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Stefan Blum, Karera Fujita, Philipp Nicklaus. Fotograf: Cordula Treml
Stefan Blum, Karera Fujita, Philipp Nicklaus. Fotograf: Cordula Treml
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Media-Mix-Musiktheater – Gerhard Stäblers „Simon“ im Münchner Theater für Junges Publikum

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Tausend Likes und trotzdem einsam – so sieht die digitale Kommunikation vieler Jugendlicher derzeit oft aus. Der norwegische Autor Christopher Grøndahl schrieb darüber ein Kammerspiel, das die Zielgruppe ansprechen sollte. Der in Crossover-Projekten erfahrene Gerhard Stäbler vertonte das Stück 2015, das über die Opernhäuser Oslo und Linz nun an die Münchner „Schauburg“, das Kinder- und Jugend-Theater.

Angesichts verfallender musischer Bildung an deutschen Schulen ist jedes Projekt, das die rundum dominierenden jungen Ohrstöpsel-Menschen an lebendiges, erst recht musikalisches Theater heranführen will, grundsätzlich zu begrüßen. Die Essenz von „Simon“ scheint auch ins Schwarze zu treffen: der durch Krankheit in seinem Zimmer „gefangene“ Simon nimmt per hypermoderner Videobrille mit dem Mädchen Mia „draußen im Leben“ Kontakt auf; er kann sie sehen, sie ihn nur hören; trotz digitaler Distanz entsteht eine Beziehung, die in realer Begegnung gipfelt – zwei junge Solisten; eine Violine, mal elektronisch, mal klassisch; ein spielerisch erweitertes Schlagwerk; elektronische und filmische Zuspielungen.

Was sich verkürzt gut liest, wird inhaltlich problematisch. In der Teilaufzählung: Simon hatte ein Motorradunfall; ob seine kleine Schwester (Filmzuspielung) dabei umgekommen ist, wird nicht ganz klar; Simon humpelt im Superman-Hoodie an Krücken in seinem durchsichtigen Raumgeviert – Kontrastzuspielung des Klassenparty-Raves als Video-Hintergrund; Mia ist Asiatin mit europäischem Vater; die Mutter ist ausgezogen; Mia vermisst nun in der Großstadt – Video mit tosendem Großstadtverkehr - das ländliche Haus; Mia findet den vielfachen Video-Kontakt erst „creepy“, dann doch anziehend; Simon schwankt zwischen selbstmitleidiger Verzweiflung und Aufbegehren; Mia will, dass ihr als Neurochirurg arbeitender Vater Simon operiert; die Operation ist inhaltlich und kompositorisch ausgespart; Mia hängt Fotos ihrer Mutter in der Stadt auf; Simon spielt Filmchen seiner kleinen Schwester vor; schließlich reißt Simon die Gaze-Wände seines Zimmers auf, betritt unsicher die reale Welt und die beiden treffen sich – „Hey!“ - Blackout. Das ist nicht nur „Viel“, das ist „Vielerlei“ und „Zuviel“.

In den rund 65 Minuten Spieldauer ist keines der Probleme eingehend gestaltet, sondern erscheint wie auf der Smartphone-Wischfläche heutiger Social Media: Lippenstift nach Terroristenführer nach neuem SUV nach Teenie-Unterwäsche nach neuem Flachbildschirm nach Rapper-Video… alles eingeebnet, gleich wichtig-unbedeutend, verkürzt, unterkomplex, verdummend oberflächlich. Müsste ein Theater mit Anspruch diese deskonzentriert „schwach-sinnige“ Realität nicht entlarven statt sie einfach abzubilden?

Leider hat Gerhard Stäbler dazu die Singstimmen mit Wort-Silben-Zerhackung und dramaturgisch nicht nachvollziehbaren Diskantsprüngen ganz im Stil der Moderne des 20.Jahrhunderts geführt. Jugendlich überschäumende Emotion fehlt. Die kreischend-krächzende E-Violine befremdet. Das mit betrommelten Töpfen und Dosen, zerbrochenen Tamburins, Metall-Xylophon, Wandkratzen mit Pappbecher und Mikrofon, Glöckchen und schließlich Glasharmonika erweiterte Schlagwerk macht reizvollen Sound, wirkt aber beliebig austauschbar. Lediglich ein mit Donnerblechen ausgeführter Streit zwischen Mia und Vater überzeugt. Die Solisten Stefan Blum (Simon), Karera Fujita (Mia), Philipp Nicklaus (Schlagwerk und Vater) und Gertrud Schilde (Violine) verdienten allen Applaus. Sebastian Bauers und Petra Weikerts Inszenierung samt Ausstattung erlaubte szenischen Fluss. Doch Text wie Musik lieferten kein packendes Musiktheater, das jungen Menschen mehr als die theatralische Wiederholung ihrer Wisch-Oberflächen bietet.

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