Auf Norbert Lammert, in Angela Merkels Schattenkabinett zunächst als Kulturstaatsminister vorgesehen, lastete in den vergangenen Monaten ein hoher Erwartungsdruck. Da er sich in der Vergangenheit mehrfach für eine bessere Musikerziehung eingesetzt hatte, bemühte sich der Verband deutscher Musikschulen bei einem Familienkonzert der Deutschen Streicherphilharmonie, ehemals bekannt als Deutsches Musikschulorchester, um seine Schirmherrschaft. Der CDU-Politiker nahm an und war auch zu Begrüßungsworten bereit.
Nachdem das Orchester auf dem Podium des Berliner Konzerthauses Platz genommen hatte, sprach Lammert von den etwa 130 Berufsorchestern in Deutschland, um die uns das Ausland beneidet. Diese eindrucksvolle Spitze sei nur möglich durch die Basisförderung der Musikschulen. Er wandte sich dann dem Orchester zu. Zwar seien noch nicht alle mit diesem vom Bund geförderten Klangkörper vertraut, aber aus ihm seien schon viele bedeutende Orchestermusiker hervorgegangen. Mit dem Beethoven-Zitat „Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie“ wünschte er abschließend dem Publikum einen offenbarungsreichen Nachmittag.
Die erste Offenbarung erlebte der Redner selbst. Denn schon die folgende Moderation machte deutlich, dass bei diesem Familienkonzert nicht nur eines, sondern zwei Orchester auftraten. Die von Lammert so freudig begrüßten Musiker gehörten allerdings nicht zur Deutschen Streicherphilharmonie, sondern – in der bundesweit ersten Patenschaft zwischen einem Profi- mit einem Jugendorchester – zum Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Das hätte man auch aus dem Programmheft erfahren können oder durch einen flüchtigen Blick auf die dem Musikschulalter längst entwachsenen Interpreten…
Um so erfreulicher verlief dann das Konzert selbst. Der 12-jährige Florian Thierbach erwies sich nicht nur als gewandter Cembalist, sondern auch als witziger Moderator. Er gehörte zu den 1. Preisträgern des Bundeswettbewerbs „Jugend musiziert“, die die Mitglieder des Rundfunk-Sinfonieorchesters begleiteten. Die jungen Geigerinnen Johanna Eschenburg und Clara Töppen spielten Bachs Doppelkonzert selbstsicher und kraftvoll und traten damit – ungewöhnliche Koinzidenz – in die Fußstapfen ihrer Mütter, die das gleiche Werk vor 20 Jahren ebenfalls als Mitglieder der Deutschen Streicherphilharmonie interpretiert hatten. Maria Brunner, die Konzertmeisterin der Deutschen Streicherphilharmonie, zeigte virtuose Fähigkeiten bei Sarasates Zigeunerweisen. Ihre kontrollierte und saubere Wiedergabe bildete einen Ausblick auf den Auftritt der 13- bis 19-jährigen Musiker der Deutschen Streicherphilharmonie, die nach der Pause, ebenfalls von Sanderling geleitet, Tschaikowskys Souvenir de Florence spielten. Nun endlich hörte man das Orchester, das zu Beginn den verfrühten Lorbeerkranz erhalten hatte.