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Die „Young Artists“ des 30. Davos Festival musizieren gemeinsam mit Davoser Musikern bei John Cages MusiCircus. Foto: Yannick Andrea
Die „Young Artists“ des 30. Davos Festival musizieren gemeinsam mit Davoser Musikern bei John Cages MusiCircus. Foto: Yannick Andrea
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MusiCircus, Kreisverkehr, RoundAbout und Federspiel

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Jubiläumsausgabe: Das Davos Festival ist auch nach drei Jahrzehnten so jung wie zu Beginn
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Die Hip-Hop-Tanzgruppe der evangelischen Gemeinde Davos hat sich draußen neben der Blaskapelle aufgestellt. Der gemischte Chor ist hinter einem Klaviertrio in der Bar des Hotels Schweizerhof postiert. Punkt 17 Uhr fangen alle gleichzeitig an zu singen und zu spielen. Die Hip-Hop-Tänzerinnen haben zwar ihren Ghettoblaster mit der passenden Musik dabei, werden aber auch von den Märschen der Davoser Musikgesellschaft begleitet. Brahms‘ erstes Klaviertrio trifft auf Volkslieder in Schweizer Mundart. Die Zuhörer bewegen sich frei zwischen den Ensembles und Solomusikern – über Treppen und Flure. Draußen gibt es Bratwurst. John Cages „MusiCircus“ beim 30. Davos-Festival ist ein kleines Happening. Gängige Konzertmuster werden aufgebrochen. Die Grenze zwischen musikalischen Stilen ist getilgt.

Das ist dem Intendanten Reto Bieri sehr wichtig. „Diese Performance ist für mich auch eine interessante soziale Studie. Es war spannend zu beobachten, wer sich eher zurücknahm oder wer einfach nur lauter spielte, um gehört zu werden.“ Die sieben Bläser der österreichischen Formation „Federspiel“ vagabundieren zwischen den einzelnen Ensembles und setzen auf ein Miteinander. „Let’s improvise“, fordert der Trompeter Simon Zöchbauer das Holzbläsertrio des spanischen Azahar Ensembles auf. Kurz werden Tonart und Tempo geklärt.  Und das Rondino-Finale von Erwin Schulhoffs „Divertissement“ erklingt in einer ganz neuen Fassung – mit Trompetenrepetitionen und einem Orgelpunkt in der Posaune. Hier passiert im Kleinen, was auch im Großen stattfindet. Junge hochbegabte Musikerinnen und Musiker lernen sich kennen und entwickeln gemeinsam Neues. Insgesamt sind rund 70 Musikstudenten aus 20 europäischen Ländern über die gesamte Festivallänge von zwei Wochen vor Ort.

Neben den 45 Kammermusik-Konzerten an insgesamt 12 verschiedenen Orten, darunter der Bahnhof und die Stafelalp, entstehen auch spontane Sessions in der Hotellobby, wenn etwa um Mitternacht die Mitglieder des Kammerchors, der jeden Morgen zum „Singen für alle“ einlädt, die Hotelgäste mit kunstvoll gesetzten Volksliedern begeistern. In Davos wird alles selbst und exklusiv produziert – ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal im austauschbaren Festivalbetrieb. Der Neue-Musik-Anteil ist hoch. Bieri möchte das Festival mitten im Leben verankern und neue Publikumsschichten gewinnen. Deshalb finden sich im „MusiCircus“-Programm auch Ensembles wie „Jodelchörli Parsenn“ und „Alphorners Davos-Klosters“ oder ein Hörgang durch den Wald für Kinder. Auch das Konzertmotto „Kreisverkehr“ ist bewusst dem Alltag entnommen. Kreisverkehre prägen viele Schweizer Orte – Davos hat nicht eine einzige Ampel. Das gesamte Festivalprogramm ist um dieses Motto komponiert. Es geht um Wiederholungen und Zyklen, Abzweigungen und auch mal die eine oder andere Sackgasse. „RoundAbout“ heißt das Eröffnungskonzert im eher drögen, mit Teppichboden ausgelegten Saal des Hotels Schweizerhof. Martin Meuli, Chefarzt am Kinderspital Zürich, hält einen erfrischenden Vortrag über Zellteilungen und Stoffwechselzyklen. Und auch musikalisch kommt man den Kreisen auf die Spur.

Joe Zawinuls „The Harvest“ endet wie es begonnen hat – mit tongebundenen Rhythmen, die die Musiker von „Federspiel“ auf die Mundstücke ihrer Instrumente trommeln. Auch Schuberts Andante aus dem Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“, dem die jungen Musiker des „Cuarteto Gerhard“ leider noch nicht ganz gewachsen sind, ist mit seinen Variationen zyklisch angelegt. Composer in Residence ist der Franzose Marc-André Dalbavie. Von ihm erklingt das rhythmisch prägnante, durchaus melodiös-tonale Klaviertrio Nr. 1 in bestechender Interpretation von Gilles Grimaître (Klavier), Jonian-Ilias Kadesha (Violine) und Vashti Hunter (Violoncello). In der Pause steht man auf dem Hinterhof des Hotels im Dunkeln, wenn man sein Glas Sekt trinken möchte. Der Glamourfaktor tendiert hier gegen Null. Wie viele andere Hotels hat auch der Schweizerhof im Sommer geschlossen. Es ist stark wetterabhängig, wie gut die Sommerbilanz ausfällt. In diesem Jahr gibt es durch den hohen Frankenkurs 16 Prozent weniger Übernachtungen von Deutschen. „Das konnten wir aber durch Gäste von anderen Ländern wie Polen, Ungarn und Skandinavien wieder auffangen“, sagt Paul Petzold, Tourismuschef von Davos-Klosters. Das Davos Festival habe hier kaum Auswirkungen auf die Übernachtungszahlen. Ein echtes Festivalpublikum, das wegen der Konzerte anreist, gäbe es nicht. Die meisten Konzertbesucher sind Davoser oder Züricher, die im 1.560 Meter hoch gelegenen Luftkurort ihren Zweitwohnsitz haben. Oder eben Feriengäste, die ohnehin schon in Graubünden sind.

Diese kommen auch trotz Regen zum Open-Air-Konzert im Kurpark, wo die gut gelaunten, hochmusikalischen „Federspiel“-Bläser den Spagat zwischen Jodeln und Jazz schaffen und auch mal wie ein mexikanisches Mariachi-Ensemble klingen. Rund 200 Gäste stehen mit ihren Schirmen zwischen den nassen Bierbänken und hören konzentriert zu, was die sympathischen Jungs aus dem Nachbarland so alles miteinander kombinieren können. „Young Artists in Concert“ heißt das 1986 von Michael Haefliger gegründete Kammermusikfestival im Untertitel. Zu entdecken gibt es viele Talente wie das formidable „Dudok Kwartet“ aus Amsterdam, das Brahms’ zweites Streichquartett in der Alexander-Kapelle wunderbar transparent und homogen zum Klingen bringt. „Wir haben aber auch einige erfahrenere Musiker wie die Mitglieder des ‚Amaryllis Quartetts’ hier, die als Lehrer fungieren und in der ‚Davos Festival Camerata’ an den ersten Pulten sitzen. Dieser Austausch an Erfahrungen ist mir wichtig“, sagt der Intendant. Ein Handy hat der unkonventionelle 40-jährige Schweizer nicht. Das lenke nur ab. Außerdem seien ohne Handy die Absprachen von einer größeren Verbindlichkeit. Zu finden ist er trotzdem. „Ich kreise während der Festivalzeit immer hier herum.“ Beim „Kreisleriana“-Konzert treffen Werke der entfernt miteinander verwandten Fritz und Georg Kreisler aufeinander. Schumanns „Kreisleriana“, etwas farbarm interpretiert von Oliwia Grabowska, darf in diesem Kontext nicht fehlen. Das „Amaryllis Quartett“ raut Beethovens Streichquartett op. 59/3 auf. Und legt ein hochdramatisches Finish hin, welches das mit jungen Festivalmusikern durchsetzte ältere Publikum zum Kreischen bringt.

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