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Jacques Imbrailo, David Minseok Kang, Florian Eggers, Niklas Mallmann, Audi Jugendchorakademie, Vokalensemble LauschWerk, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg. Foto: Bernd Uhlig

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„Nicht begabt für das Leid“ – Sensationelle Aufführung von Olivier Messiaens „Saint François d’Assise“ in Hamburg

Vorspann / Teaser

Die einzigartige „Urigkeit“ der Musik Olivier Messiaens speist sich aus indischen Rhythmen, aus einer ganz persönlichen Farbenlehre, aus den gotischen Kirchenfenstern, aus der Großartigkeit der Natur und noch essenzieller aus den Mysterien und Dogmen der katholischen Kirche. Das ist bekannt. Aber wie erstaunt war die Theaterwelt, als Messiaen sich 1983 – er starb 1988 im Alter von 80 Jahren – entschloss, eine Oper zu schreiben. Eine Oper auf dem biographischen und ästhetischen Hintergrund, mit der vehement vertretenen Ansicht: „Ich bin nicht begabt für das Leid, das sollen andere tun“. „Saint François d’Assise“ wurde ein fünfstündiges Werk über Franz von Assisi, mit dem er die Liebe zu den Vögeln teilte, deren Stimmen er lebenslang sammelte, aufschrieb, sie in unzähligen Werken wiedergab und sogar sagte: „Die Musik der Vögel hat mir wieder das Recht gegeben, Musiker zu sein“. 

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Dieses wahrlich monumentale Werk war jetzt in einer ebenso monumentalen Produktion der Staatsoper Hamburg, des Philharmonischen Staatsorchesters und der Elbphilharmonie zu hören, zu sehen und zu bestaunen, denn so rückwärts gerichtet so einiges von Messiaen auch sein mag – und unüberhörbar auch manchmal ist –, so unfassbar originell und authentisch ist seine immer aufregende Klanglichkeit. In besten Händen lag das bei Kent Nagano, einem der größten Kenner der Musik des Franzosen, die blitzte, donnerte, vibrierte, atmete, sang, trauerte, zitterte und vieles mehr. Nagano lenkte über dreihundert Orchestermusiker:innen und Chorist:innen (Chöre: Martin Steidler und Sonja Lachenmayr) mit einer Energie und Spannung, die nie nachließen.

Was wird in fünf Stunden erzählt? Franziskus erklärt die Liebe Christi, trifft und heilt einen Aussätzigen, ein musizierender Engel erscheint und fragt, was Vorsehung sei, Franziskus predigt den Vögeln, er singt seinen berühmten Sonnengesang, preist die „Überfülle von Wahrheit“, die Musik und Poesie für ihn bedeuten und stirbt. Georges Delnon bezeichnet seine szenische Arbeit nicht als „Regie“, sondern als „szenische Einrichtung“. Dazu hat er über dem Orchester eine runde Plattform mit zwei Zugängen gebaut, auf dem seine Mitbrüder kommen und gehen, der „Engel“ lebt und handelt im ganzen Raum, das dürften in der Elbphilharmonie so einige Kilometer sein. Seine Engelsidentität ist nur dem Publikum sichtbar, nicht Franziskus. Über diesem Podest: ein von vier Seiten einsehbares, sich drehendes Rund, auf dem entsprechende Videos zu sehen waren: Assisi, die Natur, die Vögel, besonders der bedrohliche Turmfalke, die Freskomalereien in den Klosterkammern. Am Ende ist diese Projektionsfläche ein gleißendes Licht. Die Schnur zur Gegenwart und mit zu einer ganz besonderen Aktualität bildeten Videos aus der Arbeit des Hamburger Straßenmagazins Hinz&Kunzt, der zivilen Seenotrettung Sea-Watch und des Hamburger Hospizes im Helenenstift.

Kongenial die Solist:innen: allen voran die charismatische Anna Prohaska als Engel, als anrührender Franziskus der Südafrikaner Jacques Imprailo, weiter der Aussätzige Anthony Gregory und mit zahlreichen persönlichen Nuancen Kartal Karagedik (Frère Léon), Daviet Nurgeldiyev (Frère Massée), Andrew Dickinson (Frère Élie , David Minseong Kang (Frère Bernard), Florian Eggers (Frère Sylvestre) und Niklas Mallmann (Frère Rufin).

Einmal mehr: Olivier Messiaen: einer der überragendsten, aber auch ungewöhnlichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Standing ovations. Zwei weitere Aufführungen dieser faszinierenden Produktion gibt es am 6.6. und am 9.6.

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