Im September diesen Jahres, also in der Spielzeit 2017/2018 feiert das Theater Nordhausen den 100. Geburtstag seines prächtigen Theatergebäudes im Herzen der nordthüringischen Kleinstadt. Wichtiger noch als dieses Gebäude selbst ist, was in ihm an Leben entsteht, Tag für Tag. Und da fällt die Bilanz hinsichtlich der Qualität der Inszenierungen der letzten Jahre durchaus positiv aus. Repertoire-Raritäten waren dort zu sehen – und selbst vor großen Herausforderungen sind die in Nordhausen künstlerisch und organisatorisch Verantwortlichen nie zurückgeschreckt. Jüngstes Beispiel: Richard Strauss‘ „Salome“!
Salome ist unerbittlich. Gnadenlos insistiert sie darauf: „Ich will den Kopf des Jochanaan“ – und bringt ihren Stiefvater Herodes damit in einen heillosen Gewissenskonflikt. Einerseits hat er sein Versprechen zu halten, Salome nach erfolgtem Schleiertanz alles zu geben, was sie sich wünscht – andererseits muss er den Tod des inhaftierten Propheten vermeiden, weil er kaum abschätzbare Konsequenzen zeitigen würde. Um genau diese für Herodes schier aussichtslose Lage, um nicht mehr, aber auch nicht weniger kreist Annette Leistenschneiders Inszenierung der „Salome“. Neben Herodes und Salome sind es deren Mutter Herodias und eben der fromme, eine neue Religion propagierende Jochanaan, die im Zentrum stehen – und von Leistenschneider allesamt mit einer klitzekleinen Prise Übertreibung porträtiert werden.
Wolfgang Kurima Rauschnings Bühne aus grob behauenen Steinen deutet die Terrasse des königlichen Palastes an, nach hinten von einer arg lädierten Abschlussmauer begrenzt. Eine Kulisse, durch die hindurch ein überdimensionaler Mond scheint – anfangs silberhell, dann zunehmend blutrot. Führt hier wirklich Herodes das Regiment? Erinnern seine theatralischen Bewegungen doch eher an einen geistig etwas gestörten Monarchen. Oder ist es nicht viel eher Herodias, die die Hosen anhat, auch wenn sie ständig ziemlich beschwipst durch die Gegend torkelt und mehr krakeelt als singt? Unverhohlen hat sie zynische Freude daran zu sehen, wie ihr Gatte am Ende Salomes Wunsch klein beigeben muss und Jochanaans Kopf auf dem Silberteller aus dem Kerker getragen wird. Salome ist befriedigt, gerät jedoch nicht unbedingt in rauschhafte Ekstase. Schon vorher nicht, in dem berühmten Schleiertanz, der eher züchtig und nur ansatzweise erotisch ausfällt. Salome, eine cool Berechnende? Oder eine, die denn doch momenthaft Gefühle der Ehrfurcht vor dem seltsamen Propheten hat, nämlich dann, als sie ihm das erste Mal leibhaftig begegnet und so etwas wie seinen Segen empfängt? Am Ende aber triumphiert das Moment der Demütigung – Salome bekommt jenen Kuss, den sie von Jochanaan verlangt, um den Preis ihres eigenen Lebens!
Leistenschneider, seit Beginn dieser Spielzeit Operndirektorin in Nordhausen, begreift die Hauptpersonen als Typen, was sich auch in Spiel und Gesang der Darsteller wiederfindet: Karsten Münster ist ein quirliger, mit stabilem Tenor ausgestatteter Herodes, springt in seinem güldenen Umhang samt funkelnder Krone mitunter wie sein eigener Hofnarr über die Bühne. Anja Daniela Wagner bringt viel Verachtung und Häme für diesen ihren Gatten auf. Fast tut er einem schon leid. Ausdruck findet dies in Herodias‘ mitunter ruppigen, in bellendes Sprechen übergehenden Gesang. Majken Bjerno, in feuerroten Tüll gehüllt, mobilisiert locker alle Energie, die es für die Titelpartie braucht. Das Opfer, Jochanaan – hier wie so oft gedeutet als zotteliger Sonderling in abgewracktem Outfit – ist mit Yoontaek Rhim sehr gut und stimmlich wie darstellerisch passend besetzt, auch beinahe alle kleinere Partien dieser Oper. Vor allem er sticht besonders positiv aus dem Figurentableau heraus: Angelos Samartzis, seit dieser Spielzeit Ensemblemitglied des Theaters Nordhausen. Er macht als Narraboth mit kraftvollem, intonationssicherem Tenor und darstellerisch überzeugend auf sich aufmerksam. Insgesamt eine ausgezeichnete Ensembleleistung – was uneingeschränkt und ganz besonders für das Loh-Orchester Sondershausen gilt. Am Pult steht Michael Helmrath, auch er seit dieser Spielzeit als Generalmusikdirektor neu im Theater-Team. Seine Jahrzehnte lange Erfahrung als Dirigent überträgt er inspirierend auf das Loh-Orchester, spannt mit ihm einen Bogen voller klanglicher Dramatik, der vom wispernden Pianissimo bis zu gewaltigen Ausbrüchen reicht. So entfaltet Richard Strauss‘ Partitur einen Sog, der auch nach über 110 Jahren unmittelbar spürbar wird. Und schlagend ist wieder einmal bewiesen, dass auch ein Theater mittlerer Größe durchaus „Brocken“ wie die „Salome“ überzeugend schultern kann.
- Weitere Termine: 01. 02.; 03. 02.; 12. 02.; 19. 03.; 25. 03. 2017