Immer häufiger findet Arnold Schönbergs Komposition „Pierrots lunaire“ op. 21 seinen Weg auf die Theaterbühne. Eine Inszenierung im Berliner Theater im Delphi am Prenzlauer Berg stellte die symbolbeladenen Aspekte der zugrundeliegenden Texte Alfred Girauds auf poetische Weise in den Vordergrund, wartete allerdings auch mit einigen Schwächen auf.
Dass Arnold Schönbergs „Dreimal 7 Gedichte aus Albert Girauds Pierrot lunaire“ op. 21 – kurz „Pierrot lunaire“ – mittlerweile nicht nur im Konzertsaal häufiger erklingen, sondern auch ihren Weg auf die Theaterbühne finden, ist ein erfreulicher Beleg dafür, dass die Komposition gut 110 Jahre nach ihrer Uraufführung (1912) endlich im Repertoire angekommen ist. Entscheidet man sich für eine Inszenierung, stellt sich freilich die Frage, wie sich die knapp 35 Minuten Spielzeit zu einem ganzen Theaterabend ausweiten lassen. Barrie Kosky beispielsweise inszenierte das Werk im Herbst 2020 an der Komischen Oper Berlin kombiniert mit zwei kurzen Stücken von Samuel Beckett. Kerem Hillel, Student für Musiktheaterregie an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin, wählte für seine Produktion im Theater im Delphi am Prenzlauer Berg einen ganz anderen Weg: Er leitete den Abend durch die Rezitation zusätzlicher Pierrot-Gedichte aus Girauds 1884 erschienenem Zyklus „Pierrot lunaire: rondels bergamasques“ (in der von Schönberg benutzten Übersetzung Otto Erich Hartlebens) durch die Sprecherin Charlotte Schön ein. Damit führte er geschickt den Zusammenhang zwischen normaler Gedichtrezitation und der hochartifiziellen Rezitationskunst von Schönbergs Miniatur-Monodramen vor Augen.
Auch die Entscheidung, in diese Lesung vier Musiknummern einzustreuen, um so den später bedeutsamen Klangfarben und kammermusikalischen Kombinationen Gelegenheit zur individuellen Artikulation zu geben, war prinzipiell zu begrüßen. Als Problem erwies sich allerdings die Wahl der einzelnen Musikstücke, die historisch von Bach bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts reichte und in musikalischer Hinsicht keinerlei Bezüge zu dem nachfolgenden Schönberg-Stück erkennen ließ. Allzu offensichtlich trat hier der Umstand hervor, dass die solistisch oder im Duo musizierenden Ensemblemitglieder, allesamt gleichfalls Studierende der Eisler-Hochschule, schlichtweg etwas aus ihrem aktuellen Repertoire vortrugen, um diesen ersten Teil musikalisch aufzufüllen. Die einmalige Chance, Girauds Texte durch eine ausgeklügeltere Musikwahl stärker vor dem Hintergrund der im Programm genannten Rahmendaten – „Text 1884, Musik 1912“ – auszuleuchten und auf diese Weise für eine kulturgeschichtliche Kontextualisierung zu sorgen, wurde hier leider verpasst.
Immerhin konnte die poetische Inszenierung, wesentlich gestützt von den vorwiegend in dunklem Blautönen gehaltenen Farben von Kostümen und Bühnenbild (Sarah Wolters) und dem Lichtdesign (Philine Stich), für dieses Manko entschädigen: Hillel führte neben der Sopranistin Yael Gil zwei weitere Akteure ein, die den Text der von Schönberg gewählten Gedichte durch ausgeklügelt choreografierte Bewegungsverläufe illustrierten und einzelne Aspekte der symbolbeladenen Sprache ins Visuelle verlängerten. So gingen die pantomimische Handhabung einer stilisierten Pierrot-Puppe durch Tizian Steffens und Enikő Mária Szász’ Tanz mit einem leuchtenden Ballon-Mond vor dem Hintergrund einer von der Decke hängenden Stoffbahn immer wieder neue Beziehungen zueinander ein, kontrapunktiert und kommentiert durch das szenische Spiel der Sopranistin. Letzteres forderte allerdings auch seinen Tribut: Denn nicht immer war die Koordination von Sprechstimme und Ensemble ideal, und auch bei der Ausdifferenzierung des Sprechgesangs (insbesondere der Flüsternuancen) waren im Hinblick auf Dynamik, Klangfarben und Tonfall die vokalen Gestaltungsspielräume lange nicht ausgeschöpft.
Das unter Leitung von Oliver Wunderlich musizierende Ensemble ßahar (mit Nanami Nomura, Klavier; Ángela Aguareles Solsona, Violoncello; Miriam Helms Ålien, Violine/Viola; Sarah Maschio, Flöte/Piccolo; Rucheng Fan, Klarinette/Bassklarinette) gab sich viel Mühe bei der Umsetzung der anforderungsreichen Partitur. Auch wenn gelegentlich der Eindruck von Zusammenhalt fehlte und die Intonation problematisch war, konnten die Musiker:innen doch immer wieder – so etwa im ausgedehnten instrumentalen Schlussabschnitt von Nr. 13 oder in den Linienführungen von Nr. 21 – mit klanglich fein gezeichneten Details punkten.