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Peter Bording, Ensemble. Foto: © Kirsten Nijhof
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Magdeburg feiert Gottfried von Einems 100. Geburtstag mit „Dantons Tod“

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Für die Salzburger Festspiele musste nach dem Zweiten Weltkrieg ein neues Werk die notwendige Wende und Rehabilitierung aus den Verstrickungen im Nationalsozialismus bringen: Das gelang mit der Oper „Dantons Tod“, die der damals unbekannte Gottfried von Einem (1918-1996) schon im untergehenden „Dritten Reich“ begonnen hatte und die im August 1947 zum Sensationserfolg wurde. Die Oper Magdeburg stellt das Werk zur Diskussion. Das Blutbad gerät musikalisch brillant und szenisch kühl. Trotzdem bestätigt dieser Kraftakt die hohe Qualität des Theaters.

Der Uraufführungstriumph katapultierte Gottfried von Einem in die erste Reihe der für die Nachkriegszeit wichtigen deutschsprachigen Komponisten. Aufträge von ersten Häusern wie Wien und Hamburg folgten und von Einem wurde mit „Kabale und Liebe“ nach Schiller oder „Der Zerrissene“ nach Nestroy zu einem der wichtigsten Vertreter der sog. Literaturoper. Das mit seiner zweiten Lebensgefährtin Lotte Ingrisch geschaffene esoterische Spätwerk scheint heute von geringerer Relevanz als Opern wie „Der Besuch der alten Dame“ (Premiere an den Landesbühnen Sachsen: 26. Mai 2018) oder „Dantons Tod“, bis heute seine bekanntesten.

Der Ursprung von Intendantin Karen Stones Idee zu einer Produktion von „Dantons Tod“ an der Oper Magdeburg liegt nahe. Während ihrer Zeit als Spielleiterin an der Bayerischen Staatsoper München stand dort die hochgerühmte historisierende Inszenierung von Johannes Schaaf auf dem Spielplan. Von dieser unterscheidet sich die Magdeburger Lesart deutlich. Karen Stone reflektiert in ihrer Realisierung auch die sich mit historischen Entwicklungen wandelnde Beurteilung der Französischen Revolution. Vor allem ist ihr eine weitgehend objektive Darstellung der politischen Gegner Georges Danton und Maximilien de Robespierre wichtig. Der Disput, der Dantons alsbaldige Hinrichtung besiegelt, ist der Höhepunkt des ersten Aktes, das Tribunal gegen Danton sowie dessen Gefährten Camille Desmoulins und Marie-Jean Hérault de Séchelles jener des zweiten. Boris Blacher kürzte die 29 Szenen der Erstausgabe von Georg Büchners Drama im Textbuch auf sechs Bilder.

Karen Stone agiert im Sinne Gottfried von Einems, der sich bereits vor der Uraufführung einer Schwarz-Weiß-Kontrastierung widersetzte. Das umfangreiche Programmheft erwähnt, dass der Komponist sich auch auf Zuspruch Werner Egks (dieser legte in seinem politisch umstrittenen „Peer Gynt“ 1938 für die Rezeption ein noch explosiveres Minenfeld) mit dem Stoff beschäftigte. Doch wie sich in der Oper „Dantons Tod“ (kalkulierte?) Systembejahung, versteckte Selbstpositionierung oder gar Ansätze von Kritik überlagern, bleibt offen. Die wenigen Aufführungen von Büchners „Dantons Tod“ während des Nationalsozialismus können nach der Inszenierungsflut vor 1933 als Mittel des subtilen Widerspruchs verstanden werden.

Man muss davon auszugehen, dass von Einem und Blacher bei der Konzeption der Oper an eine Uraufführung unter den kulturpolitischen Bedingungen des Nationalsozialismus dachten. Dieser Aspekt macht den thematischen Hintergrund des Kräftemessens zwischen Danton und Robespierre noch schillernder. Auf wessen Seite steht die ethische Gerechtigkeit? Welche Idee wird kritisiert? Nur in einer außergewöhnlichen Konstellation lassen sich diese Fragen nach dem Ideologie-Gehalt dieser Oper unter verschiedenen politischen Systemen in einer Inszenierung beantworten. Diese verschoben sich in Johannes Schaafs Münchner Inszenierung, deren Deutung 1990 natürlich der Mauerfall und die ausgebrochene Wiedervereinigungseuphorie beeinflussten.

Karen Stone tut im Grunde das Richtige: Sie nimmt das Werk als ganz späte Grand Opéra (erstaunlich, wie tief sich Muster des langen 19. bis in Werke des fortgeschrittenen 20. Jahrhunderts hineingefräst haben) und setzt mit der kalkulierten Enthebung in Zeitlosigkeit Bezüge zur Gegenwart. Ihre Inszenierung wirkt auch deshalb kühl, weil die Partitur trotz musikalisch glänzender Wiedergabe im Jahr 2018 noch immer keine emotionale Tiefenwirkung entfaltet. Die nach 1945 als Emanzipation von einer Überwältigungsästhetik gefeierte Versachlichung der Musik bremst eine vorbehaltlose Zustimmung aus.

Glanzpunkt von Karen Stones Inszenierung ist der von Martin Wagner ausgezeichnet vorbereitete und brillant agierende Opernchor: Die Orientierungslosigkeit der Massen und den Blutrausch in der Terrorzone, zu der Paris im Frühjahr 1794 wurde, formt der Choreograph David Williams als abgehacktes Körpergemisch und strukturiertes Chaos. Es ist ein Haufen fast schon entmenschlichter Automaten, die blutgierig den Tod ihrer früheren Favoriten fordern. In der Hinrichtungsszene ersetzen Sturzbäche von Blut von den Schriftzügen „Liberté! Egalité! Fraternité!“ das Fallbeil, wie es parallel in „Gespräche der Karmeliterinnen“ am Theater Nordhausen zu sehen ist.

Kühl wirken Stones kultivierte Bilder auch, weil nicht eindeutig ist, ob sie sich zu vertrauensvoll auf die Ausstattung verlässt oder ob diese Zurückhaltung eine Positionierung bedeutet, um die Manipulierbarkeit der Massen anhand steriler Interieurs zu zeigen, die zu Spekulationen und Wut des Pöbels Anlässe bieten.

Das expressive Potenzial des für die Moderne mit umfangreicher Expertenerfahrung gerüsteten Baritons Peter Bording reizt nach seiner Verteidigungsrede mit Recht zum Applaus. Ihn hat von Einem von allen Solisten am großzügigsten bedacht: Peter Bording zeigt Danton als lässigen Charakter, der erst in den letzten öffentlichen Auftritten zum früheren, aber erlöschenden Format zurückfindet.

Musikalisch bereitet diese Opernmoderne aus dem Jahr 1947 heute kaum noch Anstrengungen des Hörens. Als Kontrast zu den Schrecknissen hat Gottfried von Einem kleinere Szenen des glücklichen Paares Camille Desmoulins und Lucille gesetzt. Diese Gefühle sind fast scheu versteckt unter einem farbenreichen Orchestersatz, in dem die von Büchner der Partitur vorangestellte Frage nach dem, „was in uns lügt, stiehlt, mordet“ rumort. Amar Muchalas Camille hebt sich mit rauchig-rundem Tenor von den anderen sehr textakzentuierenden Stimmen ab. Noa Danon hat als ausdrucksstarke Lucille mit dem Lied vom grimmen Schnitter Tod und ihrem selbstmörderischen Ruf „Es lebe der König“ eine Szene, die noch immer als ein Höhepunkt des Musiktheaters des mittleren 20. Jahrhunderts gelten darf.

Von diesen wenigen lyrischen Inseln stechen heraus Dantons vitale Rhetorik und Stephen Chaundys phänomenaler, weil so gefährlich disziplinierter Robespierre. Dessen Schatten Louis Antoine de Saint-Just gibt Johannes Stermann schillernde Charakterfarben.

GMD Kimbo Ishii und die Magdeburgische Philharmonie reaktivieren das der Partitur innewohnende Begeisterungspotential. Das klingt vom ersten bis zum letzten Takt geschliffen und perfekt ausbalanciert, schönt aber die expressionistischen Flächen der Partitur. In Magdeburg merkt man nichts von der Beobachtung zur Uraufführung, dass die Gesangspartien und deren Ausdrucksspektrum ohne Bezug zu gänzlich anderen gleichzeitigen Akzenten des Instrumentalsatzes stehen.

Wie vorbildlich ist dieser grandiose Kraftakt? Die vom Nationalsozialismus in die Nachkriegszeit reichende Entstehung von „Dantons Tod“ widersetzt sich noch immer einer ethischen Wertung des in der Oper stark verknappten Sujets. Die von Gottfried von Einem in den Vordergrund gestellte „Politik als Leidenschaft“ bleibt ambivalent. Auf alle Fälle aber ist „Dantons Tod“ in Magdeburg ein echtes Operndrama über Massen, die ihre eigene Manipulierbarkeit ignorieren.

  • Wieder am So 11.02./16:00 – Sa 24.02./19:30 – Fr 02.03./19:30 – Mo 02.04./18:00 – Opernhaus Magdeburg

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