Ein Abend, der viele Überraschungen mit sich brachte. So haben Arnold Schönbergs Pierrot lunaire wie auch Kurt Weills Songspiel Mahagonny (Urfassung) und die Sieben Todsünden zwar keinen ausgewiesenen Bezug zur Opernbühne, sie lassen sich auch nicht ohne weiteres thematisch aufeinander beziehen – und dennoch fügten sie sich in dieser außergewöhnlichen Straßburger Inszenierung von David Pountney zu einem Tableau zusammen.
Die Gründe dafür liegen in den zugrunde liegenden Texten, die in zwei Fällen ohne eigentliche Handlung auskommen, in den Vertonungen, die einst provozierten; vor allem liegt es aber an ihrer varietéartigen Gestalt, in der Avantgarde, Dadaismus und Surrealismus sich durchdringen, in der sich Abstraktion, Tiefgründigkeit und Ironie ergänzen und brechen. Sucht man darüber hinaus nach musikalisch verbindenden Elementen, so wäre dies wohl die „gesungene“ Sprechstimme – bei Pierrot zumal, aber auch in Mahagonny sowie in der Gestalt der Anna (II). Szenisch verknüpft und gedeutet werden die drei Stücke darüber hinaus durch das aus den Weill’schen Todsünden übernommene choreographische Element, das sich überraschenderweise beim Pierrot lunaire als eine willkommene Bereicherung herausstellt.
Darüber hinaus eröffnen sich weitere Bezüge: Textlich, wenn der „grüne Mond von Alabama“ sein Licht auf das Nachfolgende wirft, und in Pierrots unwirklicher Traumwelt, die vielleicht die unergründliche Gedankenwelt Annas widerspiegeln könnte. Aber auch quasi improvisatorisch, wenn die Vorstellung mit einem Schlussapplaus auf der Bühne beginnt, wenn mit dem einfachen, halb durchsichtigen schwarz-weißen Vorhang gespielt wird, und Schönbergs mondsüchtig-kabarettistisches Melodram sich auch auf die Masken der Musiker erstreckt. Es mag gerade diese (scheinbare) Offenheit in David Pountneys Inszenierung sein, die fasziniert, die ganze, musikalisch prall gefüllte Vorstellung trägt und die ohnehin selten gespielten Werke veredelt.
Mit dazu beigetragen hat auch die Idee, zumindest im ersten Teil die in der Anzahl überschaubaren Instrumentalisten auf die Bühne zu bringen, sie somit zu einem Teil der Inszenierung zu machen. Ganz ähnlich in der Disposition darf man sich die Uraufführung des in seiner ursprünglichen Form nur knapp halbstündigen Songspiels Mahagonny vorstellen (Baden-Baden 1927), das im philosophischen Nonsens einst aktuelle Themen, Erfahrungen und existenzielle Nöte in sich aufnahm: Alkohol, Geld – sowie die Suche nach einem funktionierenden Fernsprecher. Bei den Sieben Todsünden hingegen wurde auf eine durchgehende Choreographie als Ballett verzichtet: Sie erschienen in der szenischen Umsetzung vielmehr wie ein Einakter in mehreren Bildern.
Obwohl recht unterschiedlich in den sängerischen und spielerischen Anforderungen, lag die doppelte künstlerische Last des Abends gleichbleibend auf den Schultern des kleines Ensembles. Dies gilt für die eindrucksvolle tänzerische Umsetzung durch Wendy Tadrous (in den Todsünden auch mit Box-Einlage) wie auch für das Doppel aus Lenneke Ruiten und Lauren Michelle, die sich nicht allein den Pierrot teilten, sondern mit ihrem unterschiedlichen Timbre (hell und bisweilen etwas spitz, abgedunkelt und körperlich) der Anna eine weitere Facette verliehen; hinzu kam ein ausgewogenes Männerquartett, aus dem Patrick Blackwell bühnenpräsent hervortrat. Kaum weniger beeindruckte das von Roland Kluttig bestens präparierte, mit selbstverständlicher Leichtigkeit aufspielende Orchestre symphonique de Mulhouse – sowohl kammermusikalisch wie auch in großer Besetzung.
- Weitere Aufführungen: 28. Mai (Strasbourg), Colmar (5. Juni), Mulhouse (13., 15. Juni)