„Man kann jemanden anfassen und sofort wieder loslassen. Aber die Wirkung dieser Berührung kann viel länger anhalten als die eigentliche Aktion.“ Diesen Satz erwähnte die griechische Komponistin Konstantia Gourzi im Bühnengespräch mit Musikprofessor Siegfried Mauser bei ihrem „Komponistenprotrait“ im Straubinger „Alten Schlachthof“. Darin liegt bereits ein wesentlicher Aspekt ihres kompositorischen Schaffens, denn schließlich ist es unter anderem die Nachhaltigkeit der Töne, welche Gourzi beschäftigt und fasziniert.
Dies wurde auch in ihrem von Siegfried Mauser ausdrucksstark uraufgeführten, mit „Aiolos Wind“ betitelten Zyklus aus fünf Miniaturen für Klavier deutlich. Besonders in der vierten, auf den Saiten des Flügels gezupften, aber auch in der fünften Miniatur konnte man dieses durchaus interessante Phänomen beobachten.
Am stärksten kam dies allerdings an diesem Abend in den sieben Klavierminiaturen op. 8 zum Tragen. Inspiriert durch das Gedicht „noch fürcht’ ich“ von Ingeborg Bachmann schuf Gourzi hier bereits 1993 durch diverse Überlagerungen in den Schwingungen des Nachklangs eine Möglichkeit, quasi ins Innere der Töne zu hören. Meist bleibt das rechte Pedal nach dem Anschlag von Einzeltönen oder Akkorden gedrückt und neue, in das Ausklingen gespielte Töne verändern den Nachklang raffiniert. Mauser brachte diesen Effekt fesselnd über die Bühne.
Die vier Streicher des „Rodin Quartett“ interpretierten zusammen mit Mauser überzeugend die beiden weiteren Uraufführungen „Vibrato 1“ und „Vibrato 2“, die sich nur durch einen anderen Klavierpart und ein klangfarblich anderes „Präparieren“ des Flügels unterscheiden. So holte Siegfried Mauser zum Amüsement des Publikums nach der ersten Version unter anderem eine Damenhalskette und nach der zweiten einige gerade nicht benötigte Notenblätter aus dem Flügel.
Neben spannungsgeladenen und manchmal nahezu mystisch wirkenden Streicherklangflächen kam in diesen Fünfvierteltakten auch noch die Begeisterung der Komponistin für Ostinatofiguren swingend zur Geltung. Insgesamt ein origineller Abend des „18. Straubinger Wochenendes mit zeitgenössischer Musik“ und des Festivals „Passauer Europäischen Wochen“, in welche das Konzert integriert war.
Konstantia Gourzis Musik ist gerade deshalb so modern, weil sie den Mut hat, sich nicht ausschließlich in einer „modernen“ kakophonischen Tonsprache auszudrücken, und weil sie in ihren Kompositionen somit verschiedenen Einflüssen wie beispielsweise ethnologischen Elementen und packenden Grooves einen Platz einräumt. Erfreulicherweise schreckt Gourzi auch nicht vor Konsonanzen zurück – auch das ist „modern“. Deshalb bot sie ein Paradebeispiel der „Europäischen Wochen“, die in diesem Jahr unter dem Motto „Frauengestalten – Frauen gestalten“ standen. Im Rahmen des Festivals dirigierte Gourzi bereits beim Eröffnungskonzert am 11. Juni in der Passauer Studienkirche die Brünner Philharmoniker mit Werken von Ligeti, Berlioz, Strawinsky und Strauss. Außerdem kam ihre von den „Europäischen Wochen“ in Auftrag gegebene Komposition „Polyhymnia“ für zwei Gitarren, Viola und Kontrabass am 30. Juni im Großen Redoutensaal zusammen mit Sofia Gubaidulinas Auftragskomposition „Sotto voce“ für dieselbe Besetzung durch das „Ensemble Mobile“ zur Aufführung. Diese Veranstaltung und das Konzert in Straubing gingen als offizieller Beitrag des Bayerischen Musikrates in die „Passauer Europäischen Wochen“ ein.
Auftragskompositionen haben in der nunmehr 58-jährigen Geschichte des Passauer Festivals eine lange Tradition, die vor allem auch durch den Intendanten Dr. Pankraz Freiherr von Freyberg am Leben erhalten wird – und das ist gut so, weil das Festival damit auch immer einen Ausschnitt aus dem aktuellen Schaffen zeitgenössischer klassischer Komponisten bietet.