Eine gegen dominierende patriarchale Strukturen mörderisch aufbegehrende Frau und der direkt über den massiven Blechbläsern samt Schlagwerk sitzende Stalin samt Parteientourage – das musste 1934 lebensgefährlich schief gehen: der 28jährige Dmitri Schostakowitsch fürchtete fortan um sein Leben. Das ist vorbei – doch in unseren „#metoo“-Zeiten ist das Werk virulenter denn je – weshalb unser Kritiker Wolf-Dieter Peter auf eine sehr „heutige“ Deutung hoffte.
Der im Theaterkomplex benachbarte Frankfurter Schauspielintendant Anselm Weber schien nach seinen thematisch nahen Opernregiearbeiten „Katja Kabanova“ und „Die Passagierin“ der richtige Mann. Als sich der Vorhang hob, saß da Katarina, eine blühende Frau mit gefärbt weißer Pony-Frisur in zeitgenössisch schickem Morgenmantel und kurzem Nachthemd. Nach dem #metoo-nahen Auftritt ihres Oligarchen-Schwiegervaters Boris setzte sich Katarina dreimal eine Virtual-Reality-Brille auf und auf dem großen Raumhalbrund hinter ihr sahen auch wir wogende Blütenmeere, zu ihrem sexuellen Begehren dann explodierende Knospen – und die Inszenierungsprobleme begannen…
Ausstatter Kaspar Glarner hatte als Einheitsbühnenbild einen bühnenhohen Silo oder Kühlturm aufgeschnitten, in dessen Halbrund wenige Sessel Schauplatzwechsel signalisierten. Das wäre als „Labor“ oder „Zelle“ eine Interpretationsebene gewesen; doch zu den ja im Werk sehr expliziten Beischlafszenen fuhr ein Rundpavillon mit großem Bett herab, der dann nur wenig genutzt wurde, in dem Katerina aber auch den Teller mit den vergifteten Pilzen für Boris einfach bereitstehen hatte und auf dessen Dach später der Pope sich in Katerinas Nachthemdchen Befriedigung verschaffte… so mischte sich leider durchweg ein teils kruder Naturalismus wenig logisch oder dramatisch erhellend oder gar fesselnd mit Abstraktion. Denn auch andere nutzten die Virtual-Reality-Brille mit abfallenden Blumen und Waldweben. Dazu kamen dann noch Mühlenarbeiter als High-Tech-Gnome, ein sauber frisierter Sergei im Sandstaub, unerklärliche Versenkungen bis zum fehlenden Fluss in der visuell komplett abstrahierten finalen Steppenöde – wodurch Katerinas Mord an der Nebenbuhlerin und Selbstmord wenig schockierten. Insgesamt konnte auch der Schauspielregisseur Anselm Weber nicht durch besondere Personenzeichnung beeindrucken.
Das gelang nur den Solisten, dem klanglich sehr präsenten Chor (Einstudierung: Tilman Michael), dem fulminant zwischen Klage-Piano, bissiger Ironie, greller Groteske und wüster Wucht aufspielenden Frankfurter Opern- und Museumsorchester – und einem der bislang besten Dirigate von GMD Sebastian Weigle. Da war der ganze ungebärdige Aufbruch in eine frech-freie Musikzukunft zu hören. Das zu Recht zum Schlussapplaus auf die Bühne gebetene Blech tobte überlegt; die feinen Instrumentalsoli ließen innehalten und immer wieder wogten Klang-Leidenschaften, die Leiden schafften. Dazu ein perfekt rollendeckendes Ensemble, vom Bodyguard-Polizeichef-Bariton-Hünen Iain MacNeil über die rüde vergewaltigte Hausangestellte Axinja von Julia Dawson bis zur selbstbewusst ordinären Sonjetka von Zanda Svede. Dmitri Golovnins Sergej-Tenor beeindruckte mit selbstgefälliger Attitüde, zu dem der klein-bullige Sinowi als betrogener und ermordeter Ehemann überzeugend kontrastierte. Der volltönenden Bass-Souveränität von Dmitry Bolesselskiy als Schwiegervater Boris und altem Zwangsarbeiter gelang die Mischung aus brutal strotzendem Männlichkeitswahn im Kontrast zu illusionsloser Resignation. Anja Kampe hat sich die Katerina nach der Münchner Premiere von 2016 (vgl. nmz online vom 29.11.2016) völlig anverwandelt: die leuchtete die Lebens-Lust-Gier – und ihre Schlussklage rührte an. Mit ihnen allen hätte sich eine expressive Neudeutung inszenieren lassen – so wurden sie zu Recht für ihre musikdramatische Leistung gefeiert.