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Clown Ingrid Hausl im Dialog mit Antonello Manacorda und der Camerata Vitilo. Alle Fotos: Susanne van Loon

Clown Ingrid Hausl im Dialog mit Antonello Manacorda und der Camerata Vitilo. Alle Fotos: Susanne van Loon

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Musik der Jahrhunderte, zeitgemäß inszeniert

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Das 3. Musikfest Blumenthal mit Antonello Manacorda und der Camerata Vitilo
Vorspann / Teaser

Seit drei Jahren gibt es ein neues lohnenswertes Pilgerziel für den reisenden Musikenthusiasten: das Musikfest Blumenthal bei Aichach im Wittelsbacher Land. Tritt man durch eines der Tore ins weite Hofareal von Schloss Blumenthal, dann betritt man eine andere Welt. Man lässt den Alltag zurück und erkundet eine Welt aus Bio-Landwirtschaft und Käserei, Hotel und Öko-Gastronomie, aus Kunstateliers und Coaching-Retreats. Jeweils an einem Sommerwochenende Ende Juli ist Schloss Blumenthal fest in der Hand der Musik. Das Schloss hat sich in einen gro­ßen Musikcampus verwandelt und lädt Besucher aus nah und fern zu hochkarätigen Konzerten ein. Die Idee stammt vom Klarinettisten und Künstlerischen Leiter Georg Arzberger, aufgewachsen im Nachbardorf und trotz internationaler Karriere noch immer vertraut mit örtlicher Schulband und Musikkapelle. Er will die internationale Musikwelt, in die er hinausgezogen ist, mit den Menschen vor Ort teilen und bringt Musik aus den Konzertsälen der Welt ins ländlich gelegene Blumenthal.

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Zu diesem Zweck hat er das Blumenthaler Festspielorchester gegründet, die Camerata Vitilo. Zunächst nur ein hochkarätiges Telefonorchester, ist es inzwischen musikalischer Botschafter der Region Wittelsbacher Land und Anziehungspunkt für Musiker internationaler Spitzenensembles und -orchester. Darüber hinaus ist die Camerata ein Orchesterpool für jede Menge kammermusikalische Spezialensembles vom klassischen Streichquartett oder Klarinettentrio bis zum seltenen Posaunen/Flöten-Duo.

In Blumenthal macht man vieles anders als anderswo, angefangen bei den Austrittskarten statt der normalen Tickets. Bezahlt wird nach dem Konzert die Summe, die man für angemessen hält und die der Geldbeutel hergibt. Das kostbare, handgemachte Kulturgut Musik wird so noch mehr als sonst zum Vertrauensgut. Marketing, Ticketing, Vermittlung, Education, Lebensgefühl und Kunst greifen nirgendwo im sommerlichen Festivalreigen so nahtlos ineinander wie hier.

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Georg Arzberger erklärt, wo‘s musikalisch langgeht in Schloss Blumenthal. Foto: Susanne van Loon

Georg Arzberger erklärt, wo‘s musikalisch langgeht in Schloss Blumenthal. Foto: Susanne van Loon

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Im Zentrum der Proben und Aufführungen stand diesen Sommer Ludwig van Beethovens „Pastorale“, der Klassiker der Programmmusik, der alles in sich trägt, was das Blumenthal Festival ausmachte: fröhliches Leben auf dem Lande, sommerliche Tage und tatsächlich – wie von der Dramaturgie bestellt – einige aufziehende Unwetter samt Platzregen, Sturm und Erlösung nach dem Gewitter.

Die Festivalgründer Georg Arzberger und Gertrud Deckers haben Antonello Manacorda als Dirigenten gewinnen können. Ein echter Glücksgriff für Blumenthal: Hier auf dem Lande, weit weg von Glamour und Jetset, probte er intensiv mit seinem Festival-Orchester Beethovens „Pas­torale“ und Mozarts Klarinettenkonzert A-Dur und motivierte seine Musiker*innen derart leidenschaftlich, dass die Aufführung am Sonntagabend zum Höhepunkt des Festivals wurde. Oder besser zu einem konzertanten großen Drama für Alt und Jung. Denn unter den 400 Zuhörern waren auch einige sehr junge, für die 24 Stunden zuvor Manacorda und die Camerata Vitilo die Pas­torale ganz anders gespielt hatten.

Kinder- und Familienkonzert

Mittels einer Konzertmoderation ohne Worte brachten Clown Ingrid Hausl und die Camerata Beethovens Musik mit dem Musikverständnis von Drei- bis Sechsjährigen in Deckungsgleichheit. Gesten, Bewegung, Lautsprache, Melodien und Pantomime führten auf eine kindlich-musikalische Reise durch die 6. Sinfonie. Da wurde aus der Pastorale eine Bella Pastorella. „Angenehme, heitere Empfindungen, welche bei der Ankunft auf dem Lande im Menschen erwachen“ wurde zur Comedy, bei der „Szene am Bach“ floß viel imaginiertes Wasser auf die Köpfe und Instrumente der Musiker nieder.  Das „lustige Zusammensein der Landleute“ wurde zu einem rhythmischen  Mitmachspiel mit dem Publikum und Donner und Sturm waren lautmalerische Kakophonie.

Musikvermittlung für Erwachsene

The Sensational Skydrunk Heartbeat Orchestra aus dem Nachbarort spielte im Sandwich-Modus abwechselnd mit Ensembles aus dem Camerata Vitilo-Pool. Beim Crossover-Konzert verschmolzen verschiedenste Musikstile von Ska über Pop und Rock bis hin zu Balkansounds, Polka, Klassik und Romantik miteinander. Egal ob Publikum oder Akteure, viele, die sich auf dem Dachboden des Ökonomiegebäudes eingefunden hatten, kannten sich noch aus Schulzeit und Schulband: War es zuvor um die Lebenswirklichkeit der Kinder gegangen, so traf dieses Konzert auf diejenige der Eltern.

In einem sogenannten Wanderkonzert wurde nicht wirklich gewandert, sondern man wandelte entspannt und gespannt vor Hörlust von einem Ort zum anderen innerhalb des weiten Schlossareals: vom Haydn Trio im Torbogen, über Piazollas Libertango auf der Kapellenempore, dem Geigenquartett der polnischen Komponistin Grazyna Bacewic vor dem Altar, vom Ländler aus dem Hotelzimmer über einen Satz aus einem Beethoven Quartett auf der Hotelterasse bis zum Oktett mit Bläser-Partiten von Franz Kromer unter der weit ausladenden Dorflinde. Das Ganze wurde moralisch-programmatisch gewürzt von der Poetry Slammerin Maron Fuchs, die in Reimen zu mehr Klimaschutz und der Rettung der Welt für unsere Enkel durch die Nutzung des modernen Nahverkehrs aufrief. Ein kurzweiliges und gleichzeitig nachdenklich stimmendes Nachmittagsprogramm.

Festivalfinale

Nachdem das Festivalpublikum zu den meisten schönen Stellen des Schlossgeländes gewandelt war, zerstreute man sich zum fröhlichen Landleben, aber nur, um sich erneut erwartungsvoll gespannt zum Festivalfinale im Ökonomiegebäude einzufinden. Dirigent Antonello Manacorda entfesselte die Mitglieder seiner Camerata förmlich: Er präsentierte die Pastorale als große Oper, besser gesagt als großes Kino. Auch wenn Beethoven sein Werk ausdrücklich nicht als Programm verstanden wissen wollte, sondern als Musik, die Empfindungen über das Landleben ausdrückt: Wer sah während der Blumenthaler Aufführung innerlich keinen Film ablaufen?

Das vorangestellte Klarinettenkonzert von Wolfgang A. Mozart gab Manacorda beste Gelegenheit, die exzellente Klangkultur seines Orchesters zu präsentieren. Gespielt wurde die Originalversion für Bassettklarinette – ein Rieseninstrument, aus welchem der Solist Arzberger Mozarts Kantilenen verströmen ließ: Das Klarinettenkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart als Archetypus des klassischen Solokonzertes, neu beatmet und ins Jetzt gestellt von Georg Arzberger. Zur hochgespannten Stimmung passte eine Zugabe meditativen Charakters: Das Abendlied von Robert Schumann, das Arzberger tags zuvor mit Streichquartett gespielt hatte, kam jetzt in einer Fassung  für Streichorchester zu Gehör. Auch hier heißt der Bearbeiter Ferruccio Busoni, er hatte für seinen Klarinette spielenden Vater einiges geschrieben und arrangiert. Die Zugabe brachte noch einmal ins Bewusstsein, mit welcher Raffinesse und wie geistvoll in Blumenthal Konzertprogramme konzipiert werden – hier versteht man sich darauf, das Konzertritual zeitgenössisch zu zelebrieren.

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