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Foto: Matthias Heyde.
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Melodramatische Intimität – Cornet Rilke von Viktor Ullmann an der Neuköllner Oper Berlin

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Nicht zum ersten Mal überzeugt ein Abend an der Neuköllner Oper genug, um eine Wiederaufnahme zu erleben. Gut besucht ist das mannigfaltige Programm des kleinen Theaters in der Karl-Marx-Straße allemal. Oft wird hier mit Formen experimentiert und dabei gleich mehrere Gattungsgrenze überschritten. Gerade wenn die Zahl der Zusehenden und -hörenden der Raumsituation geschuldet stark schrumpft, erhalten durch die erneuten Aufführungen auch diejenigen die Möglichkeit, die letztes Mal schlichtweg nicht mehr reingepasst hätten.

Ein schwerer schwarzer Vorhang begrenzt den Saal der Neuköllner Oper. Das Publikum sitzt auf zwei kleine Podien zu beiden Seiten der Spielfläche verteilt. In der Mitte, entgrenzt und doch ganz klar definiert, erhebt sich der Bühnenaufbau: ein zweistöckiges mit weiß-weichen Tüchern verhangenes Holzkonstrukt. Durch den transparenten Stoff schimmert sanft in gleißendem Licht ein weißer Flügel, auf dessen geöffneten Vorderdeckel ein schwarzes Keyboard leicht aufragt. Denn diese Fassung von Viktor Ullmanns Cornet Rilke arbeitet nicht ausschließlich mit dem Naturklang von Klavier und Stimme. Malte Giesens Re-Komposition des Melodrams verarbeitet und verzerrt an ausgewählten Stellen live abgenommene Töne ebenso wie im Vornherein Eingespeistes, bleibt dabei jedoch behutsam. Sublim schöpft die Komposition aus dem alten Material Stimmungen und Klangempfindungen; übersetzt sie in eine andere musikalische Sprache, statt sie zu überschreiben.

Rilke, Ullmann und Cornet – Ein unlösbares Spannungsfeld?

Cornet Rilke verfasste Ullmann 1944 in Theresienstadt, kurz bevor er nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde. Es scheint eine unlösbare Widersprüchlichkeit zu bergen, dass ein Opfer des Faschismus gerade diesen Text vertont. Einen Text, der vor Kriegsromantik und Patriotismus strotzt, den Soldaten in beiden Weltkriegen an der Front lasen. Einen Text, der aus der Feder eines Autors mit beklemmender Sympathie für den aufkeimenden Faschismus. Nicht weniger paradox mag Ullmanns Zitat wirken, welches zu Beginn an die weißen Leintücher projiziert wird:

„Zu betonen ist nur, dass ich in meiner musikalischen Arbeit durch Theresienstadt gefördert und nicht etwa gehemmt worden bin, dass wir keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen saßen und dass unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war.“

Als Gegenschuss ein Zitat Rilkes, aus dem deutlich der Hang zu Führerkult und Mussolini spricht. Womöglich ist der einzig angemessene Weg, über diese geradezu bitter-groteske Gemengelage zu informieren, ohne sie zu kontextualisieren. So bleibt es diesbezüglich konkret bei diesem gleich einem Film-Intro gehaltenen Prolog.

Raumsituation: Angenehme Enge

Handlungsraum ist viel, Platz wenig, wenn die zwei Darstellenden im und um die Konstruktion schleichen, stapfen, sie erklimmen oder auf ihr niederkauern. Die Nähe zum Publikum – durch das Leinen wie durch wolkige Nebelwände in zwei Hälften getrennt kann es lang nur den einseitigen Blick aufs Geschehen werfen – evoziert intime Obhut. Auch als die Tücher fallen und man dem Gegenüber beim Zusehen ins Auge blicken kann, strahlt die Atmosphäre noch Geborgenheit aus; im Angesicht der existenziellen Grenzerfahrung, die die Verse zeichnen. Ganz im Sinne der Musik drängt sich keine der szenischen Aktion auf; ohne dabei an Dramatik einzubüßen. Einzig im zweiten Abschnitt des Abends droht die Spannung kurz einzufallen, ehe sich die Energie wieder sammelt.

Geschichte von menschlichen Wegen

Regisseur Fabian Gerhardt, der auch für die Fassung verantwortlich zeichnet, setzt genau jene Verbindung von anmutigem Schweben und expressivem Pathos in Szene, die auch die Musik durchdringt. Verhaltene Bewegungen – dennoch von ständigem Drängen erfüllt. Nicht nur die Bühne von Rebekka Dornhege Reyes, sondern auch die Kostüme spiegeln dies wieder. Seiden legt sich der Stoff über die Körper von Schauspieler Dennis Herrmann und Sopranistin Brink Ósk Árnadóttir. Beschrieben werden die beiden im Programmzettel schlichtweg als ER und SIE. Die Erweiterung zur Doppelbesetzung bleibt nicht nur Kunstgriff um szenische Spannung zu ermöglichen, sondern verweist auch auf die Zwiespaltigkeit; gerade durch die vielen chorisch gesprochenen Passagen. Als gleichsam akustische Bereicherung erklingen Vokalisen von Árnadóttir mit sensibler Tongebung und zartem Vibrato. Vom Sounddesign aufgegriffen ergießen sich diese als Farbkaskaden, während Herrmann in klar-scharf gesendeter Artikulation die Poesie rezitiert. Abgeklärt und in zurückgehaltener Geste grundiert Markus Spyrek vom Pianoforte aus das akustische Geschehen. Das Berührende an diesem Abend erschließt sich einzig auf subtile Weise.

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