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Foto: © Matthias Baus
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Marschners „Der Vampyr“ original, endlich! – Musikalisch brillant, szenisch matt am Theater Koblenz

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Meistens fürchten sich Regisseure vor einer subtilen Realisierung von Marschners „Der Vampyr“, wie zuletzt an der Komischen Oper Berlin. Sehr schade ist das, weil diese „Große romantische Oper“, ein Hauptwerk zwischen „Der Freischütz“ und „Der fliegende Holländer“, entstand, als das noch junge Horror- und Vampirgenre noch nicht den durch Film und Musical fixierten Ritual- und Erwartungsrahmen hatte.

Fast ein Jahrhundert verbaute die Bearbeitung Hans Pfitzners durch Eingriffe, mit denen er den „Vampyr“ 1925 Richtung Wagneroper zweiter Ordnung rückte, die Sicht auf die wahren Intentionen Heinrich August Marschners. Das Theater Koblenz realisierte jetzt endlich die von Egon Voss 2009 auf Basis des Klavierauszugs von Breitkopf und Härtel erstellte Originalfassung. Die musikalische Widergabe in Koblenz verdeutlicht passgenau, dass diese Oper neben Gothic-Momenten auch anti-biedermeierliche Verstörungsmomente beinhaltet. Dazu dringt die flache Inszenierung leider nicht vor, dafür gibt es ein Grusical ohne Tiefenschärfe.

Das regelmäßige Zähnefletschen des Vampyrs bleibt geheimnislos und überraschungsfrei. Die Regie von Intendant Markus Dietze agiert nur an der Oberfläche von Wilhelm August Wohlbrücks Textbuch, die stark verkürzten Dialoge kommen vom Band. Das Schauspielensemble des Theaters Koblenz macht in diesen „Kurzhörspielen“ deutlich, wie hohes Pathos und Sensorien für Subtexte dieses Werk heben könnten. Denn sicher wäre „Der Vampyr“ nach 1830 nicht der große Erfolg geworden, wenn das Grauen nicht in Sujet und Musik stecken würde. Nicht umsonst plädiert Egon Voss, der unbestreitbar wagnerkundige Musikwissenschaftler, im Vorwort zu seiner Edition unbedingt für die von Pfitzner begradigte Formenvielfalt Marschners, für deren vokale Virtuosität, Genreszenen und komischen Momente. Markus Dietze aber entscheidet sich zu willkürlicher Distanz, die in den besten Momenten ironisch wird: In einer gruftigen Höhle (genrekundig verdüstert von Dorit Lievenbrück), mit einer bereits rundum vampirisch gewordenen Gesellschaft (Musical-Eurhythmie von Catharina Lühr) und biedermeierlichen Bilderbuchskizzen (vorhersehbare Kostüme von Bernhard Hülfenhaus). Die Masken-Abteilung glänzt mit burlesken Narben- und Schädel-Effekten. Für diese Sichtweise wäre die Pfitzner-Bearbeitung sogar der geeignetere Soundtrack, weil sie das Klischee eines wagnernahen Gruftie-Dramoletts eingleisiger bedient als Marschner selbst.

Nähe zum „Freischütz“ hat „Der Vampyr“ neben einigen musikalischen Motivparaphrasen auch darin, dass Marschner alle damals gängigen Formmuster in überraschenden Konstellationen abwandelte. Für ein Publikum, dessen ältere Generationen im Uraufführungsjahr 1828 noch lange nicht frei von Aberglauben waren. Die Figur des „Vampyrs“ selbst ist ein Konstrukt zum Diskurs über erotische Freiheiten contra Pflicht: Nicht umsonst gibt es bei Marschner, anders als in der gleichnamigen Oper Lindpaintners (Stuttgart 1828), Parallelen zwischen dem in Lust, Leid und Zwang zerrissenen Vampir und Mozarts Verführer Don Giovanni und nicht umsonst gehört neben Polidoris berühmter Novelle die „aufgesexte“ Geistergeschichte „Das Petermännchen“ zu Wohlbrücks pseudomoralischen Inspirationsquellen.

Souveräne Ensembleleistung

Marschners weitgreifende Anlage und deren spannenden kulturgeschichtlicher Hintergrund erlebt man am Theater Koblenz in einer faszinierenden, kontrastreichen und souveränen Ensembleleistung. Enrico Delamboye versendet vom Dirigentenpult Begeisterung, Präzision und frenetischen Überschwang an alle auf der Bühne und im Graben. Genau richtig kommt das im alten Koblenzer Theater, wo die Bläser idiomatisch und dann wieder kantig klingen. Die Akustik bricht den puren Schönklang mit wunderbar charakteristischen Rissen und die Rheinische Philharmonie steckt Marschners Revier hinreißend ab. Die stark geforderten Hörner liefern ebenso wie die komplette Harmonie eine tolle Basis für die gesanglichen Aufschwünge, so als ginge es um Meyerbeer. Schon zur Premiere klingt das souverän und rehabilitiert Marschner unter Rücknahme von Pfitzners Amputationen aller nach Italianità schmeckenden Stellen. Da sollte das Theater Koblenz doch gleich mit „Der Templer und die Jüdin“ nachheizen.

In der Originalfassung haben neben Ruthwen andere Figuren ebenbürtige Entfaltungsmöglichkeiten. Hier gewinnt Iris Kupke einen Bravourpart, den Pfitzner zu czernyartigen Floskeln verkürzte und der es mit den später entstandenen maßgeblichen Bellini- und Meyerbeer-Partien aufnehmen kann. In den Liebesszenen fand Marschner, der internationale Operneinflüsse als „Firlefanz“ bezeichnete, zu einer ganz eigenen Belcanto-Form. Es zeigt sich ein weiteres Mal, welch enorme Anforderungen man auch in Deutschland an Bühnentenöre hatte. Tobias Haaks meistert als Vampirjäger Aubry seine Duette mit Malwina und die berühmte „Frühlingsmorgen“-Romanze mustergültig. Schon ohne Pfitzners Zutun gibt es in der großen Enthüllungsszene und der großen „Vampyr“-Arie schon ganz viel Wagner vor Wagner: Bastiaan Everink – Wolfram und Klingsor in Personalunion – hat alle geschmeidig-heldischen Töne dafür und wäre, würde die Regie das zulassen, auch ohne vampirische Doktorspiele ein rasanter Womanizer.

Farbintensiv

So farbintensiv erklingt in Koblenz alles, dass die düstere Ballade vom „bleichen Mann“ und die fahlen Streicherakkorde fast unbemerkt bleiben. Das liegt vielleicht an der klug und stark gestaltenden Hana Lee, die für den Part des zweiten Vampyr-Opfers etwas zu leicht besetzt ist. Nico Wouterse als Brautvater ist in dieser Aufführung mit nur wenigen Strichen eine Hauptfigur mit Charisma und Ausdrucksstärke.

Auch alle anderen im Ensemble leisten Vorzügliches, dass in Koblenz etwas Wichtiges geschieht: Enrico Delamboye, seine Sänger und das Orchester befreien – wohl erstmals nach einer Rekonstruktion der Urfassung von Klaus Straube am Theater Hof vor über zwanzig Jahren – die Oper vom Vorurteil eines behäbigen Biedermeier-Produkts und Marschner von dem des wenig eigenständigen Weber-Epigonen. Sogar das Trinklied und die Genre-Couplets werden hier von Singspiel-Zugeständnissen zu dramatischen Verdichtungen: Mit dem Chor treibt Ulrich Zippelius ländliche Festfreude in fast ebenso bizarre Intensität wie den Geister- und Hexenchor am Anfang. So ehrt man Marschners Werk mit ihm gebührender musikalische Ernsthaftigkeit. Das Publikum war hellwach dabei und reagierte mit Ovationen.

  • 15., 22., 26. Mai – 1., 4., 14., 20., 22., 24. Juni 2017 / 

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