Der Erfolgsdruck ist groß: Bei so einem Klassiker des Genres steht das Haus in direkter Konkurrenz zur Wiener Volksoper, zu Berlins Komischer Oper, zum Leipziger Operettenhaus und der Pariser Opéra comique – von gelegentlichen Produktionen der großen Staatsopern einmal abgesehen. In vielen zurückliegenden Konferenzen wurde Intendant Joseph E. Köpplinger gedrängt – nun endlich… und wie es sich für einen Profi gehört, der natürlich das US-Show-Muster des Broadway kennt: die Probe-Serie lief in der „Operetten-Provinz“, im Januar im Florentiner Teatro Maggio Musicale.
Die Freude auf das unverwüstlich „tolle“ Werk war im vollbesetzten Haus von Anfang an, am Ende auch in den Gesichtern aller Mitwirkenden auf der Bühne sichtbar - dafür einhelliger Beifall, viel Bravo. Regisseur Köpplinger hatte wie in seinen anderen Inszenierungen eine entstaubende Textfassung geschrieben – auch um die Verlegung vom Werk-Hintergrund „Börsenkrach 1873-74“ in die 1920er Jahre einfacher zu machen; doch es dominierten die originalen Wort- und Situationswitze. Auch Rainer Sinells drei Raumerfindungen blieben eher „zeitlos“: ein völlig aus dem Lot geratener Salon bei Eisensteins; Prinz Orlovskys Palais liegt protzig im Hintergrund – man feiert trotz Schneetreiben in seinem edlen Park mit dem weißen Johann-Strauss-Denkmal (aus dem Wiener Stadtpark); der herrlich unaufgeräumt chaotische Gefängnisempfangsraum stammt aus K.u.K.-Zeiten, denn auf der Rückseite eines Kanzler-Fotos klebt noch Kaiser Franz Joseph. Alfred Mayerhofer konnte über viel Herren-Frack und schöne Abendkleider der Chordamen hinaus nur bei den Solisten etwas Kostümzauber entfalten; leider dirigierte der scheidende Chefdirigent Anthony Bramall im Orlovsky-Ball auch die Polka-Einlage „Unter Donner und Blitz“: er blieb mit dem auch sonst oft zu handfest, zu wenig „wie hingeschludert leichtfüßig frech“ klingenden Orchester natürlich enttäuschend hinter der singulären „Fetz-Peng“-Attackenfassung in Carlos Kleibers Einspielung zurück und über Karl Alfred Schreiners „Sportclub Fledermaus“-Turnerei dazu sei der Mantel des Schweigens gebreitet – nicht über den füllig-guten Chor.
Lacher und mehrfach Szenenapplaus „erarbeiteten“ sich zurecht ein Gutteil der Solisten, denn für sie galt: das müssen erste Stimmen singen und „servieren“. Das gelang dem Sopran-Star des Hauses Jennifer O’Loughlin als einstiger „Provinzdiva“ mit entsprechend aufgesetzten Attitüden und strahlenden Tönen … und wenn sie über den Ex-Lover sagt „Bei seinem hohen A, ach, wird ich schwach“ – und dann Lucian Krasznec (vgl. nmz online vom 29.01.2022) mit blendender Bühnenerscheinung solche As reihenweise in leuchtenden Phrasen aus „Troubadour“, „Traviata“, Bohème“, „Rigoletto“ und „Turandot“ verströmt, ist ihr Hinsinken jedes Mal amüsant. Die kämpferisch eckige Adele von Ilia Staple lacht mit drei verschiedenen Stimmen und ihre Koloraturen machen Orlovskys Mäzenatenentschluss glaubhaft. Dieser Mezzosopran-Prinz von Emma Sventelius besaß viel Sopran-Schärfe, war aber mit schlank-hoher Bühnenpräsenz im weißen Designer-Frack und mehrfachem „Russisch-Roulette“-Revolver an der Stirn eine überzeugende „Wien-Babylon“-Orchidee.
Zu dem ganzen hinzuerfundenen Gender-Homo-Quark um Orlovsky und andere Nebenfiguren: einfach weglassen „wg. Unergiebigkeit“. Denn das Gärtnerplatz hat eine erdrückend große Aufführungstradition: allein die von Hitler angeordnete Inszenierung von 1939 erlebte - u.a. mit Karl Valentin und Johannes Heesters - 348 Aufführungen, die sieben Nachkriegsinszenierungen brachten es auf weit über 500 Abende. In dieser Abfolge hielten sich die Ida von Florentine Schnitzel, der Dr. Falke von Daniel Gutmann, der Advokat Dr. Blind von Juan Carlos Falcon und der Gefängnisdirektor Frank von Reinhard Mayr – letzterer mit Applaus für alkoholisch-akrobatisches Gleiten und Stürzen – gut und unterhaltsam. Der Eisenstein von Daniel Prohaska sang auch gut, sollte aber an lebenshungriger Amüsierlust bis zur Lächerlichkeit gewinnen. Und das Mannsbild Frosch, der slivoviz-ige Gefängnisdiener von Michael Dangl, hatte mit der Schluck-Wette, dass es „in Österreich noch zwei Kanzler zu Ostern“ geben werde, einen schönen Polit-Lacher – und von Autor Köpplinger mehr verdient. Wahrscheinlich war es für alle und das ganze Haus mehltauig schwer, so richtig in den herrlichen Irrwitz hineinzudrehen. Das kann bei so viel Qualitäten noch kommen. Jetzt einmal „Danke!“ für etlichen Spaß in diesen entsetzlichen Tagen.