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Neue Formen für alte Einsichten

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Spannendes Musiktheater beim dramaturgisch neu gestylten Kurt Weill Fest in Dessau
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Kein Ton ohne klingende Münze – Dirigenten und Sänger, Bühnentechniker und Hausmeister müssen bezahlt sein, bevor die erste Note einer Partitur hörbare Gestalt annehmen kann. Dass Musik und Geld durchaus ein Verhältnis miteinander haben, die holde Kunst niemals ohne den schnöden Mammon sein konnte und das Fressen vor der Moral kommt, ist gerade in den heutigen finanzknappen Zeiten unumstrittene und ein wenig banale Einsicht.

Als programmatischer roter Faden für das Kurt Weill Fest Dessau jedoch erwies sie sich als bestens geeignet. Unter dem Motto „Noten und Münzen“ präsentierte der neue künstlerische Leiter Clemens Birnbaum, der nach zehn Jahren den verdienstvollen Andreas Altenhof ablöste, seine persönliche Handschrift mit stringentem dramaturgischem Styling. Die gut 25 Veranstaltungen waren nun bestens miteinander abgestimmt: von der in den Mittelpunkt gestellten, zum 75. Geburtstag gefeierten „Dreigroschenoper“ mit ihrem nicht minder brisanten historischen Vorbild, der „Beggar’s Opera“, über die Dinnershow „Money makes the world go around“ bis hin zur „Harmoniemusik“ aus der „verkauften Braut“ oder Beethovens „Wut über den verlorenen Groschen“ – das alles eher verspielt anregend als tiefschürfend Zusammenhänge aufzeigend. Konzentrierte man sich diesmal auf den „deutschen Weill“, die in mehrfacher Hinsicht revolutionären frühen Werke bis zur Emigration 1933, so kamen doch weniger ihre sozialkritischen Inhalte und politischen Ambitionen innerhalb der Umbrüche der 20er-Jahre zur Sprache als ihre ästhetischen Neuerungen. So wurde auch der „Dreigroschenoper“ letztlich der an den „Verhältnissen“ nagende Zahn gezogen – mit einer Inszenierung, die ihrerseits subtile Aktualität hervorlockte. Für die Regie und gleich auch noch Bühne und Puppenentwürfe sowie das Casting der Sänger und Puppenspieler stand der Pantomime Milan Sladek ein, schuf damit ebenso eine seltene Stimmigkeit wie sich wechselseitig durchdringende, sich brechende Verfremdungsebenen. Mackie Messer, die Seeräuber-Jenny oder Polizeichef Tiger Brown werden als etwa kindergroße Marionetten von je drei Spielern nach Art des altjapanischen Bunraki-Theaters an Kopf, Händen und Füßen geführt. Die schwarze Kleidung (Kostüme: Ján Kocman) der Puppenführer verschmilzt mit dem Bühnenhintergrund und lässt die weiß leuchtenden, karikaturistisch gestalteten Figuren umso deutlicher hervortreten. Auf einer dritten Ebene hoch über dem Bühnengeschehen thronend leiht ein Schauspielerteam den Puppen seine Sprech- und Gesangsstimmen, eine Klangfolie von farbenreicher Plastizität.

Die Präzision, mit der sich hier Sprachmelodie in differenzierte, schlagkräftige Gesten umsetzt, ist atemberaubend, der bizarre Realismus der Beziehungsgefechte des Ehepaars Peachum, der traurigen Huren mit den schaukelnden Riesenbrüsten im „Zuhälter-Tango“ bisweilen zwerchfellerschütternd. Ein doppelter, poetisch-ironischer Boden ist dem Werk so eingezogen, treibt ihm den moralischen Zeigefinger endgültig aus und zeigt es als getreues Abbild unserer Gegenwart, in der man sich über die Raffinesse und Unangreifbarkeit ganz legaler Schurkereien am besten zu Tode amüsiert. Einen wie ausrasierten Klang peitscht Golo Berg aus der Anhaltischen Philharmonie heraus, gibt der Musik damit ebenso die dem unterhaltsamen Bild fehlende engagierte Schärfe, wie er die Aufmerksamkeit auf Parodieelemente „großer Oper“ lenkt – mit dem Höhepunkt eines Finales voller „Fidelio“-Anklänge, zu denen der „reitende Bote“ auf einem winzigen Pferdchen vom Bühnenhimmel schwebt.

Sladek, der in Köln das einzige fest ansässige Pantomimentheater Westeuropas betreibt und unlängst bei den Schwetzinger Festspielen mit einer Mozart-Inszenierung Furore machte, war als erster „Artist in Residence“ des Weill-Festes nach Dessau eingeladen worden. Eine glückliche Wahl, denn Pantomime war das Element, mit dem der junge Weill der Krise des traditionellen Musiktheaters zu begegnen versuchte: Die Unglaubwürdigkeit des singenden Menschen auf der Bühne sei spätestens mit dem Desaster des ersten Weltkriegs offenbar geworden, Oper nur noch als irreales, surreales Geschehen denkbar und ihr erzählerischer Verlauf ganz der Musik anvertraut, führte Michael Heinemann im musikwissenschaftlichen Seminar „Das Musiktheater der Zwanziger Jahre“ aus. Mit Untersuchungen zur Gebrauchsmusik, Weills populärem Songstil oder über die „Wa(h)re Liebe“ in der Zeitoper kreisten hier Doktoranden der Dresdner Hochschule für Musik die vielfältige, beileibe nicht mit Schlagworten wie „Expressionismus“ oder „Neue Sachlichkeit auszuschöpfende Formensprache des jungen Weill ein.

Fortsetzung nächste Ausgabe

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