Es bedurfte vieler Jahrtausende, bis sich die Musik aus den kultischen Funktionszusammenhängen von Ritus, Kirche, Tanz, Unterhaltung und fürstlicher Machtdemonstration befreien konnte. Erst Ende des 18. Jahrhunderts entstand das öffentliche Konzertleben, wie wir es noch heute kennen und pflegen. Doch was historisch geworden ist, kann auch wieder vergehen. Vielleicht sind die Tage gezählt, in denen sich Leute bewusst in Säle begaben, um dort stillsitzend nur eines zu tun: Musik hören. Immer mehr Künstlern und Veranstaltern ist das nicht mehr genug. Sie fürchten, dieses traditionelle Format erreicht nicht mehr genug Publikum, weil der zu Multitasking erzogene moderne Mediennutzer bloßes Hören angeblich als Zumutung erlebt und es stattdessen vorzieht, allzeit mobil, aktiv, kommunikativ, online zu sein und gleichzeitig zu sehen, zu hören, sprechen, suchen, tippen, Geschäfte machen …
Statt die zeitweilige Fokussierung auf einen einzigen Sinn als willkommene Chance zu Konzentration, Besinnung, Ruhe, Welt- und Selbstreflexion zu begreifen, wird der als defizitär und medial unterkomplex empfundene Status der Musik zu kompensieren versucht. So wird neue wie alte Musik bebildert, durch Filme, Videos, Lichteffekte, Bildprojektionen, Tanz, Bewegung, Räume, Plastiken und computergenerierte Muster. Andere inszenieren sie als Zutat zu Banketten, Sportveranstaltungen, Wellnessangeboten. Wieder andere platzieren sie an ungewöhnlichen Orten oder coolen Locations, die selbst schon so einladend sind, dass Musik nicht weiter als störend empfunden wird. Konzertdarbietungen werden zu Teil von Wanderungen, Bootstouren, Ausflugsfahrten, Schlössern, Gärten, Museen, Parkplätzen, Industriedenkmälern, Grubenschächten, Bahnhöfen, Brücken, Raststätten …
Musik lässt sich mit allem verbinden und wird wie zu Zeiten des Barock wieder zu einem Element inszenierter Gesamtkunstwerke an der Grenze von Kunst und Leben. Ob das gelingt, kann nur der Einzelfall zeigen. Zur Uraufführung am 3. Juni im KKThun (Schweiz) gelangt Isabel Mundrys choreographisches Projekt über Heinrich von Kleist „Nicht ich – über das Marionettentheater“. Miro Dobrowolny platziert am 8. Juni in der Tonhalle Düsseldorf seinen „Epilog mit einer gelenkten Improvisation im Raum“. Am 10. Juni erklingt erstmals Huw Watkins’ Trio „Speak Seven Seas“ beim Festival Spannungen im Kraftwerk Heimbach in der Eifel. Mit dem Konzert „Ein ewig Rätsel will ich bleiben …“ für Englischhorn, Fagott und Streichorchester komponierte Enjott Schneider einen „Ludwig-II-Epitaph“ zur Uraufführung am 13. Juni im Sängersaal von Schloss Neuschwanstein.
Und am 16. Juni lässt sich in der Berliner Philharmonie erleben, ob Peter Eötvös mit seinem „Cello Concerto Grosso“ wirklich barocke Formmodelle restituiert. Schon jetzt sei auch auf ein „Wochenende in der pfälzischen Toscana mit dem Arditti-Quartett und ehemaligen Mitgliedern“ hingewiesen, bei dem am 2. Juli nach lukullischem „Dejeuner Majeur“ erstmals das Streichquartett „Differences within oneness“ von Kui Dong im Herrenhaus Edenkoben serviert wird, mit anschließendem Gespräch und „Finale con vino“.
Weitere Uraufführungen
04.06.: Richard Ayres, No. 46 für Orchester, Holland Festival, Muziekgebouw aan‘t IJ Amsterdam
10.06.: Charlotte Seither, Recherche sur le fond, Festival Ensemblia Mönchengladbach
Dieter Kaufmann, Executive aus einer fernen Zukunft – Hörspiel aus der Oper „Freier Fall“, Musikwissenschaftliches Institut der Universität Köln
11.06.: Heinz Holliger, Zwei Stücke nach Mani Matter für Klavier, Pfingstkonzerte der Kartause Ittingen
22.06.: Julien Jamet und Niklas Seidl, neue Orchesterwerke, Hochschule für Musik und Tanz Köln
28.06.: Miroslav Srnka, Make No Noise – Eine Kammeroper, Pavillon 21 MINI Opera Space der Staatsoper München