In kaum einer Epoche hat es ein so intensives Aufeinandertreffen der verschiedenen Kunstbereiche gegeben, wie in unserer Zeit. Führte das romantische Gesamtkunstwerk eher zu einer Gleichschaltung der Künste, da alles unter der Hand eines Autoren geschah, hat die zeitgenössische Kunst einen völlig anderen Weg eingeschlagen: Gerade das Nicht-Vereinheitlichbare der Kunstsektoren enthält ein knisterndes kreatives Potential. Die traditionelle Frühjahrstagung des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt griff diesen Gedanken auf, und widmete sich in diesem Jahr den Bezügen zwischen der Neuen Musik, der Literatur, der Bildenden Kunst und der Architektur.
Im Eröffnungskonzert improvisiert Peter W. Schatt an der Bassklarinette zu Bildern und Skizzen von Bruno Bartolozzi, Violeta Dinescu und Hans-Joachim Hespos. Zugleich erläutert er in Kurzvorträgen das Dilemma seines Spiels: Der Betrachter erfasst ein Bild in einem Augenblick, während das Hören eines Musikstückes immer einen zeitlichen Prozess darstellt. Das Spielen zu Bildern erfordert die Transformation der Sprachen beider Kunstbereiche und führt so zu etwas ganz Neuem. Noch vielfältiger in der Verknüpfung der Künste ist der zweite Beitrag des Abends.
Mit Franz Mon konnte einer der Pioniere der konkreten Poesie für die Tagung gewonnen werden. Durch endlose und zugleich perfide Satzpermutationen sprengt er in seinen Texten die sonst so selbstverständliche Stringenz der Sprache. Analog hierzu bricht Helmut Bieler-Wendt in seiner Performance mit musikalischen Konventionen, wenn er einen Flügel mit zerknülltem Zeitungspapier präpariert oder auf der Tänzerin Wiebke Höljes als lebendiges Instrument trommelt.
Genauso spritzig wie diese Performance ist Peter Ablingers Installation WEISS/WEISSLICH 31e. Nasse Schwammtücher werden an einem Gestell befestigt und erzeugen, da sie auf Glasröhren tropfen, aleatorische Strukturen. Trotz des simplen Aufbaus entstehen komplexe rhythmische Überlagerungen, die an Ligetis „Poème Symphonique“ erinnern. Viele andere Stücke des Performancekonzerts am Donnerstag verknüpfen demgegenüber so lose musikalische Improvisationen mit neuartigen Instrumenten oder Filmprojektionen, dass sich ihr Klangbild trotz unterschiedlicher Ausgangskonzepte kaum voneinander unterscheidet.
Nicht nur Improvisatoren können sich durch die Konfrontation mit anderen Kunstsektoren inspirieren lassen. Sibylle Schaible (Sopran) und Johannes Nied (Kontrabass) lassen Beat Furrers Umgang mit Sprache in der Komposition Lotófagos (2006) am Freitagabend meisterhaft erklingen.
Furrer setzt die Klangfarben des Kontrabasses – von schimmernden Flageoletts bis in die tiefsten Lagen – fein dosiert zum Lautklang des Soprans ein. In Höchstform bestreitet das Ensemble Aventure auch den Rest des Konzertes. Besonders in den anspruchsvollen gedehnten Passagen von Nicolaus Hubers „O dieses Licht!“ (2002) gelingt es den Interpreten exzellent, eine flirrende Spannung aufrecht zu halten.
Bildhafteres liefert das Projekt Caprichos Goyescos. Jürgen Ruck spielt an der Gitarre Solo neun Stücke zu Radierungen von Francisco Goya. Von virtuosen polyphonen oder flamencoartigen Strukturen (José Maria Sanchez Verdú, Bruno Dozza) bis hin zu schreienden Geräuschklängen (Christian Billian) reicht die Auseinandersetzung der Komponisten. Ruck setzt sie bravourös, die Möglichkeiten und Grenzen des Instrumentes bis zum ungewollten Saitenriss ausreizend um. So wie im letzten Beitrag der Tagung Dieter M.Gräf in den Lesungen seiner Gedichte immer wieder von den dynamischen Improvisationen von Günther Baby Sommer am Schlagzeug mitgerissen wurde, wird die kommende Darmstädter Frühjahrstagung sicher abermals viele hochdynamische Begegnungen zwischen Künstlern hervorbringen: Die Beziehungen zwischen der Neuen Musik, dem Film, dem Musiktheater und dem Tanz stehen auf dem Programm. Hier findet ein lebendiger Austausch mit der Kunst der Zeit weit jenseits der vor langer Zeit sprichwörtlichen starren Darmstädter Ideologie statt.