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Foto: Hagen König
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Narzissmus-Studie von Stephen Sondheim: „Company“ in Radebeul

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Mit Andre Previns „Endstation Sehnsucht“ in der letzten Spielzeit und gleich drei nach 1945 entstandenen Musiktheater-Werken realisiert der neue Operndirektor Sebastian Ritschel an den Landesbühnen Sachsen einen der interessantesten Spielpläne im deutschen Sprachraum. Unter anderem folgen Ludger Vollmers Road Opera „Tschick“ nach Wolfgang Herrndorf (ab 19. Januar) und Gottfried von Einems „Der Besuch der alten Dame“ nach Friedrich Dürrenmatt (ab 26. Mai). Auch beim Musical hat der neue Mann ein glückliches Händchen: Sondheims „Company“ (1970) gerät kein bisschen altbacken, sondern landet recht pfiffig im Heute der temporären Partnerschaften und atomisierten Lebensentwürfe.

Dabei ist der Stoff von Stephen Sondheims „concept musical“ gar nicht so relevant für die Weinberg- und Schlossidylle in Radebeul und Moritzburg. Doch zum ganz großen Erfolg wurde „Company“ leider auch nicht in den Metropolen. Neben der riesigen Spielfreude findet das Ensemble der Landesbühnen Sachsen unter der künstlerischen Gesamtleitung Sebastian Ritschels und Till Naus Choreografie die Disziplin, die das Stück in der genau richtigen Balance zwischen Klischee, Pointe und Individualität hält. Auch wenn der Chor als „The Vocal Minority“ (Einstudierung: Sebastian Matthias Fischer) diskret aus dem Off agiert, ist er für die von Stephen Sondheims synkopisch angeheizten Nummern unverzichtbar.

Heute, mit mehr Offenheit für diverse Lebensentwürfe, hält „Company“ vielleicht sogar noch mehr Doppelbödigkeiten bereit als im Uraufführungsjahr 1970, als die (Pseudo-)Lockerheit nach der sexuellen Revolution ihrerseits neue Verkrampfungen verursachte. Die Stewardess April (passgenaue Leistung mit Stimme und Beinen: Kirsten Labonte) landet mit dem sterilen Charme eines Sachbuchs für Ehehygiene im Bett des Protagonisten Robert. Das ist die eine Ebene der Inszenierung, zu der auch gehört, dass Patricia Hodell als sexuell frustrierte Joanne ihren Song „Auf alle Zicken der Stadt“ hinrotzt, als wetteifere sie mit Liz Taylor in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“. Eine Stunde früher lässt Antje Kahn als Amy ihre Hochzeit platzen wie eine Doris Day im Ausnahmezustand. Doch gibt sich Sebastian Ritschel nicht mit Abziehbildern der Hollywood-Ikonen zufrieden, sondern drängt seine Darstellerinnen erfolgreich zum menschlichen Kern. Da setzt die zweite Ebene an:

Robert, der sich den ganzen Abend nicht zwischen Beziehungsfrust und Singlelust entscheiden will, wird durch Markus Schneider zur äußerst attraktiven Projektionsfolie. Sein in der Höhe fast knabenhaft ausdünnender Belt-Bariton signalisiert, dass er auch nach seinem 35. Geburtstag nicht ins reifere Lebensalter einrücken wird. Er scannt die Ehen seiner verheirateten Freunde, sieht Lebenslügen, Eskapaden, Kompromisse und Harmonieschübe. Sicher ist Robert zugewandter als die sich nimmersatt vernetzende Martha (glaubhaft extrovertiert: Anna Preckeler), für die jede Sekunde in New York ein scharfes Abenteuer an sozialer Promiskuität darstellt. Und er ist als Objekt halb eingestandener Gelüste verheirateter Frauen ein Enigma: So medial perfekt und gewinnend glatt spielt Markus Schneider, dass man daran zweifeln muss, ob Robert je etwas mit existenzieller Dringlichkeit will. Er und alle anderen Spieler saugen ganz wunderbar die gefühlsneutralen Attitüden der Chat-and-go-Zeit in die vielleicht noch etwas gefühlsechteren Jahre um 1970.

Zu allem steht Robert in freundlicher, sich sympathetisch gebender Distanz: Zur kläglich scheiternden homoerotischen Balz des frisch geschiedenen Peter (Stefan Glause), der trotzdem mit seiner Ex-Gattin Susan (Anna Erxleben) eine vertrauliche Basis hält. Auch zum verschwiegenen Alkoholismus von Harry (Michael König) und seiner schönrednerischen Sarah (Stephanie Krone). Nur wenn sich Jenny (Iris Stefanie Maier) und David (Andreas Petzoldt) ihr erdrückend harmloses Leben mit einem Joint aufmöbeln, wirkt das nicht mehr verrucht, sondern armselig. Aber das passt ins Bild dieses Sittenspiegels, der keiner mehr sein muss, weil inzwischen fast alles erlaubt ist.

Ein Regulativ gibt es in Radebeul, denn Hans-Peter Preu steuert mit der Elbland Philharmonie Sachsen und Saxophon-Gruppe weder Richtung Broadway, noch will er den glatten Sound, der gerade als besonders „stylish“ ankommen könnte. Er zieht eine Klangbasis von dunkler Breite in die sinnig-hohle und faszinierend substanzreiche Musik Sondheims, die emotional brodelt statt flockige Songs reiht. Das geht zu Lasten der showhaften Leichtigkeit und stützt das Geschehen mit jener Aufgewühltheit, die in den Figuren steckt.

Darin ist „Company“ verdammt heutig: Die Figuren leiden nicht an dem, was ihnen widerfährt, sondern an dem, was sie nicht haben und gerade deshalb wollen. Nur der Protagonist Robert hat fast alles und will kaum etwas – nicht einmal, dass die Stewardess Kathy bei ihm bleibt. Das Ensemble der Landesbühnen Sachsen glänzt um ihn in einer kurzweiligen Narzismus-Studie mit Momenten von verhaltener Traurigkeit. Diese bemerkt man aber kaum, weil sich Witz, Lust und Elan zum runden Theaterabend summieren. Die Anreise lohnt sich.

  • Termine: Di 31.10. - 19.00 Uhr, Sa 4.11. - 19.30 Uhr, Do 9.11. - 19.30 Uhr,  Fr 8.12. - 19.30 Uhr, Fr 15.12. - 20.00 Uhr, Di 26.12. - 19.00 Uhr in den Landesbühnen Sachsen

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