Vom 29. September bis zum 17. Oktober 2020 gab es das Festspiel der deutschen Sprache im Goethe-Theater und den Historischen Kuranlagen Bad Lauchstädt in leicht verschlankter Form. Produktionen von Mozarts Singspielen „Die Entführung aus dem Serail“ und „Die Zauberflöte“ (Weimarer Fassung von 1794) gehören zum Angebot des von Edda Moser geleiteten Festspiels. Die Sprachambitionen sind im Schauspiel deutlich höher als im Musiktheater.
Réné Schmidt, Geschäftsführer der Historischen Kuranlanlagen von Bad Lauchstädt, huldigte Edda Moser, der Gründerin und Muse des „Festspiels der deutschen Sprache“, in seiner kurzen Eröffnungsrede 2020. Sie sei die gültige Erbin von Herzogin Erdmuthe Dorothea, Gründerin der Kuranlagen, von Goethes Gattin Caroline geb. Vulpius und Richard Wagners Ehefrau Nr. 1 Minna, geb. Planer, die in Bad Lauchstädt im Rollenfach der munteren Liebhaberin reüssierte.
Das ist überwiegend zutreffend. Aber für Edda Moser waren Musik, Literatur und Sprachkultur weitaus essenzieller als ein hedonistisches Privatleben. Sie ist eine echte Dame mit ehrlich artikulierten Standpunkten und ermüdet nicht in Mahnungen, auch Kinder der Freuden gehobener Sprachkultur teilhaftig werden zu lassen. Damit hat Edda Moser recht in Zeitläufen, in denen Transparente mit Schüttelreimen auf „Bäume“, „Räume“, „Träume“ aus Fenstern verrufener Quartiere hängen. Sie hat Erfahrungen mit Rolf Hochhuth und Peter Sloterdijk – nicht immer gute – und es wäre möglich, dass sie Florian Illies („Generation Golf“), den vorgesehenen Laudator des Jubiläum 200 Jahre im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt zum 26. Mai 2020, in den Rang eines Paladin der Goethestadt Bad Lauchstädt erheben könnte. Denn Edda Moser hat Sinn für Humor: Neben Schillers „Turandot“ und der Klassiker-Rezitation mit Schillers „Kabale und Liebe“ gab es 2020 den Schwank „Raub der Sabinerinnen“ der Brüder Schönthan mit Katharina Thalbach als Theaterdirektor Striese.
Auch Mozarts Singspiele „Die Entführung aus dem Serail“ und „Die Zauberflöte“ gehören zum Festspiel der deutschen Sprache. Das könnte zu Verwechslungen führen, weil die im Goethe-Theater gespielten Inszenierungen von „Der Freischütz“ und „Così fan tutte“ (in deutscher Ausführung) der Oper Halle nicht zu diesem gehören. Eine kleine Sensation ist die „Zauberflöte“ als weltweit einzige Aufführung in der Bearbeitung von Christian August Vulpius für das Weimarer Hoftheater aus dem Jahr 1794 – mit Rekonstruktion der Weimarer Ausstattung, in der die den Prinzen Tamino verfolgende „listige Schlange“ ein „Drache“ ist. Statt „Pamina retten ist mir Pflicht!“ heißt es dort: „Tamino hält, was er verspricht!“. An mindestens einer Stelle hat Vulpius' Fassung sogar Vorzüge durch eine sinnvoll verknappte Zusammenfassung der Vorgeschichte. Schikaneders originale Begründung der Feindschaft der Königin der Nacht mit dem Priesterfürst Sarastro (gute Stimme mit Dialogschwäche: Sava Vemic) wird oft gestrichen, weil die Sängerin sich für das Koloraturengewitter der folgenden Rache-Arie schonen muss. Kein Problem für Vanessa Waldhart, die als sternflammende Königin mit kaltem Furor und stechender Brillanz glänzte.
Ohne Orchester, dafür mit Henri Sigridsson am historischen Hammerflügel und Mitgliedern des Ensembles l’arte del mondo an den klingenden Zauberdingen Flöte und Glockenspiel, war es fast schöner. Attilio Glaser gibt durch Stimme und Erscheinung passgenauen Märchenprinzen Tamino, Franziska Krötenheerdt eine engelhafte Pamina ohne Adelsdünkel, Maximilian Fieth einen bewegenden und doch gefährlichen Aufpasser Monostatos. Werner Ehrhardt am Dirigentenpult und Igor Folwills Spielleitung ging es in erster Linie um Verspieltheit ohne Grübeln.
Auch in „Die Entführung aus dem Serail“ dienten transparente Atem-Visiere auf der Bühne zum Schutz. Aus dem Part der treuen Konstanze entfernte man die „Traurigkeit“-Arie und der als Belmonte stimmlich bemerkenswert jugendliche Stephen Chambers musste sogar auf zwei Soli verzichten. Auch am finalen Rundgesang wurde grob geschnitten. Sonst gelang vieles packend vor den orientalisierenden Tonkonserven des Pera-Ensembles. Stephanie Eliot zeigte, dass Konstanze das Treuebekenntnis zu Belmonte nicht ganz mühelos von den Lippen geht. Bei Ani Taniguchi, ihrer Bediensteten Blonde, steckt hinter dem vitalen Silberklang mehr als eine selbstbewusste Leibeigene. Cornel Frey ist als Diener Pedrillo an Kraft und Lebenserfahrung seinem Herrn überlegen. Unglaubwürdig wurde es am Ende: Ausgerechnet der mit verführerischer Bass-Schwärze begnadete Osmin (Johannes Stermann) geht bei der Partnerwahl an der türkischen Riviera leer aus.
Das stört die zauberhafte Atmosphäre Bad Lauchstädts kaum, auch nicht Regie-Flüchtigkeiten wie die anachronistischen Discofox-Schritte in der „Zauberflöte“ und die zu lauen Herzensergießungen des sentimentalen Paars in der „Entführung“. Gleißende Kerzenleuchten verhindern auf der Bühne das in historischen Theatern gern rekonstruierte Changieren von Bronzefarben und Schatten.
Am herzlichen Beifall hatte Edda Moser innige Freude. Vielleicht zeigte sie diese so deutlich, weil bei der ersten „Zauberflöte“-Aufführung ein Team von ARTE für ein umfangreiches TV-Porträt dem imaginären Schleppensaum der ungekrönten Königin von Bad Lauchstädt folgte. Edda Mosers stratosphärische Glanzleistungen in Mozart-Partien sind in Bad Lauchstädt derzeit schwer vorstellbar. Das schadet nicht, aber die Dialogfähigkeit der internationalen Besetzungen bleibt oft in recht großem Abstand zum Anspruch des Festspiels. Es wäre nur noch ein winziger Schritt zum Workshop für Musiktheater-Dialogkompetenz.