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Medea von Bockenheim – Marc-Antoine Charpentiers „Médée“ in Frankfurt

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Marc-Antoine Charpentiers Medee gehört zu den groß angelegten musikdramatischen Werken (Prolog und 5 Akte) des späten 17. Jahrhunderts und zeichnet sich durch reiche Instrumentation aus. Der Librettist Thomas Corneille, der kleine Bruder des berühmteren Pierre Corneille (der den Stoff 1635 auch schon bearbeitete), wich von früheren Bearbeitungen des Medea-Stoffs ab und entwarf ein Drama, in dem die Ängste und Verzweiflung der Protagonisten drastisch zum Ausdruck gelangen.

Uraufgeführt wurde die Tragédie mise en musique 1693 im Pariser Palais Royals in Gegenwart von Louis XIV; sie hinterließ nachhaltigen Eindruck auf Publikum und Rezensenten. Die Oper wurde anschließend auch in anderen französischen Städten gegeben, dann aber vergessen. 1984 reaktivierte sie Robert Wilson an der Opéra von Lyon. Jetzt präsentierte sie die Oper Frankfurt in einer Inszenierung von David Hermann im Bockenheimer Depot.

Was interessiert heute Medea? Ganz allgemein und zuvorderst: Die Tragödie der nicht nur allzu selbstbewußten, sondern auf ihrem Lebensweg auch höchst rücksichtlosen Frau aus der vorderasiatischen Oberschicht, die im griechischen Exil nicht gut behandelt wird. Jason, der Mann ihres Lebens, für den sie Vater und Vaterland verriet und den Bruder umbringen ließ, wendet sich von ihr ab zugunsten einer Jüngeren, die nun die große Partie für ihn werden soll. Da rastet sie aus.

Was freilich läßt heute im besonderen das Augen- und Ohrenmerk auf eine Medea-Oper aus dem Umfeld des französischen Absolutisten Louis XIV reüssierte? Nun – es ist nicht auszuschließen, daß die musikalische Prunkentfaltung und das noble Entertainment am Hofe des Sonnenkönigs auch einen Abglanz auf die heutigen Rezipienten zu werfen verspricht. Bei Werken wie diesem und ihrer neuerlichen Reaktivierung ist neben historischem Interesse immer auch Prestigedenken im Spiel. Gerade in einer Stadt wie Frankfurt. Freilich ist der sehr grundsätzlich verhandelte Konflikt zwischen dem nicht nur zur Untreue bereiten, sondern zu dieser noch animierten Mann und der rachsüchtigen Frau gewiß fortdauernd von Interesse.

Thomas Corneille bot mit dem Korintherkönig Créon und dessen Tochter Créuse, mit dem als Legionär dienenden Prinzen Oronte aus einem der Nachbarländer, mit Jason und Médée in höchst sympathischer Weise ein Quintett von Egoisten auf. Die Interessen dieser fünf Protagonisten prallen im ersten Teil der musikalischen Tragödie in rationaler Klarheit aufeinander und geben womöglich so etwas wie ein Lehrstück heutiger Verhaltensmuster ab – für Leute, die in den oberen Etagen der Gesellschaft mit ihrer Selbstverwirklichung beschäftigt sind und denen da etwas „Privates“ in die Quere kommt. Der zunächst eingeschlagene Weg der Handlungslogik wird freilich von Corneilles Libretto verlassen ab dem Zeitpunkt, an dem Medea glaubt, von der Untreue ihres Jason überzeugt zu sein – und sie wütet, läuft Amok vermittels „Zauber“.

Der Regisseur David Hermann und sein Ausstatter Christof Hetzer haben den Konflikt der Medea in eine der Gegenwart zuzuordnende Wohnanlage von Besserverdienenden verlegt, von den höheren Zonen der Gesellschaft in die upper middle class (mit erkennbar kleinbürgerlichen Zügen). Das ist zunächst in gewisser Weise plausibel, kollidiert dann aber mit dem Zauber-Hokuspokus, mit dem Medea in ihrem Umfeld Angst und Schrecken verbreitet – er findet keine adäquate Übersetzung ins Hier und Heute. Jason tritt in Gestalt von Julian Prégardier als smarter Juppi auf, der sich verhält wie alle Ehemänner, die in Bezug auf „die andere“ halt ein bißchen täuschen und beschönigen. Und er tut dies mit höchst einnehmender Stimme. Medeas Rivalin findet in Christiane Karg eine wunderbare Stimme – verführerisch, raffiniert in der einfachen Direktheit.

Den Vater dieser ansprechenden Créuse, den Herrscher eines neufrankfurter Imperiums, stattet Simon Baillay mit distinguiertem Baß aus; er bewahrt als wahnsinnig werdendes Opfer der durchgeknallten Medea Würde. Die Titelpartie des rüde gekürzten und musikalisch arrangierten Werks wurde Anne Sofie von Otter anvertraut, deren Stimme den Zenith überschritten zu haben scheint. Das trübt den musikalisch positiven Gesamteindruck, für den zuvorderst Andrea Marcon sorgt.

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