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„Siegfried“ (Premiere 12.03.2023) Foto: Annemone Taake
„Siegfried“ (Premiere 12.03.2023) Foto: Annemone Taake
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Mit trockener Prägnanz ins Jubelfinale: Richard Wagners „Siegfried“ in Coburg

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Das Landestheater Coburg hat eine lange Wagner-Tradition. Hier arrangierte der Kapellmeister Gotthold Ephraim Lessing Wagners „Ring des Nibelungen“ für kleinere Orchester und gestalteten die Hoftheatermaler Brückner opulente Bühnenvisionen. Ein schlank gehaltener und dramatisch pointierter „Siegfried“ gelangte am Sonntag zur Premiere mit Jubelstürmen. „Götterdämmerung“ und ein kompletter Zyklus „Der Ring des Nibelungen“ folgen ab 2023/24 während der Theatersanierungsphase in der Ersatzspielstätte Globe.

Für jemanden, die*der die ersten beiden Coburger „Ring“-Teile „Rheingold“ (Premiere 2019) und „Die „Walküre“ (Premiere wegen der Pandemie erst 2022) nicht gesehen hat, erweist sich Alexander Müller-Elmaus zielgerichtet deutliche Regie als „Kopfgeburt“ in Bildern. Wenn Siegfried, Wotans erwünschter Weltretter, im ersten Akt von „Siegfried“ zum ersten Mal nach seiner eigenen Identität und seinen Eltern fragt, reißt er sich das seine Hirntätigkeit erfassenden Elektrodennetz vom kahlen Schädel. Die Risswunden sieht man bei ihm bis zum Schluss. Nach Siegfrieds Kampf mit dem Drachen Fafner (gellend schwarz: Bartosz Araszkiewicz) schwebt das von fast der ganzen Personage begehrte Nibelungengold darnieder – in Form eines menschlichen Gehirns. Der zweite „Ring“-Tag bringt in Coburg die Fortsetzung des in „Rheingold“ und „Walküre“ begonnenen Erinnerungsspiels – beobachtet von ärmlichen Menschen und solchen, die das Geschehen dokumentieren. Das sind die Gibichungen aus „Götterdämmerung“. Die Stimme des Drachen Fafner kommt aus einem riesigen Megaphon, bevor er nackt in Menschengestalt an dem Brustschuss durch Siegfried verendet.

Zeichen der Entgeheimnissung der Welt ist auch, dass Siegfried nicht das gebrochene Schwert Nothung zusammen schmiedet, sondern aus dessen Material einen im Lauf des Abends reichlich zum Einsatz kommenden Revolver gießt. Die Chancen zum Abdriften in die Berserker- und Hooligan-Szene stehen für diesen Siegfried gut. Mit der rot leuchtenden Kopie des Walkürenfelsens hinter Feuerschwaden aus dem Atelier der Hoftheatermaler-Dynastie Brückner hat der Abend einen einzigen dekorativen Eye-Catcher. Sogar der Pelzmantel vom hier zum Wanderer gewordenen Gottvater Wotan hatte bereits bessere Zeiten erlebt. Besonders schlimm steht es um Erda, der Urmutter in violetter Jogginghose mit strähnigen Haaren. Auch Julia Kaschlinskis Kostüme entmystifizieren Wagners Weltdrama also gründlich. Eine Brünnhilde in Turnschuhen tritt an die Stelle des Siegfrieds erotisches Bewusstsein symbolisch erweckendes Waldvöglein im Satin-Kleidchen mit orangem Luftballon.

Desillusionierend sogar in Brechtschem Sinne steigert sich der Premierenabend des im Rahmen der ersten Bayreuther Festspiele 1876 uraufgeführten „Siegfried“ durch zwei glücklich gemeisterte Besetzungsmalheurs. Als kleineres übernahm Claudia Bauer vom Landestheater Niederbayern die Stimme des Waldvogels für die dazu spielende Francesca Paratore. Weitaus härter trifft es eine Theaterleitung, wenn der Sänger der Titelpartie in der längsten Herausforderung des Standardrepertoires nicht auf voller gesundheitlicher Höhe ist. Patrick Cook brachte für den kräftigen Rowdy Siegfried die Statur mit und auch eine im Leisen vollauf tragfähige Kondition. Für den langen Monolog und die Schlussszene spielte sich der unter den Beobachtern agierende Zoltán Nyári nach vorn, setzte mit stimmlicher Ausgeruhtheit, Konzentration und der die gesamte Produktion auszeichnenden Sorgfalt der Diktion ein. Genuine Helden-Protze sind beide nicht: Cook bringt sich als die Worte akzentuierendes, leicht ansetzendes und deshalb alle Höhen meisterndes Leichtgewicht durch den langen Abend, dessen Stimmcharakter zur gespielten Rauheit Siegfrieds trotzdem nicht in Widerspruch tritt. Das befeuerte sowohl die energische wie leuchtkräftige Brünnhilde von Åsa Jäger wie den Generalmusikdirektor Daniel Carter, der in der Erweckungsszene mit dem Philharmonischen Orchester immer üppiger und schwelgender agiert.

Im geringen Raumvolumen entwickelte man eine beeindruckend individuelle Klangkontur, in der weder orchestrales Charisma zum Selbstzweck wird noch Wagners „unendliche Melodie“ zum Detail mitreißenden Strom wird. Das liegt nicht am vor fast hundert Jahren entstandenen Arrangement für kleinere Orchester durch den Coburger Kapellmeister Gotthold Ephraim Lessing: Dieses wird auch von anderen Theater verwendet, ohne dass man es so grundehrlich zugibt wie das Landestheater Coburg in den Kopfzeilen des Besetzung. Der Reiz des Coburger „Siegfried“ liegt in der ganz starken Präsenz von sängerischer Deutlichkeit.

Auch ohne den Missbrauch als neurologisches Versuchskaninchen hätte Siegfried nichts zu lachen gehabt. Der Zwerg Mime ist fast baumhoch und ziemlich schlaff. Simeon Esper hat die rhetorische Kampfbereitschaft, die immer wieder aus dem Minenfeld von Siegfrieds und Mimes Zweisamkeit züngelt, nicht schön, aber mitreißend in der Stimme. Zu ihm gesellt sich mit Michael Lion in der Wissenswette ein Wotan-Wanderer von weniger melancholischer als gleichgültiger Resignation. Der Lack ab und die Lust futsch sind bei Evelyn Krahe als ohne Tiefen-Betörung auskommende Erda und dem hinter seinem Anzug anämisch undämonischen Alberich von Martin Trepl. Dem ersten Jubel nach den trügerisch aufjauchzenden Schlussakkorden folgten kräftige Beifallsorkane.

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