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Neugeboren an der Südwestspitze Europas

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Das Orquestra do Algarve im sonnigen Süden Portugals kann sich hören lassen
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Just an dem Wochenende, als die Fußball-WM für die portugiesische Nationalmannschaft mit dem Achtelfinale zuende war und die Stimmung im Lande auf Halbmast ging, trat sie im Süden Portugals erstmals an: die 31-köpfige Mannschaft des Orquestra do Algarve mit ihrem Trainer, sprich Director Artistico e Maestro Titular, Alvaro Cassuto. Und um es gleich zu sagen: Das sehr jugendliche Team im Alter zwischen 20 und 33 Jahren hatte mit seinem überaus erfahrenen Chef (63) den ersten Auftritt bereits vor der Zugaben-Verlängerung klar für sich entschieden – ein Gewinn für die Region im äußersten Südwesten Europas, die sich erstmals mit einem eigenen Orchester schmückt.

Just an dem Wochenende, als die Fußball-WM für die portugiesische Nationalmannschaft mit dem Achtelfinale zuende war und die Stimmung im Lande auf Halbmast ging, trat sie im Süden Portugals erstmals an: die 31-köpfige Mannschaft des Orquestra do Algarve mit ihrem Trainer, sprich Director Artistico e Maestro Titular, Alvaro Cassuto. Und um es gleich zu sagen: Das sehr jugendliche Team im Alter zwischen 20 und 33 Jahren hatte mit seinem überaus erfahrenen Chef (63) den ersten Auftritt bereits vor der Zugaben-Verlängerung klar für sich entschieden – ein Gewinn für die Region im äußersten Südwesten Europas, die sich erstmals mit einem eigenen Orchester schmückt. Die internationale Ausschreibung erbrachte trotz recht bescheidener Gehaltsangebote nicht weniger als 800 Bewerbungen aus aller Welt, von China bis Brasilien, vor allem aber aus England, Spanien, Italien und Frankreich; 100 Kandidaten wurden zum Probespiel nach Faro eingeladen. Zwar wünschte man sich verständlicherweise einen erklecklichen Anteil von Portugiesen im Ensemble, doch die Gewerkschaft verhinderte – eher unabsichtlich – jedes freundliche Entgegenkommen, indem sie auf anonymem Probespiel hinter dem Vorhang bestand.

Als nach Auswahl und Zusagen die Zusammensetzung des Orquestra do Algarve feststand, siehe, da waren es fast zur Hälfte junge Musiker aus Großbritannien, zur anderen Hälfte Spieler aus Südafrika, Kanada sowie mehreren europäischen Ländern, darunter keiner aus Italien, Frankreich oder Deutschland, einer aus Portugal.

Was aber wichtiger ist als die Staatsangehörigkeit der „oa“-Mitglieder: Sie alle sind gute, nicht wenige von ihnen ausgezeichnete Musiker, und obwohl die meisten zum ersten Mal in ein professionelles Engagement gehen, haben sie doch bereits Erfahrungen sammeln können in nationalen oder internationalen Jugendorchestern, viele als Aushilfen in hochrangigen Klangkörpern in Toronto, London oder Amsterdam. Und sie alle wollen diesem Orchester zum Erfolg verhelfen, zum raschen Aufstieg möglichst in die internationale Liga.

Im Tutti verstecken könnte sich allerdings auch niemand bei einem Ensemble, das bei voller Besetzung zwei Kontrabässe aufs Podium bringt und sechs Erste Violinen, die sich jedoch noch reduzieren, wenn, wie im Eröffnungskonzert, einer der Konzertmeister als Solist auftritt und der andere, von Windpocken befallen, gleich bei mehreren Proben fehlt.

Alle sind in der gleichen Lage: Sie wollen und können sich dort als Musiker bewähren, jeder einzelne kann sich zudem um ein Solokonzert bewerben; nach den beiden hervorragenden Konzertmeistern, dem Engländer Roy Theaker und dem Südafrikaner Philip Nolte, mit Violinkonzerten von Mozart werden in der zweiten Runde der niederländische Solocellist und die einzige, aus Bulgarien gebürtige „Tutti“-Cellistin mit den zwei Haydn-Konzerten antreten. Die ersten Konzerte, die mit überraschender Nüchternheit vonstatten gingen, ohne Festakt, Ansprache oder Empfang, nahmen für das Projekt einfach durch die Leistung des Orchesters und seines Dirigenten ein, obwohl das Eröffnungsprogramm Risiken nicht scheute: Rossinis Ouvertüre zur „Italienerin in Algier“ erfordert ebenso wie Mendelssohns IV. Symphonie Brillanz und große Präzision im Zusammenspiel, die Cassuto seinem jungen Team in manchmal atemberaubenden Tempi abverlangt. Andererseits zeigten alle Beteiligten hohe Qualität im wunderbar konzentriert-ruhig musizierten Adagio-Satz von Mozarts 3. Violinkonzert G-Dur. Ein wenig ungeliebt klang allerdings der zeitgenössisch portugiesische Beitrag, Sérgio Azevedos Ouvertüre „Love’s Labours Lost“, obwohl es sich um eine Auftragskomposition für diesen Anlass handelt.

Natürlich muss ein neues Orchester in einer bislang musikalisch sehr spärlich bedienten Region erst einmal sein Publikum finden und an sein Angebot heranführen. Dazu sind außer den Normalkonzerten in den sechs an der Finanzierung beteiligten Kommunen – von Tavira nahe der spanischen Grenze bis Lagos im äußersten Westen – auch Gesprächskonzerte in der Universität der Algarve am Stadtrand von Faro, Veranstaltungen in großen Hotels der Urlauber-Zentren, Einsätze von Musikergruppen in Schulen und Kammermusikabende geplant – nicht zu vergessen CD-Aufnahmen, die schon jetzt vereinbart sind, und zu gegebener Zeit Tourneen. Vom Herbst an werden im Sinne einer Orchesterakademie bis zu zehn Praktikantenplätze für den noch jüngeren Orchester-Nachwuchs angeboten, vorrangig für Musikstudenten und Absolventen in Portugal, die allerdings nicht Portugiesen sein müssen.

Das alles will, in unerlässlicher Kooperation zahlreicher Partner, erst einmal aus einem noch etwas pauschalen Konzept in konkrete Planung entwickelt und dann in Realität umgesetzt werden, und zwar bei einem Gesamtetat von derzeit 1,25 Millionen Euro, wovon noch dazu 20 Prozent Sponsorenmittel oder private Zuwendungen vorerst nur auf der Hoffnungsseite im Haushaltsentwurf erscheinen. Der Vorsitzende des Trägervereins, Manuel Ramires Fernandes, der seine Idee bereits sechs Jahre lang beharrlich verfolgt und das Orchester im pränatalen Stadium durch verschiedene Krisen gesteuert hat, ist nach dessen glücklicher Geburt erst recht optimistisch.

Das Wichtigste aber ist geschafft: Das Orchester im Format einer Kammerphilharmonie kann sich hören lassen. Natürlich ist es zu früh, über einen höheren Rang in einer imaginären internationalen Liga zu spekulieren. Aber es soll ja selbst bei der WM vorkommen, dass gerade die vermeintlichen Außenseiter durch spielerische Überlegenheit Furore machen.

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