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Musikalische Vielfalt, globale Einfalt

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Die Dresdner Musikfestspiele brachten Tan Duns „Buddha Passion“ zur Uraufführung
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In faszinierender Reinheit singt die Internationale Chorakademie Lübeck Verse auf Sanskrit und Chinesisch. Klar klingen die Gruppen im Kulturpalast über den geschlagenen Steinen und durch ein Sieb tropfendes Wasser der Schlagzeuger.

Nach zwanzig Minuten erstmals Pentatonisches. Das ist im zweiten von sechs Akten der bei den Dresdner Musikfestspielen konzertant uraufgeführten ‚neuen Universaloper‘ „Buddha Passion“ von Tan Dun. Vor 35 Jahren begann der chinesische Komponist in Dresden mit einem Preis beim Carl-Maria-von-Weber-Wettbewerb seine internationale Karriere. Jetzt setzt er nach seiner Internet Symphony, die im Netz 15 Millionen Menschen erreichte, seine weltumfassenden Ambitionen fort. So eine große Uraufführung planen die Dresdner Musikfestspiele ab sofort für jedes Jahr. „Buddha Passion“, über den lautstarker Beifall hinwegbraust, ist eine Reise ins musikalische Niemandsland oder Global Village, je nachdem: Manchmal verläuft diese Reise im Kreis, dann wieder geradlinig zu Aussichtspunkten, die Vertrautes und Fremdartiges verheißen. In diesen 100 Minuten erhalten sinnsuchende Weltbürger nahezu alles, wodurch fernöstliche Musik fasziniert. Sie werden belohnt mit Bonustracks aus amerikanischen Idiomen und geschmeidigen Mustern der europäischen Klassik.

Der fünfte Akt „Herzsutra“ bietet dem Obertongesang- und Pferdekopfgeigenspieler Batubagen und der Skalenhalslaute-Spielerin Wenquing Shi eine schöne Nische für sehnsuchtsvolle Gesänge von der Seidenstraße, die Kennern zum Beispiel der Gruppe Huun-Huur-Tu aus Tuwa merklich vertraut scheinen. Die Münchner Philharmoniker zeigen einen durch inneres Ringen oder menschliche Reibungsflächen kaum angefochtenen Professionalismus. Für das farbenreiche Klangpanorama muss der laute Erfolg dieser Auftragskomposition der Musikfestspiele mit dem New York Philharmonic, dem Los Angeles Philharmonic und dem Melboune Symphony Orchestra als gemacht gelten.

Tan Dun, der mehr „Akkuratiker“ als charismatisch ist und mit pointierten Bewegungen vor dem riesigen Musikapparat steht, wirkt glaubhaft, wenn er „Buddha Passion“ als Ausdruck seiner emotionalen Überwältigung durch die über 4.000 Gemälde in den Mogao-Grotten und in den Höhlentempeln von Dunhuang vorstellt. In den ersten drei Akten, die indischen Quellen folgen, erlebt man, wie der kleine Prinz die verschiedenen Dimensionen des körperlichen Leids für einen Vogel und ihn, den viel Größeren, verstehen lernt. Die ihre Augen und Hände aus Mitleid opfernde Prinzessin Miaoshan ist eine real fernöstliche Schwes-ter von Puccinis rührender Sklavin Liù aus „Turandot“. Für die zweite Hälfte, die den Perspektivenwechsel zum chinesischen Zen-Buddhismus vollzieht, wird die Musiksprache homogener, neigt sich nach auch hier bestechend reinen Ganztonskalen eher zu westlichen Tongeschlechtern. Wenn Buddha am Ende in das geläuterte Sein aufsteigt und der Chor in die finale Hymne „Himmel – Erde – Mensch“ gleitet, besteht kaum noch ein Unterschied zwischen dem Erwachen im Nirvana und christlicher Himmelfahrt. Tan Duns Partitur verheißt also kollektive Einfalt statt religiöse Vielfalt.

Bemerkenswert ist die ausbalancierte Form dieser „Universaloper“, die weltlichen Kunst- und Volksgesang auf Chinesisch und Sanskrit anstelle des von Tan Dun letztlich gemiedenen Englisch verbindet mit rekonstruiertem Musikmaterial aus Handschriften der Magao-Grotten, die für die fernöstliche Musik Asiens ähnlich fundamentale Bedeutung haben wie für Christen die Rollen von Qumran. Herausragender Eindruck dieser Uraufführung sind die im Verlauf etwas an Faszinationskraft einbüßenden Harmonien und eine affirmative Aura, manifestiert durch die gerundete Tongebung des Solistenquartetts Sen Guo (Sopran), Kang Wang (Tenor), Shenyang (Bariton), Zhu Huiling (Mezzo) mit Tan Weiwei (traditioneller Gesang). Für zukünftige szenische Aufführungen wünscht sich Tan Dun zur Ouvertüre die digitale Reproduktion des Wandgemäldes „Nirvana“ aus einer der Magao-Höhlen, auf der er alle Figuren, Situationen und Iterationsstufen für sein Textbuch gefunden hatte. Fließend ist die Verortung zwischen Passion und Oper in diesem Panorama, das durch Umfang und Anspruch in die Reihe der großangelegten Partituren über Sinnsuche und Erlösung gehört. Tan Dun legt mit dem Titel nahe, sein episches Opernoratorium, diese sechs Episoden des in eine lineare Szenenreihe gebrachten Freskos, als Analogie zum abendländischen Sakralgenre zu betrachten. Ihm schwebt eine chinesische Analogie zur „Matthäuspassion“ vor. Diese globale Unifizierung von musikalischer Faktur und Transzendenz erweitert die Möglichkeiten der Sinnsuche zu ungeahnten Ausmaßen: Je größer die Flächen, umso ferner der Horizont.

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