Es ist immer wieder erstaunlich und zugleich höchst erfreulich, wie kühne musikalisch-künstlerische Projekte vor allem in Randlagen ein Publikum zu fesseln verstehen, Projekte, bei denen jeder professionelle Anbieter sofort die Stirn zu runzeln begänne und sie in die Schublade „Nicht verwirklichbar“ ablegen würde. Die Auber Prozessionsnacht, eine Kunstwanderung in den Pfingstmorgen hinein war so eines.
Es ist immer wieder erstaunlich und zugleich höchst erfreulich, wie kühne musikalisch-künstlerische Projekte vor allem in Randlagen ein Publikum zu fesseln verstehen, Projekte, bei denen jeder professionelle Anbieter sofort die Stirn zu runzeln begänne und sie in die Schublade „Nicht verwirklichbar“ ablegen würde. Die Auber Prozessionsnacht, eine Kunstwanderung in den Pfingstmorgen hinein war so eines.Aub ist ein kleiner hübscher Ort im Niemandsland zwischen Franken und Württemberg. Immerhin: Vor ungefähr 500 Jahren hat ein Tilman Riemenschneider in dieser Gegend gewirkt und die Stadtpfarrkirche kann sich mit einer wunderschönen Kreuzigungsszene von ihm schmücken. Aub besitzt aber auch ein aufwändig restauriertes Haus „Ars musica“, das neben einem alternativen Gaststättenbetrieb viel Raum für Ausstellungen oder Konzerte gibt. Zum zehnten Mal war es Kristallisationspunkt des Festivals „Ars musica Aub“, zum ersten Mal wagte man nun das achtstündige Multikonzert der Prozessionsnacht.Der Pfingstgedanke wird hier ernst genommen. Denn was meint er anderes als Begeisterung im höheren Sinne, also den Prozess des zu Geist Kommens. Das geht nicht über Entertainment, das allenfalls das Flachstück des Begriffs Begeisterung abdeckt. Es geht über Anstoß hin auf Neues, Ungewohntes, Ungewöhnliches, es geht auch über eigene Anstrengung (die nicht zuletzt auch bei den nächtlichen Wanderungen zu den Veranstaltungsorten durch die diesjährige pfingstliche Regenkälte gefordert wurde). Und man darf den Veranstaltern vom Verein „Ars musica“ ein hohes Maß an Kundigkeit und Fingerspitzengefühl bescheinigen. Auch was die Ortswahl betrifft: Neben Kirchräumen besuchte man den Schlachthof, wo ein Blockflötenquartett zwischen Blutrinnen und Knochensägen Musik unter anderem von Pärt, Serocki und Piazzolla spielten, man schritt um zwei Uhr früh („auf eigene Gefahr“) durch den stockfinsteren Burgwald, der von wundersam launischen Waldfeen durchsetzt war, man schritt in eine alte Kellerkapelle hinab, wo Luis Zett ein faszinierendes Belauschen von Steinen vorstellte, die rollend, schlingernd oder über Kanten gekippt Individualklänge und -rhythmen auswarfen: „Gesang der Steine“. Am Schluss langte man beim einsamen Turm einer verfallenden Burg an, wo es in „Lebensatem und Wehen des Logos“ schließlich um erste und letzte Dinge ging.
Acht Stunden, aber die Vielzahl an ganz unterschiedlichen und divergierenden Eindrücken machte die Zeit kurz. Die Tanz-Schauspielerin Eleonora Allerdings zeigte eine rätselhaft lichte Pfingst-Performance über Tauben, Feuerzungen oder Briefbotschaften.
Der Brasilianer Newton Moraes spürte tanzend den Urwurzeln südamerikanischer Kultur nach, Lisa Kuttner füllte ihrerseits Tanz mit großer und exaltierter Expressionsgestik, begleitet von einem improvisatorisch gespielten Cello. Der findige und außerordentlich kreative Instrumentenbastler und Komponist Hans-Karsten Raecke stellte seine Blas-Metall-Dosenharfe mit verblüffenden Klängen und Klang-Geräuschkombinationen vor und ließ eine „Wassermusik“ folgen, die virtuos auf einem saxophonartigen Instrument aus Plastik-Abflussrohren geblasen wurde. In diesem Rahmen nahm sich die Uraufführung des Vokalstücks „Neues Pfingsten“ für Bariton, Sprecher und Live-Elektronik mit seinem Bemühen um vertiefende Deutung des Pfingstgedankens schon fast wieder konservativ aus.
Die Auber Prozessionsnacht jedenfalls war ein Erlebnis der anderen, der besonderen Art. Die Bevölkerung war eingebunden und begegnete neugierig dem Fremden, viele Interessierte waren angereist und hielten ohne größere Ermüdungserscheinungen bis zum Frühstück um vier Uhr durch. So waren die Veranstalter zum Schluss dem widrigen Wetter fast dankbar: Denn sonst wären sie vermutlich vor dem Besucherandrang gescheitert, der so eben noch bewältigt wurde. Alle wohl sind gespannt auf die Lösung im nächsten Jahr.