflichtet fühlte. Seit der Einspielung des Münchner Rundfunkorchesters unter Ulf Schirmer kehrt das formal komplizierte Stück langsam auf die Bühnen zurück – am Theater Vorpommern, in Hildesheim und jetzt in Hof.

...soll’s rote Rosen regnen...

Alles dreht sich im Rosenland unter König Ringold und Königin Ansgart um Rosen – auch die Rosenkrone und sogar Röschen, der Name der Thronfolgerin. Bekanntermaßen führt das Märchen mit den vielen guten und dem einen bösen Feenwunsch geradlinig zum Unfall der adoleszenten Prinzessin mit der Spindel und zum 100-Jahre-Schlaf des gesamten Hofstaats. Wie später Walt Disney in seinem Trickfilm ergänzten Ebeling und Lehrmann-Filhès die Erweckung Dornröschens um eine ganze Abenteuerkette des Prinzen. In Frankreich hätte man diese offene Stückform mit zahlreichen kleineren Solonummern, vielen für Tanz wie Bühnenzaubereien nutzbaren Orchestermusiken und ausgedehnten Sprechdialogen als Féerie bezeichnet – ähnlich wie Offenbachs hypertrophen „Le roi Carotte“ oder Massenets schauprächtige „Cendrillon“. Die „Dornröschen“-Musik – von den Hofer Symphonikern kantabel und mit nobler Feinheit gespielt – ist sanft und zurückhaltend wie keine andere Partitur Humperdincks. Man schwelgt in Streichermelodien, beglückenden Holzbläserpassagen und choralartig milden Einsätzen des Blechs. Also nützt Michael Falk am Pult wirklich jede sich bietende Gelegenheit zum Auftrumpfen ins Fortissimo und federt dann schnell wieder ins Kultivierte ab.

Tamara Heimbrock für das Spiel und Jeannine Cleemen in der Ausstattung nehmen das von den Autorinnen metaphorisch und esoterisch aufgeblähte Märchen mit leichter Hand. Das ist gut, weil sie damit auch Humperdincks schöne, aber wenig dramatische Musik in den Vordergrund holen, diese nicht als bremsendes Beiwerk betrachten und zugleich ein bisschen Aktualisierung betreiben. Röschens Hofstaat in pulverzuckerigem Weiß und Prinz Reinholds schwarze Ahnengalerie sind beide so drückend, dass das nach harter Prüfungskette zusammenkommende Paar vom wilhelminisch-biedermeierlichen Märchenland ganz rasch an den Beginn des 21. Jahrhunderts flüchtet. Im Bühnenbild stecken – schlank gezeichnet – Uhrenrad und Zahnräder als Zeichen für die vom Hofstaat nicht wahrnehmbaren Umwälzungen. Die Puppenspielerin Mirjam Hesse trägt Federn in verschiedenen Farben an Angelhaken durch den Märchenraum – als Zeichen für den Schutz durch die Feen. Der Opernchor (geleitet von Lucia Birzer und Ruben Hawer) wird mit poetischer Behäbigkeit und Putzigkeit eingeführt, die Feen (Dong-Joo Kim, Golda Magda Chichiashvili, Bianca Annett Tsoungui) auch.

Ensemble liefert Bilderbuchbräutigam und verführerische Töne

Vielleicht kannte Humperdinck Tschaikowskis Märchenballett „Dornröschen“: Inga Lisa Lehr hat mit dem Solo der Frühlingsfee einen Sonderstatus wie die Fliederfee bei Tschaikowski. Nur bei der schurkischen Fee Dämonia wird Cleemen in der schwarzlila Kostümierung etwas maßlos, während die Mezzosopranistin Stephanie Rhaue bei den erotischen Fanggriffen nach dem Prinzen auch verführerisch lockende Töne anschlagen darf. Thilo Andersson und Malgorzata Kusmierz als Königspaar von Rosenland werden beim Weltraumausflug Reinholds zu Sonne und Mond. Auf den Umlaufbahnen und mit mächtigen Kronen setzen sie ihre Zickereien fort, welche bereits den Alltag im Dienst an der Rosenkrone begleiten. Dank der allegorischen Figur Quecksilber, welche Annina Olivia Battaglia nach Röschens Strophenliedern ebenfalls übernimmt, erhält die Titelfigur doch noch das ihr zustehende Gewicht. Minseok Kim gibt als Prinz Reinhold auch sängerisch einen Bilderbuchbräutigam und Wunschschwiegersohn.

In der Vorstellung am 17. November begeisterte sich ein überwiegend erwachsenes Publikum für Humperdincks Märchenstück, was ähnlichen Hybridcharakter hat wie Weills und Kaisers „Silbersee“ oder Orffs „Bernauerin“. Die pseudonaiven Feinheiten von Musik und Szene konnte man gut goutieren, auch Kinder hatten ihre Freude. Das liegt sicher daran, dass Falk, das szenische Team und das Ensemble des Theaters Hof Vertrauen in das Stück setzten. Aber sie überfrachteten es nicht mit Aktualisierungen und fanden dabei doch feines Ironie- und Anspielungslametta. Herzlicher Applaus.

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