Das Kölner Forum Neuer Musik versammelt in diesem Jahr Komponisten und Werke von fünf Kontinenten. Thematisch im Zentrum stehen die Begriffe „Globalisierung“ und „Kolonialismus“. Das Internationale Werkstattfestival des Deutschlandfunks erprobt „post-koloniale Perspektiven“ – auf Neue Musik und mittels Neuer Musik. Andreas Kolb sprach mit DLF-Redakteur Frank Kämpfer.
neue musikzeitung: Früher musste sich ein Komponist entscheiden, ob er im italienischen oder im französischen Stil komponiert. Sind solche geographisch-kulturellen Merkmale in einer globalisierten Welt heute noch relevant?
Frank Kämpfer: Stilistische Wahl hatte schon im 17. und 18. Jahrhundert wenig mit Geographie zu tun. Sondern mit der Entscheidung, unter welchen Bedingungen man am besten zugleich überleben und sich künstlerisch realisieren konnte. Heute ist die Sachlage komplizierter: Auf dem mitteleuropäischen Festivalmarkt ist Exotismus gegenwärtig wieder willkommen. Musikalische Urheber aus kulturell fernen Ländern, die im Zuge ihres Studiums im Westen die musikalische Prägung ihrer Kindheit wiederentdecken und in anspruchsvolle zeitgenössische Klänge zu kleiden verstehen, werden goutiert, sofern sie auf dem Markt bestehen und für Aufsehen sorgen. Etwas anderes ist es, wenn sie zurückgehen und sich in ihrer Heimat – im Zuge zum Beispiel der Neuschreibung nationaler Identität – kompositorisch an Spurensuchen nach indigenen Kulturen beteiligen. Dann erlischt das Interesse sehr schnell.
nmz: Die Künstlerauswahl beim Forum 2013 scheint vom gewohnten eurozentrischen Begriff und Personal Neuer Musik stärker abzuweichen als sonst. Wer sind die Künstler, warum wurden gerade sie ausgewählt?
Kämpfer: Alan Hilario, Samir Odeh-Tamimi, Julián Quintero, Fadi Deeb und Stella Chiweshe, auch Adriana Hölszky und David Smeyers leben in Deutschland – aber sie tragen andere Kulturen in sich und bewegen sich deshalb permanent im Spagat. Kulturelle Ambivalenz, multiples Wahrnehmen, das Agieren in Widerspruchsgefügen – all das ist ihnen bestens vertraut. Mit einer solchen Sensibilisierung lässt sich das heute wieder Multizentrische in Politik und Kultur viel leichter erfassen. Wenn wir Globalität heute ernst nehmen, und das wollen wir beim Forum 2013, dann reicht es nicht mehr, die Welt mit mitteleuropäischen Augen zu sehen. Wir müssen eine post-koloniale Perspektive einnehmen, das heißt das vielgestaltige Erbe des Kolonialismus mitreflektieren – und darin sind uns die eben Genannten deutlich voraus.
nmz: Wie hat sich das FORUM im Zuge von 14 Ausgaben verändert, wie hat es sich strukturell entwickelt? Gilt es noch immer der Kunst? Oder steht der Vermittlungsgedanke im Zentrum?
Kämpfer: Das Forum gilt der Kunst des zeitgenössischen Komponierens und Musizierens – im Rahmen der politisch-kulturellen Verhältnisse, wie wir sie heut haben. Diese Kunst soll die Verhältnisse auch reflektieren, und (sich) Fragen von politischer und existenzieller Dimension stellen – das ist ja letztlich die Grundaufgabe zeitgenössischer Kunst. Strukturell lebt das Forum von jungen und unverschlissenen Künstlern, von einer wachsenden Zahl an Spielorten und vom hohen Wortanteil. Wir liefern ein kulturelles Gesamtangebot zu einem spezifischen Thema, das wir von möglichst vielen Seiten betrachten.
nmz: Was erwartet uns unter der Überschrift „10 Jahre IEMA“? Handelt es sich um eine zentrale Jubiläumsveranstaltung?
Kämpfer: Das ist Feier und Resümee, aber auch ein Leistungsnachweis. Mit Kagel, Chin, Ravel und Rohloff spielen die jungen Leute der 10. Internationalen Ensemble Modern Akademie ein immenses Programm. Buch und CD zum Jubiläum erscheinen im Herbst.
nmz: Wann kann man was auf welchen Sendeplätzen im Radio hören?
Kämpfer: Das IEMA-Konzert, das Orgelporträt Adriana Hölszky, das vier Kontinente umspannende Aventure-Konzert, Fadi Deebs palästinensisches Klavierrecital, Alan Hilarios Video-Text-Stück über die Völkerschauen und die afrikanischen Spurensuchen am Eröffnungstag – all dies wird zeitversetzt ausgestrahlt. Auf alten und neuen Sendeplätzen im DLF-Abendprogramm.
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