Mit Bohuslav Martinůs „Juliette“ zeigt das Theater Bremen ein geheimes „Lieblingsstück von vielen Regisseuren und Dirigenten“, wie der Dramaturg Ingo Gerlach sagte. Dass die Oper, die im Untertitel „La clé des songes“ heißt, ein zu Unrecht unterschätztes Werk ist, davon konnte die begeistert angenommene Premiere in jeder Hinsicht überzeugen.
Das 1938 in Prag uraufgeführte und in der Folge nur gelegentlich gespielte Werk nimmt in der Geschichte der Oper eine ganz eigene ästhetische Position ein: musikalischer Fortschritt, was auch immer das sein mag, war Martinůs Sache nicht. Martinůs Musiksprache ist reich an Klangfarben, vollkommen überraschenden Besetzungen und instrumentalen Zusammensetzungen, nimmt das Akkordeon und das Soloklavier hinein und bindet diese scheinbare Heterogenität in teilweise gewaltige Orchestereruptionen, die immer auch mit der Raumperspektive spielen. Da ist zunächst einmal den Bremer Philharmonikern unter der Leitung von Clemens Heil ein dickes Kompliment zu machen: wie der Dirigent hier die Schichten ineinander lagert und trotzdem erkennbar auseinanderhält, wie er den unterschiedlichen, aber nie eklektischen Ebenen nachspürt, das hatte in dieser deutschen Erstaufführung der französischen Fassung großes Format.
Die skurrile Geschichte des Buchhändlers Michel, der in einer südfranzösischen Kleinstadt eine Frau sucht und feststellen muss, dass die dortigen Bewohner keine Uhren und kein Gedächtnis haben, nimmt in der Inszenierung von John Fulljames einen ebenso witzig-unterhaltsamen wie auch bedrohlichen Verlauf – beides zentrale Eigenschaften des Traumes. Zunehmend weiß Michel nicht, ob er sich in einem Traum befindet, in den auch die Zuschauer hineingezogen werden. Und im dritten Akt, im Traumbüro, wo Träume bestellt und gekauft werden können, wo alle auf einmal nach einer Juliette suchen, weiß Michel nicht mehr, ob er überhaupt noch zurück will, denn er hat an dieser Stelle eine unbeschreiblich schöne Musik, die fragen lässt: Ist er im Paradies? Die Geschichte kann von neuem beginnen.
Es ist dem Team – neben Fulljames die Ausstattung von Johanna Pfau und ganz wichtig das Video und das Licht von William Galloway und Joachim Grindel – wirklich gelungen, diese Traumwelt auf der Basis eines geheimnisvoll beleuchteten Hotels herzustellen. Auch ist die Körpersprache der Darsteller wunderbar doppeldeutig: allen voran Nadja Stefanoff als Juliette, von der man bis zum Schluss eben nicht weiß, ist sie eine Fiktion oder eine Realität. Hyoyong Kim als Michel bewältigt vor allem sängerisch überragend seine Riesenpartie: meist ist er recht perplex, was um ihn herum passiert. Vielleicht könnte sich das im Laufe der Aufführungen noch mehr differenzieren wie es ihm letzten Akt dann auch gelingt.
Und glänzend das Ensemble, in dem alle mehrere Rollen singen: Tamara Klivadenko, Ulrike Mayer, Christoph Heinrich, Patrick Zielke, Loren Lang, Christian-Andreas Engelhardt und Wolfgang von Borries. Die Absurditäten, in denen „alles Reale fiktiv erscheint und alle Fiktionen die Gestalt von Realität haben“ – so der Komponist –, präsentierte das Ensemble mitreißend.
Weitere Vorstellungen: 3., 8., 11., 19. und 27. April.