Ein riesengroßes Familienfest. Carla war aus Portugal gekommen, Sabine aus Berlin, Hans-Peter aus Bad Homburg. Einige hundert mehr, das Gros aus Regensburg und dem weiteren Umland ließen das Jubiläumsfestival der „Negerländer“ im Leeren Beutel zum rauschenden Fest – Familienfest eben – werden. Vor 30 Jahren gegründet, war das mit drei Saxofonisten und einem Schlagzeuger besetzte Quartett aus der Oberpfalz Avantgarde und avancierte schnell zur Kultband – um dem beliebtesten Nullbegriff der Popmusik einmal mit Inhalt zu füllen.
Vor allem brachte es viel frischen Wind, neue Ideen und ungewohnte Sounds in die Jazzszene. Soviel davon, dass manche Fans bis heute jammern „Warum sind die Negerländer keine Stars? Die sind Weltspitze! Aber sie haben sich einfach nie richtig verkauft!“ Einmal ganz abgesehen davon, was mit dem dynamischen Jazzquartett passiert wäre, wenn „es sich verkauft“ hätte, ist es – bei aller Liebe und Begeisterung – weit von jeglicher Weltspitze entfernt.
Heinz Grobmeier (bars, ss, cl uva.), Bertl Wenzl (ts, tuba, bars) und Norbert Vollath (ts, bass-cl) produzieren allerdings mit Schlagwerker und Radaubruder Roland HH Biswurm bis heute einen erfrischend unverkrampften, längst raffinierteren und mitreißenden Sound. Eindrucksvoll stellten sie das am ersten Abend des Festivals mit einem unterhaltsamen und spannenden Querschnitt durch die eigene 30-jährige Geschichte unter Beweis. Diszipliniert, wie man es nicht von Anfang an von ihnen gekannt hatte, und zugleich voller Elan und Raffinesse zündeten die einstigen „Heinz Bosch & seine Original Negerländer“ ein musikalisches Feuerwerk, das sich gewaschen hatte. Immer wieder prallen dabei Welten aufeinander. Von volks- und heimatverbundener Melodiösität, energiespühender freier Improvisationslust, Spuren ethnischer Musik bis hin zu Seitensprüngen mit Pop und Beat. Aus dieser rhythmischen, wie harmonischen Vielfalt, gepaart mit ansprechenden Arrangements und Leidenschaft hat sich von Anfang die Spannung und lustvolle Energie des Ensembles gespeist. Lange vor La Brass Banda und parallel zum erfolgreichen Bayern-Popper „Haindling“ haben die Negerländer traditionelle Heimatklänge und neutönerische Experimentierlust zu einem starken, eigenwilligen Sound verknüpft.
Welche Strömungen und Neigungen da aufeinander geprallt sind, wurde am zweiten Abend deutlich, als sich jeder der vier Negerländer mit einem eigenen Projekt vorstellte. Bertl Wenzel ließ mit seinem jungen Metal-Noise-Jazz-Quintett „handish“ zum Abschluss noch einmal kräftig die Muskeln spielen. Damit schlug er einen perfekten Bogen zum Beginn des Abends. Roland HH Biswurm (dr, perc.) läutete das Konzert mit Stille – im Cage‘schen Sinn – ein. Bis auf die Notbeleuchtung verdunkelt, entwickelten sich nach und nach im Raum perkussive Klänge, in die sich seltsame vokale Töne und Sounds mischten. Bisswurm, vom Weltmusikpionier Joachim Ernst Berendt inspiriert, hat mit Mounir (tabla) und Nasir Aziz (sitar) zwei Asylbewerbern und Flötistin Jeannette Lakèl sein Projekt „Bisis Bum Bum Raga Roll“ gegründet. Mit zornigen Schreien, verspielten Kieksern, lispeln und eindrucksvollen Vokalisen prägte Sängerin Claudia Gayatri Matussek die freie, assoziative Soundperformance. Während Mounir Aziz sich bewusst auf die offene Form einließ und einfühlsam begleitete, Bisswurm von einem Klangeffekt zum nächsten eierte, auf die Pauke(n) hieb und nicht müde wurde kryptisch-ironische Botschaften zu singsangeln, ging Lakèl in der unausgegoren wirkenden Flickschusterei ziemlich unter. Ein Auftritt der virtuosen Brüder, sie spielten den Vollmond-Raga im traditionellen nordindischen Stil, begeisterte die Besucher.
Mit Norbert Vollaths Ulysses-Projekt schloss sich ein vom Geist der freien Improvisation geprägtes Prosa-Musik-Konzept an. Eva Sixt rezitierte wohlausgewogen und sorgsam akzentuiert aus dem Jahrhunderttext von James Joyce, ein Hochgenuss. Die beiden Bläser Vollath und Mike Reisinger (bcl, saxes) setzten feine Akzente und den zerfransenden und zersplitternden Klangfasern der beiden Freejazz-Epigonen Fredi Pröll (dr) und Georg Janker (b, electr) hie und da kleine melodische Elmsfeuer auf. Nach diesem spannenden intellektuellen Höhenflug ging Heinz Grobmeier mit seinem siebenköpfigen „Acoustic Caleidoscope“ auf musikalisch-klangliche Spurensuche durch Tiefen und Untiefen ethnischer Musik vieler Weltregionen.