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Daniel Umbelino (Chevalier Belfiore), Elena Gorshunova (Corinna), Komparserie. Foto: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah
Daniel Umbelino (Chevalier Belfiore), Elena Gorshunova (Corinna), Komparserie. Foto: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah
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Musiksterne unterm Sternenbanner – Rossinis „Il Viaggio a Reims“ an der Semperoper Dresden

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Rossinis Oper „Il Viaggio a Reims“ wurde 1825 für die Krönung König Karls X. von Frankreich geschrieben. Die Handlung spielt denn auch auf der Reise zur Königskrönung in Reims. Eine illustre Gesellschaft von Bonvivants aus ganz Europa findet sich im Luxushotel zur „Goldenen Lilie“ des lothringischen Badeortes Plombières ein. Sie will am nächsten Tag zu den Krönungsfeierlichkeiten nach Reims weiterfahren. Doch da keine Pferde aufzutreiben sind, wird daraus nichts und man beschließt kurzerhand, auf seine Weise in der „Goldenen Lilie“ zu Ehren des Königs zu feiern, mit Festbankett und Gesang. Dieter David Scholz hörte ein Sängerinnenfest und amüsierte sich köstlich.

Mit der Neuproduktion dieser erst seit den Achtzigerjahren wiederentdeckten bzw. komplettierten und -aufgeführten Oper läutet der neue Intendant der Semperoper, Peter Theiler seine zweite Spielzeit ein, ein programmatischer, ja bekenntnishafter Paukenschlag! Er hätte beim Stichwort  „Geschichte“ , das er für 2019 reklamiert, ja auch Wagners "Meistersinger" auswählen können, womöglich mit Christian Thielemann am Pult. Nein, das eben nicht. Wir verstehen. In Zeiten einer bedenklichen Krise Europas auch ein politisches, nicht nur ein künstlerisches Bekenntnis.

Die Regisseurin Laura Scozzi verlegt das Stück von Frankreich nach Belgien, genau gesagt nach Brüssel und in die Heutezeit. Sie macht aus diesem „Stück aus dem Tollhaus“ eine klamaukig tolle, will sagen burlesk verrückte Europagroteske unserer Gegenwart. Natacha Le Guen de Kerbeizon hat ihr dafür eine aufwendige Architektur auf die Drehbühne gesetzt, die an nichts Geringeres als das Europäische Parlament in Brüssel erinnert. Was Falstaff am Ende von Verdis Vertonung der Shakespearekomödie verkündet, „tutto nel mondo è burla“, ist gewissermassen das Motto dieser Inszenierung, eingegrenzt auf Europa: Ganz Europa ist ein Narrenhaus! Oder, um mit Baron von Trombonok zu sprechen: Die Welt (Europa) ist ein Käfig voller Narren. Das gilt insbesondere heute, so behauptet die Inszenierung in heutiger Kleidung. Allerdings hat die Kostümbildnerin Fanny Brouste dem Affen auch Zucker gegeben und phantastisch skurrile Nationaltrachten entworfen, die beim Absingen der nationalen Hymnen und Lieder vorgeführt werden. Es wird protestiert und gestreikt, feierlich defiliert und zeitgeistig Party gefeiert.

Ein kunterbuntes, mal banales, mal geniales Tohuwabohu erwartet den Zuschauer in dieser Rossiniproduktion, die sich nicht scheut, in den Text einzugreifen, bzw. im heutigen Jargon dazu zu dichten. Auch so manche Blödeleien, Kalauer und Allgemeinplätze werden nicht ausgespart und auch noch synchron und komisch überzeichnet in Taubstummensprache übersetzt: „Europa ginge es besser, wenn die Franzosen täglich eine Stunde weniger im Bistro und die Deutschen im Bett verbringen würden.“ Es darf sogar gezaubert werden: Kaninchen aus dem Hut und (Friedens-)Tauben aus der Hand, verblüffend. Joe Walthera und Pafema machen das fabelhaft.

Das Publikum amüsiert sich wie Bolle

Stéphane Broc steuert nicht nur Videofahrten übers nächtliche Paris bei. Filme, aber auch Plakate sieht man reichlich. Auch an Handys und Laptops der Europaabgeordneten und Büroangestellten wird nicht gespart. Sogar eine parodistisch angehauchte „Direct TV Show Europe“ findet statt in dieser an Ironie, Satire und Komödiantik übersprudelnden Produktion. Nach der Pause werden im Orchestergraben Beethovens „Freude schöner Götterfunken“ und „Alle Menschen werden Brüder“ intoniert. Kein Klischee wird ausgelassen in dieser Reise „von Reims nach Radebeul“ (so zu lesen auf der Bühne) zu der Laura Scozzi Rossinis verhinderte Reise von Plombière nach Reims umgestrickt hat. Für keine aktuelle Anspielung, Lokalpatriotisches, aber auch Banalitäten ist sich die Regisseurin zu schade. Es darf und soll ja gelacht werden. Das Publikum amüsiert sich wie Bolle. Immerhin!

Wirklich köstlich sind die Karikaturen sieben europäischer Regierungschefs, die von Komparsen beachtlich gegeben werden, mit herrlich überzeichneten Masken ausgestattet, mal defilierend, mal tänzeln und sogar revuehaft die Beine schwingend. Besonders herzhaft amüsierte sich das Premierenpublikum bei den Auftritten Angela Merkels, wenn sie kess das Tanzbein schwingt, Emmanuel Macron verprügelt oder Sauerkraut mit Würsten auftischt. Auch die Queen von England sorgt in ihren zum Teil frivolen Auftritten für Gelächter. Boris Johnson darf natürlich auch nicht fehlen. Das Wort Brexit steht im wahrsten Sinne des Wortes im Raum.

Zu besonderen Ehren kommt immer wieder das Europäische Sternenbanner, ob als Flagge, im Video oder als Kostüm. Schließlich reißt eine imperiale pantomimische Groteskfigur, in mit französischen Lilien besticktem Kaisermantel gewandet, Corinna (die bei ihrem Lied „All’ombra amena“ gar auf offener Bühne ein Gelbwestenbaby gebiert) die Europasterne vom Kleid und isst sie auf oder schmeißt sie weg. Man spielt am Ende ein wenig Französische Revolution und Mouvement des Gilets jaunes, um dann sehr dick die Botschaft aufzutragen: Die Nationalismen bedrohen Europa. Wir wissen es doch! Aber das betrifft ja nicht nur Frankreich, das in dieser Inszenierung nicht gut wegkommt. Umso besser kommt Rossini zu seinem Recht. Ein wahres Sängerfest findet statt. Und das ist selten in Dresdens Semperoper.

Ein wahres Sängerfest

Man hat das Kunststück vollbracht, eine in jeder Partie überzeugende, ja begeisternde europäische Delegation des Belcanto zu präsentieren. Herausragend unter den 18 Sängern sind Elena Gorshunova als Corinna, Maria Kataeva als Marchesa Melibea, Iulia Maria Dan als Madama Cortese, Edgardo Rocha als Conte di Libenskopf, Georg Zeppenfeld als Lord Sydney, Martin-Jan Nijhof als Baron von Trombonok, Daniel Umbelino als Cavaliere Belfiore und Maurizio Muraro als Don Profondo. In seiner großen, unwiderstehlichen Arie über die verschiedenen Nationalcharaktere mutiert er zum Conférencier einer Nationalhymnenparade im blauen Glitzerjacket. Vorzüglich wie immer ist auch der Sächsische Staatsopernchor , den Hinnerk Andresen einstudiert hat.

Francesco Lanzillota hat die wunderbar spielende Sächsische Staatskapelle Dresden mit großer Sensibilität für instrumentale Details, mit gestalterischer Intelligenz, mit handwerklicher Souveränität und durchaus historisch informierter Herangehensweise beglaubigt, dass Rossini in dieser seiner letzten italienischen Oper (einer Oper über die Oper mit viel ironischer Musik über Musik), die zum Startschuß seiner Pariser Karriere wurde, alle Register seines kompositorischen Könnens zog. Das Orchester der nun wirklich nicht eben auf Rossini spezialisierten Semperoper spielt das Stück brilliant. Lanzillotta läßt zwar nur selten Champagnerkorken knallen und schießt seine Leuchtraketen sehr sparsam in den sächsischen Opernhimmel, dafür aber treffsicher und äußerst fein. Die Sänger weiß er fabelhaft zu führen, die Paradenumnern der Oper (oder handelt es sich „nur“ um eine Kantate?) das Gran pezzo concertato für 14 Stimmen und das Sextett gelingen hervorragend. Lange hat man keine so – unterm Strich – beglückende Produktion an der Semperoper erlebt.

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