Für jede Aufführung von Giacomo Pucchinis 1900 uraufgeführter„Tosca“ bleibt die Frage, ob es sich um ein „Kinodrama“ (Oscar Bie) oder „notorischen Kitsch schlechter Sorte“, (Richard Strauss), ein „Meistermachwerk“ (Gustav Mahler) oder auch „schwärzeste Gruseltheatralik“ (Julius Korngold) handelt. Erst die jeweilige Aufführung kann erneut das unglaubliche dramaturgische und kompositorische Handwerk Puccinis und damit die Aktualität des Werkes beweisen.
Menschen wie du und ich – Politik in der Oper: Puccinis „Tosca“ am Theater Bremerhaven
Das ist zwar in anderen Opern auch so, gilt aber besonders krass für „Tosca“, jener wahren Story aus dem Jahr 1800 über den verfolgten Republikaner Mario Cavaradossi, der zum Schein erschossen werden soll, weil seine Geliebte, die Sängerin Floria Tosca vom napolitanischen Royalisten, dem Polizeichef Baron Scarpia, begehrt wird. Der Maler Cavaradossi wird verdächtigt, den flüchtigen Hochverräter Angelotti zu verstecken, seine Geliebte, die Sängerin Floria Tosca verrät sein Versteck, um ihren Maler von der Folter zu befreien. Der Preis für seine Freiheit ist sie selbst: sie ersticht jedoch den Tyrannen. Doch der hat Macht über seinen Tod hinaus: die versprochene Scheinerschießung Cavaradossis hoch oben auf der Engelsburg ist eine echte und Tosca stürzt sich in die Tiefe.
Dabei fing die jetzige Premiere am Stadttheater Bremerhaven nicht gerade vielversprechend an: stereotype Operngesten ohne Richtung und Präzision. Das Geturtel von Tosca und Cavaradossi, die lächerliche Eifersucht der Tosca: etwas, das den Begriff Inszenierung verdient hätte, war zunächst einmal schwer zu erkennen. Scarpia, Cavaradossi und Tosca: normale, beliebige, auch langweilige Menschen, kein Despot, kein Malergenie und keine Diva.
Das änderte sich grundlegend im zweiten Teil, als klar wurde, was die Regisseurin Angela Denoke mit ihrer anfänglichen Harmlosigkeit wollte: es sind Menschen wie du und ich, die diese furchtbare Geschichte erleben, nicht Monster. Das Bemühen um einen politischen Realismus gelingt zunehmend auch erschütternd und endete mit stehenden, nicht endenwollenden Ovationen. Mit ihrer Schlichtheit verschenkt Denoke auch Puccinis unerhörte Wirkungen wie die, dass im Te Deum, einem Gottesdienst, an dem auch Scarpia teilnimmt, in seiner Gier nach Tosca schwelgt und regelrecht durchdreht: „Er am Galgen, sie in meinen Armen!“ Denoke macht liebenswerte Menschen aus allen dreien, realisiert vielleicht das, was Puccini sagte: „Was hab ich mit Helden und unsterblichen Gestalten zu schaffen? In solcher Umgebung behagt es mir nicht. Ich bin nicht der Musiker der großen Dinge. Ich empfinde nur die kleinen Dinge und nur sie lieb ich zu behandeln“.
So fühlt sich Tosca nicht nur angeekelt von Scarpia, es gibt es einen Rest von Menschenliebe, wenn sie dem gerade Ermordeten fast liebe- und reuevoll die Augen schließt. Wenn Scarpia immer wieder Momente des Respektes zeigt, aber von seiner Gier überrollt wird. Die Bildsprache der großen Sängerdarstellerin Angela Denoke ist eine ganz besondere, sie versucht konsequent, jegliche großen Effekte aus dem Inneren der Menschen zu entwickeln, und das nun seit 2021 in ihrer schon fünften Inszenierung (Katja Kabanowa, Salome, Don Giovanni und Macbeth).
Die inszenatorische Leistung müssen natürlich die Säger:innen vollbringen. Signe Heiberg als zarte, unpolitische Tosca ist ein hochdramatischer Sopran, die über anrührende Zwischentöne verfügt und aus ihrem „Visse d‘Arte“ einen Höhepunkt machen konnte. Bryab Boice als Scarpia kommt als attraktiver Mann daher, bis er seine kriminelle Haltung nicht mehr verbergen kann: auch stimmlich ein wunderbares Porträt. Konstantinos Klironomos als Cavaradossi konnte sich im Laufe der Aufführung steigern: anfangs zu grell, zu ungeschmeidig, gelangen ihm später weiche, tief empfundene Töne. An einem weichen und flexiblem Stimmcharisma aber kann noch gearbeitet werden.
Und Marc Niemann mit dem Philharmonischen Orchester Bremerhaven: er langt mit vorwärtsstürmender Wucht zu, findet aber auch schöne und viele Zwischentöne, die das Orchester eindeutig in den Beifallsjubel einbezogen. Die orchestrale Qualität wirkte vor allem in einem unterschwellig lauernden und drohenden Charakter. Die Musik macht permanent neue Räume auf, wirkliche oder virtuelle oder seelische. Das Bühnenbild von Susana Mendoza hatte erfreulicherweise nichts Pompöses, sondern fiel einfach durch seine requisitenarme Zurückhaltung positiv auf, ein riesiges Kreuz liegt am Boden, auf dem alles spielt. Verdiente standing ovations.
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