Freiheit und Gleichheit sind wichtige menschliche Grundrechte – zumindest auf dem Papier. Der Baptistenpastor Martin Luther King war einer, der aktiv für diese Rechte gekämpft und eine gewaltfreie Massenbewegung ausgelöst hat, die sich dafür einsetzte. Diese Rechte, die er und seine Follower in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erstritten haben, sind aktuell wieder in Gefahr – darüber kann auch kein schönes und eingängiges Musical über Martin Luther King hinwegtäuschen.

Gewaltfreier Protest! Im Hintergrund Teile des Flensburger Mega-Chores. © Ralf-Thomas Lindner
Martin Luther King – in jeder Hinsicht massentauglich und notwendig!
„I have a dream“ ist der Titel einer Rede von Martin Luther King, den auch noch in unseren Tagen wohl jedermann und jedefrau kennt. In der Rede, die er anlässlich des Marsches auf Washington für Arbeit und Freiheit vor dem Lincoln Memorial in Washington hielt, ging es um die Forderung der Bürgerrechtsbewegung – letztlich: soziale, ökonomische, politische und rechtliche Gleichstellung der Afroamerikaner. Denn: Der Gleichheitsgrundsatz, der in der amerikanischen Verfassung bereits fest verankert war, hatte seinen Weg in die gesellschaftliche Realität bislang nicht gefunden.
King hielt seine Rede 1963 – der „Deutschlandfunk Kultur“ meldet unter dem Titel „Wir sind beim Eingriff in die Geschichtsschreibung live dabei“ in dieser Woche: „Trump kämpft gegen die Sichtbarkeit von queerem und schwarzem Leben in den USA. Transmenschen werden aus der Armee ausgeschlossen und das Pentagon löscht Bilder schwarzer Weltkriegssoldaten.“ An anderer Stelle im gleichen Sender heißt es: „Der Kampf gegen Diversität ist Trump ein Anliegen: Den dritten Geschlechtseintrag hat er bereits abgeschafft.“
Wenn man – ebenfalls vor wenigen Tagen – die Überschrift „Bach bekommt Nachfolgerin. IOC trifft eine historische Entscheidung“ liest, mag man nur schamhaft im Boden versinken. Das Internationale Olympische Komitee wählt erstmals eine Frau als Präsidentin ihres Verbandes und nennt diese rein geschlechtsbedingte Entscheidung „historisch“. – In seiner Rede zum Internationalen Frauentag am 7. März sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in diesem Jahr: „Gleichstellung ist und bleibt ein Handlungsauftrag, ein Arbeitsauftrag. Das gilt in unserem Land genauso wie weltweit. Dem Global Gender Gap Report von 2024 zufolge bräuchte es sage und schreibe weitere 134 Jahre, bis weltweit Männer und Frauen in zentralen gesellschaftlichen Belangen gleiche Chance hätten.“
Gigantisches Mitsingprojekt
Martin Luther King ist also mit seinen Forderungen auch heute noch auf der Höhe der Zeit, kein unbequemer Revolutionär, kein selbstvergessener Träumer. Ihm ist ein Musical gewidmet, das seit 2019 als gigantisches Mitsingprojekt in den großen Arenen der Bundesrepublik auf Tour ist. Die Idee dabei ist es, viele kleine bereits existierende oder speziell zu diesem Zweck gegründete Chöre, die den Chorpart des Musicals quasi dezentral vorbereiten, am Aufführungsort zu Riesenchören zu vereinen. So haben am vorletzten Wochenende in Flensburg etwa 1.500 Menschen (die am weitesten angereiste Sängerin kam aus der Nähe von Budapest) mitgesungen, am vergangenen Wochenende in Berlin 2.500.
Die Idee dieser Musicals mit im weitesten Sinne kirchlichen oder theologischen Themen kommt aus einer Laienbewegung von Sängern, die in der Kirche ihre Lebenswirklichkeit nicht abgebildet sahen und die sich schon vor etwa 30 Jahren zur „Stiftung Creative Kirche“ zusammengefunden haben. Angefangen hatte alles mit einer kleinen Schar von etwa 60 Sängern – ohne Geld, Strukturen und Personal. Es gab Chorprojekte, CD-Aufnahmen, Himmelwärts Gottesdienste, Gospelfestivals, Gospelkirchentage, Kindermusical und eben – neben Martin Luther King – noch fünf andere große Pop-Oratorien bzw. Chormusicals (Die 10 Gebote, Luther, 7 Worte am Kreuz, Bethlehem, Amazing Grace).
Dabei ist die Stiftung keine kirchliche Gegenbewegung zu den etablierten Strukturen. Sie empfindet sich laut dem Communitypastor Matthias Kleiböhmer als „Schnellboot, das neben dem großen Tanker Kirche herfährt und neue Dinge ausprobiert“. Viele Menschen finden sich in den landeskirchlich geprägten Strukturen nicht wieder und so kann „Musik ein Dünger sein für mehr Lebendigkeit und Emotionalität – auch in der Landeskirche“ (Kleiböhmer).
Wandermusical
„Jede Aufführung in einer neuen Stadt ist eine Premiere“, sagt Marcel Volkmann, der Bereichsleiter für Großveranstaltungen in der Stiftung. Zwar sind die Gesangssolisten und die Instrumentalisten zum einen Profis, zum anderen immer dabei, quasi das Grundgerüst der Aufführungen. Zum anderen ist der Chor in jeder Stadt ein anderer. Auch die beiden Chorleiter, die die Aufführung vor Ort mit den Chören vorbereiten, kommen aus der Region und geben der Aufführung – bei allen notwendigen und unumstößlichen Vorgaben eines zusammengesetzten Gemeinschaftsprojektes – eine jeweils eigene Prägung.
Nicht zuletzt die Form eines umherziehenden Wandermusicals und der damit verbundenen logistischen Herausforderung führt zu einem ausgesprochen sparsamen, aber kreativen Bühnenbild. Es gibt neun große Würfel, die mit unterschiedlichen Bildern (z. B. Portrait Martin Luther King, amerikanische Flagge, Regenbogen) auf der Vorderseite zu einer kleinen (Wander-)Wand zusammengesetzt werden können. In zwei kleinen würfelförmigen Rollcontainern sind alle Requisiten für das Stück enthalten und werden da jeweils „herausgezaubert“. Pars pro toto ist hier das Motto – die den öffentlichen Busverkehr bestreikenden Schwarzen bekommen hier neue Schuhe und ein Auto, das immer wieder vorkommt, wird durch den Rollcontainer selbst und ein Lenkrad symbolisiert. Genial einfach, aber irre wirkungs- und eindrucksvoll!

Eine einfache Inszenierung mit viel Spaß an der Freude: Ein imaginäres Auto aus einem Rollcontainer und einem Lenkrad für das Ehepaar King. © Stiftung Creative Kirche
Ein Leben für Freiheit und Gerechtigkeit
Das Musical Martin Luther King nimmt Sänger und Publikum in einer Mischung aus Gospel, Rock ‘n‘ Roll, Motown und Pop mit in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Die Musik der Komponisten Hanjo Gäbler und Christoph Terbuyken und die Texte des Librettisten Andreas Malessa illustrieren eine Zeit des Umbruchs und der sozialen Verwerfungen. Im Mittelpunkt steht der schwarze Bürgerrechtler und Baptistenpastor Martin Luther King mit seinen Motivationen und Träumen, seinen Selbstzweifeln und Erfolgen.
Martin Luther King war der wohl prominenteste Sprecher der Bürgerrechtsbewegung (Civil Rights Movement) von der Mitte der 50er bis zur Mitte der 60er Jahre. Sein Credo war der „gewaltfreie Kampf“ – Kampf gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit. Ein wichtiges Instrument dieser Massenbewegung war dabei der zivile Ungehorsam. Letztlich erreichte die Bewegung die gesetzliche Aufhebung der Rassentrennung und das uneingeschränkte Wahlrecht für die schwarze Bevölkerung der US-amerikanischen Südstaaten. 1964 erhielt Martin Luther King für sein Engagement den Friedensnobelpreis. Am 4. April 1968 fiel er in Memphis einem Attentat zum Opfer.
All dieses wird im Musical, das einen chronologischen Gang durch sein Leben verfolgt, thematisiert – von Schule und Studium über das Kennenlernen seiner Frau Coretta Scott und das Training seiner Aktivisten zur Gewaltfreiheit bis hin zu Friedensnobelpreis und Attentat. Das Musical atmet besonders dadurch, dass eben gerade auch die vermeintlichen Nebenfiguren ihr sehr spezifisches Leben entfalten. Rosa Parks etwa, die sich gegen die Trennung der Sitzplätze für Schwarze und Weiße im Bus auflehnt und auf einem Sitzplatz für Weiße sitzen bleibt. Coretta steht als Ehefrau und Mutter vermeintlich in der zweiten Reihe; sie arbeitet zu Hause und nimmt nur bedingt am öffentlichen Leben ihres Mannes teil.
Ein Massenphänomen
Martin Luther King ist ein Massenphänomen – er bringt riesige Menschenmengen mit seinen Argumenten auf die Straße. Mit seinem Leben und der Musik von Gäbler und Terbuyken hat er seit der Uraufführung 2019 rund 25.000 Sängerinnen und Sänger auf die Bühnen gebracht. In 24 Städten konnten sein Leben und Werk über 100.000 Zuschauer anlocken. Die Stimmung in Flensburg war begeistert bis euphorisch – was sicher auch der eingängigen und schmissigen Musik geschuldet ist.
Dennoch: so schön gerade die Musik ist und so massentauglich sie unübersehbar wirkt, sollte man den tiefen Ernst, den Schmerz und die Ängste der Schwarzen um Martin Luther King herum nicht vergessen. Das aber tut die Musik über weite Strecken. Der Gospel „We shall overcome“ ist kein süßes Ringelpietz-Liedchen, sondern die Hymne einer Bürgerrechtsbewegung, die für existenzielle Rechte kämpft. „Go down Moses“ thematisiert den Auszug der geknechteten Israeliten aus Ägypten. Beides klingt im Musical seltsam germanisiert, domestiziert und in Harmonie ertränkt. Das ist nicht verwerflich und ist sicher Teil des Erfolgs dieses Projektes.
Wir wissen heute, dass Ängste und Traumata – teils erblich – von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Lieder, die in Knechtschaft und Unterdrückung ihren Sitz im Leben haben, kann man wohl aus ästhetischen und kulturellen Gründen „umarbeiten“ und massentauglich machen – dagegen spricht zunächst wenig. Leider ist es aber kein Traum, dass genau diese existenziellen Bedrohungen, die in den Liedern besungen werden, keine Phänomene der Vergangenheit sind, sondern nicht nur in Amerika wieder aktueller sind, als uns lieb sein kann.
Gut, dass sich die Organisatoren dafür entschieden haben, auf das Elend der Welt hinzuweisen und eine Partnerschaft mit der Aktion „Brot für die Welt“ einzugehen. Für diese wird während der Konzerte gesammelt – das erinnert sehr stark an das Kollektieren in christlichen Gottesdiensten und das, nachdem man bereits Eintritt gezahlt hat. Seltsam, aber erfolgreich: In Flensburg sind dabei aus Chor und Publikum aus zwei Aufführungen über 20.000 Euro für ein Projekt zusammengekommen, bei dem in Kenia Menschen unterstützt werden, die aufgrund des Klimawandels unter Wasserknappheit leiden. Ein wichtiges Thema/Projekt – keine Frage. Vielleicht könnte man in Zukunft auch in den Weiten der Flure der Arenen anderen Organisationen, die sich explizit um Menschenrechte (z. B. Amesty International; Human Rights Watch oder terre des hommes) kümmern einladen – denn leider wird nämlich genau deren Arbeit wieder verstärkt benötigt! Merke: Auch Menschenrechte sind ein Massenphänomen!
- Die nächsten beiden Aufführungen von „Martin Luther King“ finden am Sonnabend, dem 29. März, um 14 Uhr und um 20 Uhr Chemnitz in der Messehalle 1 statt.

Ein großer Globus-Ballon flog durch die Arena in Flensburg – Zeichen dafür, dass Freiheit und Gleichheit Rechte für uns alle sind! © Ralf-Thomas Lindner
Weitere Informationen:
- Stiftung Creative Kirche: https://www.creative-kirche.de
- Chormusicals zum Mitsingen: https://www.chormusicals.de
Das nächste Chormusical, das im Dezember in Hamburg aufgeführt wird, wird „Bethlehem“ sein. Die Proben dafür beginnen im September – noch kann jeder und jede mitmachen!
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