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Immer im musikalischen Dialog: Probe des Jungen Klangforums in Kreisau. Foto: Junges Klangforum
Immer im musikalischen Dialog: Probe des Jungen Klangforums in Kreisau. Foto: Junges Klangforum
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Menschen, die wissen, worum es geht

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Das Junge Klangforum Mitte Europa – ein trinationales Orchester im musikalischen Dialog
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Angefangen hat es mit Killy. Der wurde 75 Jahre alt, das war im Jahre 2002. Man wollte ihm huldigen. Es wurden Musiker gesucht. Killys Meisterschüler, Moritz Eggert, engagierte sich und machte sich auf die Suche, gemeinsam mit seinem Freund Christoph Altstaedt, der damals noch Klavier- und Dirigierstudent in Detmold war. Dieser fand die Musiker vor allem unter seinen Freunden aus seiner Zeit im Bundesjugendorchester. Es kamen sehr viele: ein ganzes Orchester. Es waren junge Nachwuchsmusiker, die den Wunsch hatten, vor allem zeitgenössische Musik „unverbraucht und ohne ideologische Barrieren“ aufzuführen. Es wurde ein Forum daraus, ein Forum, das Schaffenden und Ausübenden zu einem fruchtbaren Dialog verhelfen sollte und „Junges Deutsches Klangforum“ getauft wurde – mit Christoph Altstaedt als seinem Dirigenten. Ein Dirigent unter Freunden, eine ideale Voraussetzung.

Am Anfang des Dialogs stand nun also Killy, so nannten ihn liebevoll seine Kompositionsschüler an der Münchner Musikhochschule. Killy steht für Wilhelm Killmayer, den „Grantler aus München“ („Schönberg ist für mich ein Rätsel. Warum ist er eigentlich nicht zum Patentamt gegangen?“). Wilhelm Killmayer, in dessen Werken Wolfgang Rihm die eine Note, die zu viel wäre, noch nie gehört hat. Und erst vor wenigen Wochen hat das Klangforum sich mit einem Werk seines vorhin bereits erwähnten Meisterschülers Moritz Eggert auseinander gesetzt, einem Kontrabasskonzert. Darüber später mehr.

Killmayer wurde aufgeführt, in München, natürlich: „Im Freien“, „La joie de vivre“, „Sonanzen“, „Sinfonia 1“ und „Jugendzeit“. Viel Prominenz war bei diesem Geburtstagskonzert zugegen. Die Öffentlichkeit hatte Kenntnis vom Jungen Deutschen Klangforum genommen. Nun sollte es weitergehen. In dem Kulturmanager Holger Simon fand das Orchester einen kompetenten und engagierten Geschäftsführer, einen Idealisten, der neben seiner Tätigkeit als Fagottist im Orchester der Deutschen Oper Berlin ein Riesenarbeitspensum auf sich nahm – ohne Honorar, wie im Übrigen auch der Dirigent und die Musiker. An frühere Kontakte des Bundesjugendorchesters nach Terezín (Theresienstadt) in Tschechien und Krzyzowa (Kreisau) in Polen wurde angeknüpft. Vor allem entstand eine überaus fruchtbare Zusammenarbeit mit der Gründerin der „Hans Krása Stiftung – Terezín“, Gaby Flatow, und später mit Freya von Moltke und ihrer „Freya von Moltke-Stiftung für das Neue Kreisau“. Diese Kontakte hatten Folgen. Aus dem Jungen Deutschen Klangforum wurde ein trinationales Orchester, das nunmehr „Junges Klangforum Mitte Europa“ heißen sollte. Die ersten tschechischen Musiker aus Prag und Brünn gesellten sich bei der Arbeitsphase in Terezín im September 2003 dazu. Der völkerverbindende Charakter wurde weitergeführt und verstärkt. Bereits zwei Monate später wurden auch junge polnische Nachwuchsmusiker aus Krakau und Warschau in das Orchester aufgenommen.

Ohne Auswirkung auf die Programmauswahl konnten diese Kontakte nicht bleiben. Namen wie Viktor Ullmann, Pavel Haas, Gideon Klein und Hans Krása zieren das Komponistenverzeichnis ebenso wie die von Karl Amadeus Hartmann und Witold Lutoslawski. Erstere waren Inhaftierte des Konzentrationslagers Theresienstadt und wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges unterbrach die Karrieren von Hartmann und Lutoslawski. So kam zu dem musikalischen Dialog, den die Musiker sich auf ihre Fahnen geschrieben hatten, der Austausch- und Versöhnungsgedanke dazu. Richard von Weizsäcker, der schon bald die Schirmherrschaft des Orchesters übernommen hatte, schrieb im Vorwort eines der Programmhefte: „Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“ Das Junge Klangforum Mitte Europa hofft, diesem Geheimnis durch Konzerte in historisch bedeutsamen Orten mit entsprechenden Werken auf die Spur zu kommen. So in Terezín (2003 „Konzert für Terezín“ und 2005 „Tryzna“-Konzert anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers), in Berlin (2003 Konzert für Terezín in der Deutschen Oper, 2004 Konzert in der Philharmonie mit Werken von Janacék und Lutoslawski, 2005 Gedenkstunde im Deutschen Bundestag am 8. Mai aus Anlass des Kriegsendes vor 60 Jahren und ein Benefizkonzert zu Gunsten der „Freya von Moltke-Stiftung für das Neue Kreisau“) und in Krzyzowa/Kreisau (September 2005). Eine besondere Bedeutung bekam in diesem Zusammenhang die Aufführung eines Kindermusicals im Juni 2004 in Rammallah. Dort wurde das Musical „Al Fawanees“ des palästinensischen Komponisten Suhail Khoury zusammen mit 30 Kindern aus Palästina mit dem Klangforum zu Gehör gebracht.

Neben Richard von Weizsäcker nahmen auch Václav Havel („Ich kann nicht anders, als uns allen zu wünschen, dass im zukünftigen Europa alles so gut gestimmt sein wird wie die Musik dieser jungen Musiker.“) und Lech Walesa („Die Musik ist eines der wundervollsten kulturellen Güter – möge sie die Jugend in Europa vereinen und uns dabei gleichzeitig erlauben, die oft tragischen Biographien wunderbarer Komponisten besser zu verstehen.“) die Schirmherrschaft. Aufgrund des völkerverbindenden Charakters und seiner musikalischen Qualität wurde das Junge Klangforum Mitte Europa 2004 mit dem PraemiumImperiale-Nachwuchspreis „Grant for Young Artists“ der Japan Art Association ausgezeichnet, nachdem es bereits 2003 den Ehrenpreis des Landes Nordrhein-Westfalen erhalten hatte. Die Auszeichnung mit dem „Grant for Young Artists“ hatte eine Einladung nach Japan zufolge. Im Rahmen des Jahres „EU in Japan 2005“ und dem „People-to-People Exchange“ der Europäischen Union fanden im September 2005 Konzerte und Workshops in fünf verschiedenen Städten Japans statt. Krönender Abschluss war ein viel beachtetes Konzert in der Suntory Hall in Tokyo. Auf dem Programm stand neben Werken von Schumann, Mahler und dem japanischen Komponisten Maki Ishii („Fu-shi“, ein Auftragswerk der Suntory Music Foundation) das eigens für das Klangforum und seinen Dirigenten Christoph Altstaedt komponierte Kontrabasskonzert „Primus“ (aus dem ewig „Letzten“ oder „Untersten“ in einem Sinfonieorchester wurde, wenn auch nur vorübergehend, ein Primus) des Meisterschülers aus Killys Kompositionsklasse der 80er-Jahre an der Musikhochschule in München: Moritz Eggert. Das Werk ist dem Solisten Nabil Shehata gewidmet, der zu den Freunden des Dirigenten aus dessen BJO-Zeit gehört, Gründungsmitglied des Klangforums ist und sich seit gut einem Jahr Solobassist der Berliner Philharmoniker nennen darf, nachdem er zuvor beim ARD-Wettbewerb mit einem 1. Preis ausgezeichnet worden ist. Solche Karrieren soll es geben. Zu den Förderern der bisherigen Projekte des Jungen Klangforums Mitte Europa, das bis dato keinen festen Träger hat, gehörten neben der Europäischen Union in der Hauptsache Stiftungen und Fonds wie die Kulturstiftung des Bundes, die Ernst-von-Siemens-Musikstiftung, die Allianz-Kulturstiftung, die GEMA-Stiftung, das Bundesjugendministerium, das Deutsch-Polnische Jugendwerk, das Goethe-Institut, der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds und der Versöhnungsfonds Renovabis der Katholischen Kirche in Deutschland.

Die gemeinsamen Anstrengungen aller Beteiligten, dazu gehören auch die Mitglieder des Beirates (Karin Gräfin Dönhoff, Gaby Flatow, Angelika Fessmann, Hans Timm, Stanislav Riha, Bohuslav Zoubek, Jan Horicék, Elzbieta Penderecki und Tomasz Tomaszewski), führten erst jüngst zu einer weiteren Auszeichnung: dem Förderpreis 2005 der Marion Dönhoff Stiftung. Denn der vorbehaltlose Einsatz von Marion Dönhoff für eine Versöhnung mit den Staaten Osteuropas ist den Gründern und Mitgliedern des Klangforums zum Vorbild geworden. Sie gehören eben zu den Menschen, die – wie Marion Dönhoff es schon 1976 formulierte – „wissen, worum es geht“. Sie schrieb damals über solche Menschen, die in ihren Augen etwas ganz Besonderes waren: „Sie haben alle eins gemeinsam. Sie sind ganz echt – sie lassen sich nicht vom Zeitgeist oder von Werbeagenturen stilisieren. Sie machen keine Konzessionen an Publikum, Mode, Karriere. Sie sind ganz ohne Furcht. Sie folgen ihren eigenen Maßstäben und ihrer Intuition. Intuition hat mit Gefühl zu tun – und nicht im Sinne von Emotionen, sondern im Sinne von Gewissheit. Eben darum: Menschen, die wissen, worum es geht.“ Die festliche Preisverleihung erfolgte in Hamburg am 27. November im Deutschen Schauspielhaus durch Richard von Weizsäcker. Inzwischen zeigen namhafte Dirigenten und Leiter bedeutender Festivals Interesse am Jungen Klangforum Mitte Europa. Aber darum geht es ja eigentlich gar nicht.

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