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Treppensteigen mit Julio Cortázar: Die zukünftige Festivalleiterin Helena Cánovas i Parés (links) zusammen mit Elena Plaza Cebrián und Camila Moukarzel Ortega im Liedberger „AvantGarten“. Foto: Giorgio Morra
Treppensteigen mit Julio Cortázar: Die zukünftige Festivalleiterin Helena Cánovas i Parés (links) zusammen mit Elena Plaza Cebrián und Camila Moukarzel Ortega im Liedberger „AvantGarten“. Foto: Giorgio Morra
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Neue Musik im Gartenidyll

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Die niederrheinische Biennale „AvantGarten Liedberg“
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In der von Autobahnen und Stromtrassen zerschnittenen Industrie- und Agrarwüste zwischen Neuss und Mönchengladbach taucht plötzlich eine kleine Oase auf. Das Örtchen Liedberg liegt sanft erhöht auf dem einzigen Festgesteinsvorkommen im niederrheinischen Schwemmland. Schon Römer und Kelten siedelten hier und nutzten den Sandstein für Bauten und Glaserzeugung. Das Dorf besteht aus alten Höfen, Fachwerk- und Backsteinhäuschen, kleiner Kirche, Schloss und vielen Obstwiesen, Gärten, Gemüse-, Kräuter- und Blumenbeeten.

Alle zwei Jahre verbindet sich dieser grüne Flecken mit neuer Musik zu „AvantGarten Liedberg“. Im Rahmen der „Muziek Biennale Niederrhein“ finden an einem Sonntagnachmittag Anfang September an mehreren Stationen Konzerte statt. Begründerin und Leiterin ist Brita Heizmann, eine ehemalige Kulturjournalis­tin, die viel in der Welt herumgekommen ist, sich in Liedberg niedergelassen hat und 2012 das Wandelkonzert initiierte. Neben Förderungen durch Land, Region und Stadt Korschenbroich gewann sie als Sponsoren den lokalen Ziegenhof und Burghof sowie Liedberger Familien mit ihren Privatgrundstücken als Gastgeber.

Auf leicht transportablen Klappstühlen sitzt das Publikum in liebevoll res­taurierten Hofanlagen auf Gras, Wegen und Terrassen, mit schönem Blick auf späte Malvenblüten vor sonnenbeschienenem Ziegelgemäuer. Rund hundert Menschen blicken gespannt auf Akkordeonist Krisztián Palágyi und lauschen auf das, was klingt: summende Biene, zwitschernder Vogel, knirschende Schritte im Kies, und aus dem unweit gelegenen Wäldchen der Ruf eines Käuzchens. Was sich ereignet gleicht zunächst der Nummer „Sitzen und Hören“ aus Peter Ablingers Reihe „Weiss / Weisslich“. Doch dann schmiegt der Akkordeonist sanfte Luftgeräusche und Töne behutsam ins akustische Weichbild. Die Freiluftszene verwandelt sich zum temporären Konzertsaal, bis eine Böe mit raschelndem Laub wieder die Naturgeister ins Gedächtnis ruft. Zur energetisch gesteigerten Solokomposition „hours printed on the air“ von Macarena Rosmanich bewegt sich Tänzer Isaac Espinoza Hidrobo sowohl synchron als auch unabhängig, mal langsam und skulptural, mal wie unter den hechelnden Tremoli des Balginstruments am ganzen Leib zitternd.

Die ersten Jahrgänge „AvantGarten“ boten überwiegend Klassik und bekannte Namen wie Hindemith, Carter, Ligeti, Berio, Kagel, Holliger, Globokar, N. A. Huber. Mit Brigitta Muntendorf holte sich Brita Heizmann 2018 erstmalig eine Kuratorin für neue Musik an die Seite. Die Kompositionsprofessorin an der Hochschule für Musik und Tanz Köln brachte zwölf Studierende des dortigen Instituts für neue Musik mit Uraufführungen nach Liedberg. Dieses Jahr sorgte die spanische Komponistin Helena Cánovas i Parés für ein von jungen spanischsprachigen Komponisten und Interpreten geprägtes Programm. Nach ihrem Masterabschluss bei Markus Hechtle in Köln studiert sie gegenwärtig noch elektronische Komposition bei Michael Beil. Mit ihrer „Unterweisung im Treppensteigen“ setzte sie den Schlusspunkt des diesjährigen Parcours, dessen Gesamtleitung sie in Zukunft übernehmen wird. Nach einem Text von Julio Cortázar“ beschreibt Cánovas i Parés darin den akrobatischen Akt eines Menschen, dem es gelingt, mit seinen zwei Beinen und Füßen eine Treppe hinaufzusteigen. Sagenhaft! Die Sängerin Elena Plaza Cebrián und Flötistin Camila Moukarzel Ortega begleiteten die Schilderung mit sinnfälligen Gesten und Klängen. Neben den umständlichen Erklärungen der alltäglichen Handlung verblüffte vor allem die schöne Leichtigkeit, mit der sich das sperrige Wort „Treppe“ dank pralltrillerartig rollendem Zungenspitzen-„R“ singen ließ.

Bevor der musikalische Spaziergang bei geselligem Buffet im Sandbauernhof endete, formierte sich am Heuboden vor dem Schloss das Ensemble Kollektiv3:6Koeln zur Aufführung eines Stücks von Vladimir Guicheff Bogacz. Während der Kontrabassist schon an Ort und Stelle spielte, hörte man die Flötistin und Geigerin einstweilen nur aus weiter Ferne vom alten Turm und jenseits des Hofs. Schließlich räumlich vereint verdichteten sich die Klänge langsam zum Trio, das der Schlagzeuger aus dem alten Gebälk mit gespenstischem Schaben und Knarzen kontrapunktierte. Im Galeriehof Dreho ließ Carlie Schoones in ihren „Parallel news“ sechs wiederkehrende Tanzeinlagen von Sara Escribano Maenza mit sechs verschiedenen fiktiven Zeitungsberichten kommentieren. Und Martín Letelier ließ in seinem Duo „Poemas de Malú“ die klar strahlenden Stimmen von Cebrían und Maria Portela Larisch zart sich umranken und neben leuchtenden Terzen auch bei Sekundreibungen wunderbar weich verschmelzen: Auch das war ein klingendes Naturereignis!

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