Hauptbild
Irina Pauls & amarcord, Leipzig / Valletta. „It’s Schiller! – Die Maltheser. Tragödie.“ Tanzstück nach Dramenfragmenten von Friedrich Schiller. Uraufführung. Choreografie: Irina Pauls. Probenfoto: Matthias Zielfeld, Leipzig. © euro-scene Leipzig 2017
Irina Pauls & amarcord, Leipzig / Valletta. „It’s Schiller! – Die Maltheser. Tragödie.“ Tanzstück nach Dramenfragmenten von Friedrich Schiller. Uraufführung. Choreografie: Irina Pauls. Probenfoto: Matthias Zielfeld, Leipzig. © euro-scene Leipzig 2017
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Matte „Maltheser“-Szenen: Irina Pauls‘ Uraufführung bei der 27. Euro-Scene Leipzig

Publikationsdatum
Body

Die 27. euro-Scene 2018 widmet sich „Ausgrabungen“ und schlägt einen Bogen von der Tanz-Moderne nach 1920 ins Heute. Die Rekonstruktion des „Triadischen Balletts“ von Oskar Schlemmer durch das Bayerische Juniorballett München zur Eröffnung im Leipziger Schauspielhaus und der Abend mit Rekonstruktionen historischer Stücke von Gret Palucca, Marianne Vogelsang und Mary Wigman im LOFFT machten Tanzgeschichte erlebbar. Eigenbeitrag ist eine Uraufführung des Vokalquintetts Amarcord mit der Choreografin Irina Pauls.

Die kreativen Köpfe und Sänger der Uraufführung des sich mit dem Titel „It’s Schiller!“ forsch gebenden Tanztheaters in der Schaubühne Lindenfels sind längst Leipziger Klassiker. Irina Pauls und das Herren-Vokalquintett Amarcord feierten erst vor kurzem ausgiebig ihre langjährigen künstlerischen Jubiläen (30 bzw. 25 Jahre). Sie setzen die wohl allererste Bühnenbearbeitung von Friedrich Schillers nur zweiseitigem Dramenfragment „Die Maltheser“, mit dessen Sujet und Hintergrund der Jenaer Geschichtsprofessor fast zwanzig Jahre gerungen hatte, in ein gedankliches Bezugssystem zum Jubiläum „100 Jahre Oktoberrevolution“.

In dem so schön patinierten Saal mit Pavillonpodium bilden die fünf Amarcord-Sänger Symmetrien mit vier Tänzern und einer Tänzerin. Matrosenanzüge und Tarnjacken (Bühne und Kostüme: Alexander Wolf) machen offenbar: Dieser Männerbund mit einem utopischen Wollen, das Lessings „Nathan der Weise“ nacheifert, hat einen ganz massiven Knick der Ideale fast wie der von Wagners Gralsrittern in „Parsifal“. Es beginnt mit einem gesungenen Prolog von Matthias Engelke: „Um die Insel ist Krieg und der Krieg ist im Innern Zwietracht.“ Doch danach singt Amarcord, wie gewohnt schlank und sehr kultiviert, vor allem alte Sätze, die man aus ihren Konzerten kennt: Hildegard von Bingen, Wittenbergisch Gsangbüchli, Thomas-Graduale. Matthias Engelke, ständiger musikalischer Weggefährte von Irina Pauls, unterlegt den tänzerischen Ausbrüchen und angedeuteten Kampfmomenten perkussive Strophengebilde. Amarcords Einsätze bilden die archaischen Inseln. Geradezu vorsätzlich meidet der Abend Spannungskurven, wie sie der schlagkräftige Dramatiker Schiller in seinen Schauspielen, Balladen und sogar in seiner Prosa genussvoll ausbaute. Denn Irina Pauls interessieren offenbar vor allem Schillers Gedankenspiele über die Verwendung des Chors der attischen Tragödie. Es entstehen weder Charaktere noch Ideenträger, Außendruck und Innenleben fließen in mehr bewegten als bewegenden Bilderfolgen zusammen.

Viel Körpereinsatz sieht man, der die Vorbereitung auf den Kampf der Maltheser zur episch geweiteten Sinnkrise macht. Valetto wird bei Schiller nach dem Tod der vierzig Maltheser-Ritter von den Türken eingenommen. Doch die Szenografie zielt auf einen 1918 von Matrosen der kaiserlich-deutschen Hochseeflotte verweigerten Angriff auf englische Streitkräfte. Waffenstillstandsverhandlungen im Ersten Weltkrieg stehen in Analogie zu den Intrigen des spanischen Hofes in Schillers Fragment-Entwurf.

Dieser komplizierte konzeptionelle Überbau wird allerdings kaum plausibel. Die körperliche Präsenz und starke Energie der Tänzer (Ildikó Tóth, Georg Bergmann, Marc Borras Llopis, Rodolfo Piazza Pfitscher da Silva, Valenti Rocamora i Torá) überzeugt weitaus mehr als die über weite Strecke sehr homogene Choreografie. Konzert und Tanztheater bleiben über weite Strecken dieser 90 Minuten separat. Das erstaunt, denn Amarcord hatte nicht nur bei „Disputation“ mit dem Vokalensemble Calmus in kontemplativen Musiken der Renaissance mit nur sängerischen Mitteln ein dramatisches Feuer entfacht, dessen innere Flammen in der Schaubühne Lindenfels nicht hochfackeln wollten. Vielleicht wurde einfach zu viel gewollt und deshalb zu viel nachgedacht. „It’s Schiller!“ – really? Die Kooperation wichtiger Leipziger Künstlerpersönlichkeiten fällt gegenüber dem großen Versprechen, das diese Produktion beinhaltete, etwas ab.

  • Termine: 08.11., 09.11.2017 euro-scene: Schaubühne Lindenfels, Leipzig – 26.05., 27.05.2018 Schaubühne Lindenfels, Leipzig – 12.10.,13.10.2018 Teatru Salesjan Malta, Valletta

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!