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Foto: Iko Freese | drama-berlin.de
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Nach Berlin verlegt – HK Grubers „Geschichten aus dem Wiener Wald“ in Berlin

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Die Uraufführungsproduktion von HK Grubers „Geschichten aus dem Wiener Wald“ bei den Bregenzer Festspielen 2014 war als Koproduktion mit Wien und Berlin der und dem angekündigt. Im Theater an der Wien war diese Produktion der dreiaktigen Oper auf ein Libretto von Michael Sturminger nach dem gleichnamigen Stück von Ödön von Horvath inzwischen zu sehen. Doch die Komische Oper Berlin hatte sich – wohl aufgrund der wenig überzeugenden Uraufführungs-Inszenierung entschlossen, eine eigene Neuinszenierung zu präsentieren – leider nur ein partieller Gewinn.

Eines der anlässlich der Uraufführung (vgl. nmz) konstatierten Mankos von HK Grubers Partitur ist deren Länge von etwa drei Stunden; dem wurde durch Kürzungen etwas entgegengewirkt, doch gleichzeitig wurde der Abend durch eine Reihe von Einschnitten in die Musik wieder länger.

Regisseur Michał Zadara hat die in Wien spielende Handlung – bis auf eine Ausnahme: ein ÖVP-Werbeplakat an der Tankstelle – radikal ins heutige Berlin verlegt. Das Spiel mit allerlei Autos und Motorrädern gibt sich vordergründig realistisch, doch der Regisseur arbeitet vornehmlich dekonstruktivistisch. Die Pkws werden von Technikern verschoben (wofür die Prospekte umständlich hochgezogen und wieder gesenkt werden müssen) und blutige Nasen werden den Protagonisten von Maskenbildnern auf der Bühne sichtbar geschminkt. Außerdem werden die Szenen durch zusätzliche Generalpausen kleinteilig seziert.

Bevor das Rauchen gesellschaftlich verpönt war, pflegte man im Filmgeschäft zu sagen: „Wenn einem Regisseur nichts einfällt, lässt er den Darsteller zur Zigarette greifen!“ Wendet man diese Erkenntnis auf die jüngste Berliner Opernproduktion an, so ist dem Regisseur so gut wie nichts eingefallen – denn ständig greifen seine Darsteller zur Zigarette – nur dass die Glimmstengel (wenn auch nicht konsequent) keinen Qualm von sich geben.

Gleichwohl hat der polnische Regisseur bei seinem deutschen Debüt als Opernregisseur einige eigene Ideen beigetragen: während das um den Sonderchor der Komischen Oper angereicherte Ensemble im ersten Bild singend herumsteht, wie es sonst an diesem Haus glücklicherweise nicht zu erleben ist, zieht die Trafikladen-Inhaberin ihren Slip aus und pinkelt vor eines der Autos. Und wenn Metzger Oskar die leeren Gitarresaiten zu seinem Ständchen anschlägt, blasen die übrigen Ensemblemitglieder in leere Bierflaschen. Verführer Alfred ruft nicht nur „Pause“ ins Publikum, sondern trinkt in einer der eingeschobenen Generalpausen auch eine Flasche Bier leer und rülpst dann laut, bevor die Musik erneut einsetzt.

Die Entfremdung der gutgläubigen Marianne vom Kindsvater Alfred erfolgt als frontale Autofahrt mit stummem Gestenreichtum, der den gesungenen Dialog ablöst. Mariannes sozialer Absturz zur Nachtclubsängerin und Hure erfolgt rasch und drastisch an dem zur Verkaufstankstelle umgedeuteten Trafikladen. Ihr vergeblicher Versuch, mit Hilfe der Kirche ins Reine zu kommen, erfolgt hier, grotesk überspitzt, am „Beichtmobil“ der „Katholiker“. Den Nachtclub signalisiert eine Natriumdampf-Straßenlaterne, daneben wird ein Bühnenwagen mit dem Schlagwerk geschoben. Wie im Autokino bleiben die Besucher zunächst in ihren Autos – an deren Fenstern und Türen sich dann nackte Statistinnen räkeln.

Nichts!

Abgesehen von der Tatsache, dass Ödon von Horvaths Schauspiel in Berlin, am von Max Reinhardt geleiteten Deutschen Theater, uraufgeführt wurde, bringt die Verlegung der Handlung nach Berlin – mit Berliner Autokennzeichen und Hinweisen auf Berliner Telefonnummern – nichts.

Denn all zu deutlich dominiert die Partitur den Schauplatz Wien, in Grubers spezifischer, obertonreicher Melange von Wiener Schmäh und Wiener Walzer, angereichert mit allerlei Musikrätseln von Mozart bis Puccini – und auch Mancini, da Gruber die schöne blaue Donau nächtlich mit dessen „Moon River“ collagiert.

Im Bühnenbild von Robert Rumas wird der Wasserverlauf des Flusses und später die Vollmondscheibe filmisch auf ein Großfoto projiziert, während der ICE auf einer Brücke unbeweglich verharrt. Im Haus von Alfreds Mutter und Großmutter sieht man auf der Großfotokulisse ein Häuschen, mit einem im Vorgarten aufgestellten, übergroßen Pool. Der steht dann auch realiter auf der Bühne – mit einem aufgeblasenen Schwan, welcher vermutlich als Pendant zu dem perspektivisch zu groß geratenen Schwan auf der Donau verstanden werden soll. Bisweilen sind Ödon von Horvaths Texte leicht verändert: die Bezeichnung „Neger“ in Valeries Satz „Glauben Sie denn, dass ich die Neger mag, sie großes Kind, sie!“ ist nun durch „Juden“ ersetzt.

Dirigent Hendrik Vestmann sorgt von Anbeginn für grell zupackende Direktheit. Das bekommt Grubers Musik gut, der Bandbreite von Klangfarben und Instrumentaleffekten, den schrägen Volkslied- und Schrammelmusik-Anklängen. In der zitatenreich tonalen Mischung von Bernstein, Weill, Eisler und Schreker arbeitet der Dirigent auch den morbiden Humor heraus; köstlich hervorgehoben das verstimmte Klavier in der rechten Proszeniumsloge des 1. Rangs.

Dem in Musical und barocker Oper gleichermaßen bewährten Ensemble der Komischen Oper Berlin scheint die vielschichtig changierende Partitur des Volkstheaterstücks durchaus entgegenzukommen.

Der wandlungsfähig bewährte Jens Larsen gibt die Partie des bei der Schauspiel-Uraufführung von Hans Moser gestalteten Zauberkönig als Altrocker. Ursula Hesse von den Steinen als Trafikbesitzerin Valerie macht den Wandel von der notgeilen Schlampe zum finalen Gutmensch mit eindringlicher Stimmgebung nachvollziehbar. Großartig gestaltet Adrian Strooper den Metzger Oskar (mit Wagen-Aufschrift: „Fleisch ist geil!“) als einen Hobby-Fotografen, der sich am Leid der Jugendliebe weidet und dies auch noch am Ende genussvoll in Fotos festhält. Wenig glaubhaft hingegen der mit ängstlichen Seitenblicken zum Dirigenten die Darstellung all zu oft unterbrechende Tom Erik Lie als Verführer Alfred. Noch weniger glaubhaft gelingt Ivan Turšić die Transformierung des frühen NS-begeisterten Studenten Erich in einen heutigen Neonazi-Corpsstudenten. Einen Genuss bedeutet hingegen die Wiederbegegnung mit Diva Karan Armstrong in der Rolle von Alfreds mörderischer, ungeschlacht die Zither schlagender Großmutter.

Zu Recht gefeiert wird die junge Cornelia Zink als Marianne, die ihre lange Arie im dritten Akt textverständlich mit dramatischem Atem differenziert gestaltet. Ihr „Lied von der Wachau“ garniert die Sopranistin mit stereotyper Aufreiz-Gestik und spielt die gesamte Nachtclub- und auch noch die folgende Szene mit großem Selbstverständnis an der Bühnenrampe im grellen Spot barbusig.

Jener Teil des Publikums, der bis zum Ende des Opernabends ausharrte, feierte die Mannschaft der deutschen Erstaufführung und den anwesenden, sangbar tonalen Komponisten.

  • Weitere Aufführungen: 29. Mai, 11., 17. Juni, 7. Juli 2016.

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