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Morgen bist du eine zerbrochene Fiedel

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Die Uraufführung von „Das Fieber – Solo für zwei Stimmen“ von Martin Reinke und Siegfried Palm
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Georg Büchner starb 1837 mit 23 Jahren an Typhus, und die ungeheure Wirkung der Werke, die er hinterließ, war nicht zu erahnen: Fragmente des verrückten und verrückenden Denkens (Lenz, Woyzeck), dahingeworfen mit einer Sprachgewalt, die Literatur und Leben nie trennte (Hessischer Landbote, Danton), Entwürfe der Utopie, die sich als Lustspiel tarnt und voll bitteren Spottes steckt (Leonore und Lena), und nicht nur in den wissenschaftlichen Arbeiten (Über die Schädelnerven) immer eine Suche nach dem neuralgischen Punkt, an dem sich Reiz und Schmerz treffen.

„Jeder Tritt eine Musik! wir Fiedeln, zerbrochen morgen, ausgespielt Die Melodie darauf – ich lache d´rüber.“ („Das Fieber“ nach „Dantons Tod“) Georg Büchner starb 1837 mit 23 Jahren an Typhus, und die ungeheure Wirkung der Werke, die er hinterließ, war nicht zu erahnen: Fragmente des verrückten und verrückenden Denkens (Lenz, Woyzeck), dahingeworfen mit einer Sprachgewalt, die Literatur und Leben nie trennte (Hessischer Landbote, Danton), Entwürfe der Utopie, die sich als Lustspiel tarnt und voll bitteren Spottes steckt (Leonore und Lena), und nicht nur in den wissenschaftlichen Arbeiten (Über die Schädelnerven) immer eine Suche nach dem neuralgischen Punkt, an dem sich Reiz und Schmerz treffen. Am 19. März wurde im Kölner Schauspielhaus ein Stück aufgeführt, das sich auf aufregende und intensive Weise Büchner und seinen Texten nähert. Der Schauspieler Martin Reinke, der zur Zeit den Danton in Köln spielt, hat in zweijähriger Arbeit eine Montage aus allen Texten Büchners und Tagebuchaufzeichnungen von Caroline und Wilhelm Schulz angefertigt, die den Todkranken pflegten: „Das Fieber – Solo für zwei Stimmen“.

Die zweite Stimme ist Siegfried Palm, der grosse kleine Mann der zeitgenössischen Cello-Kunst, der sich auch im Alter von 73 Jahren und nach einer Handoperation noch immer gern auf anstrengende Abenteuer einlässt. „Es ist schon etwas ganz Besonderes für mich, etwas außerordentlich Besonderes, so etwas habe ich noch nicht gemacht. Das reizt mich und ist eine Herausforderung. Es ist ein kammermusikalisches Duo, eben ein ‚Solo für zwei Stimmen‘, eine totale Montage von Fieberwahn-Texten.“

Siegfried Palm / Foto: Langensiepen

Der Plan für ein gemeinsames Projekt bestand schon lange, dann brachte Martin Reinke seine Idee der Büchner-Montage in eine Textgestalt. In einer anfangs ganz offenen Probenarbeit, die sich über ein Jahr hinzog, entstand ein Stück, das nicht auf musiktheatralische Bühnenwirkung setzt, aber auch kein musikalisch begleiteter Rezitationsabend eines Schauspielers ist. Es sollte auf keinen Fall Bühnenmusik, Illustrationsmusik sein, erklärt Siegfried Palm: „Reinke las den Text und ich spielte ihm etwas vor, von dem ich dachte, dass es passte oder genau kont-rär sei, als Gegensatz wirken könnte. Bei jeder Probe kam etwas Neues dazu oder wir haben etwas wieder weggelassen. Wir wollten nicht die Zauberkiste öffnen, oder abwechselnd einen Text lesen und Musik spielen.“

Franz Xaver Ohnesorg wollte das Stück in der Kölner Philharmonie aufführen lassen, jetzt ist es auf eine Theaterbühne gebracht worden (eine weitere Aufführung wird dort am 23. April stattfinden). Doch „Das Fieber“ ist kein Schaustück, sondern durch die Reduktion auf reine Klanggestalt eher ein Hörstück geworden. Es wird auch gar nicht erst versucht eine Theatersituation herzustellen: Der Schauspieler Reinke steht neben dem Musiker Palm auf einem kleinen Podest, das nicht genug Platz für Bewegungen in irgendeine Richtung bietet, beide im Frack, vor ihnen Notenständer. Und Reinke nutzt kaum visuelle Ausdrucksmittel, vielmehr zieht er sich ganz zurück auf diesen kleinteiligen Text, der zwischen Themen und Personen hin- und hertaumelt, der sich in Irrgängen durch einen labyrinthischen Bau aus Poesie, Revolution und Medizin bewegt. Sein Georg erzählt etwas überreizt, erhitzt, versucht Gedanken zu bündeln, was dazu führt, dass sie ihm immer wieder zerfasern. Spricht zu sich und zu einem Publikum in der Anstrengung, den Wahn zu kontrollieren.

Palm bereitet einen Resonanzboden, wenn er kurze Passagen aus Bernd Alois Zimmermanns Cello-Solosonate zupft, mit einem Moment aus Cristóbal Halffters „Variationen auf das Thema SACHER“ aus der Stille in die zerreissende Spannung crescendiert, „als jage der Wahnsinn auf Rossen hinter dir“ oder improvisierend mit der Fingerkuppe über die Seiten fährt. Die klanglichen Ereignisse bleiben immer sparsam, konzentriert.

Ein selbstverständliches Stimmen des Cellos wird kommentiert: „Uh! Was für ein Ton“, und Palm wird unbeabsichtigt Mitspieler „ah, du – St. Just. St. Just ist musikalisch“. Reinke zeigt auf Palm, der eine Passage aus Krzysztof Pendereckis „Capriccio oder Siegfried Palm“ auf dem Cello-Corpus trommelt – „Jawohl, meine Herren, meine Damen, hier ist zu sehen der astronomische Esel, ist der Liebling von alle Potentate Europas“. Auf Triolen aus Hindemiths Solo-Sonate, die Palm stoisch repetiert, berichtet Reinkes Georg von den Behandlungsversuchen: „Abendlich legte man mir Senf auf die Waden, ich schlief dennoch sehr unruhig, ich fieberte ständig, urteilte, übte Kritik.“ Beiläufig improvisiert Palm pizzicati zu den zerrütteten Gedankengängen: „Wie kommt mir das gerade in den Kopf? Still!“. Reinke nähert sich vorsichtig und ergreift die auf dem Griffbrett liegende Hand Palms, drückt sie schwach, kraftlos. Nur als Reinkes Georg zu der großen Hohn-Tirade über die „Teutschen“ ansetzt, die so pünktlich beten wie sie pissen, da erklingt die Bourée aus Bachs C-Dur Suite, und Reinke singt darauf, den Text ins Versmaß zurechtpressend und so grandios steif bemüht, wie es deutscher nicht mehr sein kann.

Nach 50 Minuten verschwindet das Stück in der Stille und Reinke und Palm auf ihrem Podest in der Dunkelheit. Die Spannung dieses „Solos für zwei Stimmen“, das wirklich eine Einheit bildet in der Verdichtung der Klangereignisse, in der schlafwandlerischen Sicherheit der Ausführung, dem traumatischem Pulsieren von Sprachklang und Instrumentenklang, trägt weit darüber hinaus. Bleibt nur zu hoffen, dass dieses Werk, das ganz vom Können seiner Interpreten abhängt, zumindest als Tondokument konserviert wird. Auch wenn Siegfried Palm ein Hindernis ausmacht: „Das ist ja ein schwieriger Text und nicht unbedingt für jedermann etwas, da wollen wir uns keine Illusionen machen...“ Doch, wollen wir.

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