In Claudio Monteverdis letzter Oper sind die Menschheitsfragen höchst aktuell, meint unsere Kritikerin vor Ort, Ute Schalz-Laurenze. Die Inszenierung von Ingo Kerkhoff setzt auf psychologische Deutlichkeit, das Sängerinnen-Ensemble überzeugt durchweg.
Mord, Neid, krimineller Ehrgeiz, Betrug, Opportunismus... alles lässt sich in der Aufführung am Staatstheater Hannover nur mit dauerhaftem Trinken ertragen: so jedenfalls baut Ingo Kerkhoff seine Inszenierung von Claudio Montverdis letzter, 1542 entstandener Oper „Die Krönung der Poppea“ auf. Es gibt nur einen langen Tisch mit vielen Flaschen, aus denen sich alle bedienen, im Hintergrund sitzen die zwölf Musiker (Raum: Dirk Becker). Und von diesem Tisch aus entwickelt sich das so böse Kammerspiel mit der so schönen Musik, für das Kerkhoff nicht selten deftig wurde. Nach einem etwas in die Irre führenden Anfang mit vielen konventionellen Operngesten, legte er den Fokus legte er zunehmend auf psychologische Deutlichkeit: im Rom Neros hat sich die Kurtisane Poppea bis zur Kaiserin hochgeschlafen, Stella Motina findet stimmlich und schauspielerisch zu vielen Facetten ihres Charakters. Monika Walerowicz als Nero ist ein gebieterisch souveräner Nero.
Besonders berührt die Verzweiflung von Poppeas Ehemann Ottone, der immer mehr unter Druck gerät, bis Neros verstoßene Gattin Ottavia ihm den Mordauftrag an Poppea gibt: Juli-Marie Sundal mit ausdruckstarkem Mezzo. Die zentrale Arie der Ottavia, deren stotternder Anfang „A-A-Addio Roma“ zu den Höhepunkten der Poppea-Musik zählt, war erschütternd aufgehoben bei Josy Santos. Die Amme, die zu Anfang Poppea vor ihrer Machtgier warnt, merkt am Ende, wieviel auch sie von Poppeas Aufstieg haben kann: eine begeisternde Charakterstudie von Sung-Keun Park. Und dann noch der Philosoph und Lehrer Neros, der viele kluge Sachen sagt, die nichts bringen: Daniel Eggert mit wohltuendem Bass zwischen den vielen Frauenstimmen. Die Drusilla ist mit Ania Vegry keine Nebenfigur, sondern die in der Liebe zu Ottone ihren Weg in den Hofintrigen durchaus sucht. Und Ylva Stenberg als Amor strahlt über allem: sie, die zu Anfang in der Wette mit den Göttern Fortuna und Virtú behauptet hatte, dass die Liebe die Macht in der Welt habe.
Die Themen muss man nicht aktualisieren, sie sind mehr als aktuell. Kerkhoff arbeitet mit feinen Gesten die jeweilige Einsamkeit und daraus resultierenden Brutalitäten und Egoismen der Figuren aus, vermeidet auch Komik nicht. Aber er setzt auch noch einen drauf und gerät streckenweise in die Holzhammer-Methode: Als klar ist, dass es für Poppea mit Nero klappt, schneidet sie allen die Kehle durch. Seneca führt den von Nero befohlenen Selbstmord nicht durch, sondern Nero ersticht ihn. Und nach einem der schönsten Liebesduette der Operngeschichte, dem abschließenden „Pur ti miro“, hat auch Poppea das Messer am Hals. Man kann Kerkhoff da sicher recht geben, dass es so kommen wird.
Dem musikalischen Leiter Howard Arman gelang mit den Mitgliedern des Staatsorchesters und den Gästen an Laute, Harfe, Violone, Orgel und Blockflöten eine Vielfalt an musikalischen Charakteren. Besonders zu loben ist die vibratolose Realisierung der Singstimmen, die alle aus dem Ensemble kamen. Sie müssen oft mehr sprechen als singen und immer irgendwie dazwischen sein, was überzeugend gelang.
Es war die letzte Inszenierung unter der Intendanz von Michael Klügl, der seit 2006 in Sachen Regie viel gewagt hat: Man denke nur an Benedikt von Peter, Frank Hilbrich und immer auch Ingo Kerkhoff, von dem noch viel zu erwarten sein wird.