Das Forum neuer Musik des Deutschlandfunks wird Anfang April 20 Jahre alt. Kurator Frank Kämpfer hat es zu einem diskursiven Musik-Wort-Veranstaltungsformat entwickelt, bei dem sich Projekte mit neuer Musik auf gesellschaftlich relevante Themen und Fragen beziehen. Das 20. Forum widmet sich dem Themenfeld „Migration / Integration“. Chefredakteur Andreas Kolb sprach mit dem Deutschlandfunk-Redakteur:
neue musikzeitung: 20 Jahre Forum neuer Musik: Wir fühlt man sich als Festivalleiter?
Frank Kämpfer: Es ist ein gutes Gefühl – zum einen, dass es gelungen ist, das Format ständig weiterzuentwickeln, zum anderen, bei der Programmierung mit dem konsequenten Gesellschaftsbezug eine klare, wiedererkennbare Marke Deutschlandfunk zu prägen.
nmz: Was ist Ihnen wichtig in der Jubiläumsausgabe?
Kämpfer: Wir blicken quasi durch die Brille des diesjährigen Festival-Themas auch auf 20 Jahre Arbeit zurück. Das Forum wird in seiner Geschichte befragt, welchen Beitrag zur Integration und zur kulturellen Pluralität es selbst geleistet hat. Ich denke da zum Beispiel an unser besonderes Augenmerk auf Younghi Pagh-Paan und ihre in Deutschland lebenden Schülerinnen und Schüler. Ich denke überhaupt an unsere vielfältige Förderung junger Komponierender aus aller Welt, die sich in unseren thematischen Zusammenhängen ergab. Auch der eigene Erkenntnisweg gehört dazu. Von zaghaften, anfangs exotistischen Blicken etwa nach Mittelasien ist das Forum zu grundsätzlichen Fragen nach „anderen“, nicht-europäischen Modernen gelangt, etwa in Lateinamerika und in Fernost. Darin spiegelt sich natürlich die laufende Veränderung der Welt im Zuge von Globalisierung, Digitalisierung, durch den Aufstieg Chinas.
nmz: Wie viel Migrationshintergrund hat die Neue Musik?
Kämpfer: „Migrationshintergrund“ heißt, dass eine betreffende Person selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. Das trifft heute neben vielen anderen Berufen in Deutschland auch auf Musikerinnen und Musiker zu. Ich erkenne aber nicht, dass das in der Spezialwelt der neuen Musik der Sprachgebrauch wäre. Im Gegenteil, hier herrschen Offenheit und Pluralität. Sonst hätten sich Komponierende eigentlich aller Kontinente, Kulturen, Religionen und Generationen ja nicht in Deutschland niedergelassen und würden unsere zeitgenössische Musiklandschaft nicht so substanziell bereichern und prägen.
nmz: Migration, Pluralität, Diversität – was haben diese drei Schlagworte mit zeitgenössischer Musik zu tun?
Kämpfer: Diese Begriffe sind verankert in der Soziologie und symptomatisch für die Verfasstheit der zeitgenössischen Künste und der unterschiedlichen Gesellschaften der Gegenwart. Ich finde sie durchaus geeignet zur Beschreibung der internationalen zeitgenössischen Musik von heute – viel treffender als es der seinerzeit oft auch verächtlich gebrauchte Begriff „postmodern“ vermochte.
nmz: Drei sehr unterschiedliche Ensembles sind Gast. Warum gerade diese?
Kämpfer: Sie stehen exemplarisch für das, was sie beim Forum neuer Musik 2019 artikulieren. Aventure aus Freiburg, sehr erfahren im internationalen Kulturaustausch, versammelt bei uns Werke von Komponierenden, die aus dem Nahen und Mittleren Osten kamen und sich in Deutschland heute mit ihren kulturellen Wurzeln beschäftigen. LUX:NM spielt Stücke von UrheberInnen ihrer eigenen Generation, die Mauern verschiedenster Art kennen und sich an diesen reiben. Das ensemble 20/21 der Kölner Musikhochschule besteht aus Studierenden verschiedener Länder – sie erfahren bikulturelles Leben und Arbeiten soeben erstmals am eigenen Leibe.
nmz: Das Forumsthema 2019 lautet „Postmigrantische Visionen“. Vor dem Hintergrund politischer Jubiläen wie 70 Jahre Grundgesetz, 30 Jahre Mauerfall etc. wollen Sie Zuversicht formulieren. Wie ist das zu verstehen?
Kämpfer: Der politische Sommer 2018 war stark von Negativschlagzeilen geprägt. Positive Erzählungen sind aber wichtig, um die Deutungshoheit so wichtiger Themen wie Migration/Integration nicht populistischen Kräften zu überlassen. Als Deutschlandfunk tragen wir dazu bei, indem wir differenziert, mit Hintergrund und in Zusammenhängen berichten. In Bezug auf das Forum basiert die Zuversicht auf bisher 19 gelungenen Festivaljahren und auf der vielgestaltigen Welt der neuen Musik in unserem Land.