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Nicht provinziell und kein Lärm

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Ein neues Musikfestival in Eckernförde
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Eckernförde? Wer südlich von Hamburg weiß schon, wo das liegt! Ein Städtchen von etwa 27.000 Einwohnern, 30 Kilometer nördlich der Landeshauptstadt Kiel, an der Ostsee gelegen, gewesene Kreisstadt, gewesener großer Fischereihafen. Und durch die Gegenwart weht die Vergangenheit: eine Altstadt mit kleinen Bürgerhäusern und den einstigen Winterresidenzen des mittelholsteinischen Landadels, die den Modernisierungs-Kahlschlag der 60er-Jahre ziemlich unbeschadet überstanden hat.

Und doch weht der Zeitgeist durch die Idylle. Zum einen durch Norbert Weber mit seiner Galerie NEMO, der der „Ars Baltica“ des früheren Ministerpräsidenten Björn Engholm mit auf die Beine geholfen hat und heute der geistige und materielle Hauptumschlagsplatz für skandinavische und baltische Kunst in Norddeutschland ist. Zum anderen durch Gerald Eckert, der, mit dem Darmstädter Kranichstein-Preis 2006 und soeben auch mit dem Stuttgarter Kompositionspreis ausgezeichnet, viele europäische Stipendien, Preise und Kompositionsaufträge eingesammelt hat und in der avancierten Szene der Neuen Musik inzwischen als einer der ersten Namen gilt. Dass sich der gebürtige Franke, der zeitweilig auch in Paris und Venedig lebte, in Eckernförde angesiedelt hat, gereicht dem kleinen Ort zum Segen. Mit seinem „ensemble reflexion K“ zieht er hier eine alljährliche Konzertreihe durch, die sich im Programm vor jeder postmodernen Beliebigkeit hütet, erste Komponisten präsentiert und ein hohes Interpretationsniveau garantiert.

Daraus ist ein in den äußeren Abmessungen bescheidenes, aber im Anspruch ehrgeiziges kleines Festival entstanden, dem Eckert ironisch den Namen „ProvinzLärm“ gegeben hat, Titel eines Romans des Lyrikers Wilhelm Lehmann, der als Studienrat in Eckernförde die schlimmen Zeitläufte überstanden hat und hier 1968 auch verstorben ist.

„ProvinzLärm“ soll alle zwei Jahre gemacht werden und zum Teil immer einem nordisch-baltischen Land gewidmet sein. 2009 wird – auch in Verbindung mit bildender Kunst – Lettland im Focus stehen, und für dieses erste Mal hat sich Eckert in dem abgelegenen Island umgesehen. Neben einem Abend mit „Nono und seinen Schülern“ (Lachenmann, Eckert und Nicolaus A. Huber) erfuhr man in einem informativen Vortrag von Steingrimur Rohloff, einem deutsch-isländischen Komponisten, Überraschendes über die musikalische Szene in Reykjavik. Etwa 300.000 Einwohner zählt das Land heute. 1930 nahm hier das Radio seinen Betrieb auf, und im gleichen Jahr wurde die Musikhochschule gegründet. Ein eigenes Orchester gibt es seit 1950, und 30 Jahre später versuchte das Reykjavik Festival, sich in den Reihen der europäischen Musikfestspiele einzubetten. Seit 1987 gibt es ein Ensemble für Neue Musik, dessen Konzerte, wie Rohloff stolz sagen konnte, die höchsten pro-Kopf-Besucherzahlen in Europa haben.

Die Konzerte in Eckernförde, die Gerald Eckert als Organisator, Komponist und Cellist trägt, finden in der akustisch gut prädestinierten Nikolaikirche statt, dem gedrungenen spätgotischen Backsteinbau mit den berühmtesten Kunstwerken der Stadt, den barocken Holzschnitzereien von Vater und Sohn Gudewerdt für Altar und Kanzel – ein selbstbewusster Hintergrund, der kontrastreich wunderbar harmoniert mit den neuen Klängen aus fernen nordischen Welten. Eckert kann naturgemäß nur kleine Ensembles zusammenstellen, aber sie führen dem begrenzten, doch an Zahl nicht kläglichen Besucherkreis immer wieder wahrhaft unerhörte Begegnungen zu, für diesmal unter anderem mit Stücken, in denen sich Akkordeon (Eva Zöllner) und Kontrabass (Kristján Orri Sigurleifsson) zusammenfinden.

Dieses Duo „The Slide Show Secret“ präsentierte mit Werken isländischer und anderer skandinavischer Komponisten, großenteils für das Ensemble geschrieben, eine breite Palette instrumentaler und klanglicher Möglichkeiten dieser so unterschiedlichen Charaktere, die teils ins Wechselspiel scharfer Kontraste, teils zu totaler Fusion geführt werden, teils auf einem ausgeprägten rhythmischen Duktus basieren, teils die Klangwelten obertonreich ausmessen und clusterartig ballen.

Verschiedene Handschriften wurden da nebeneinandergestellt – alle durchaus eigenständig und eigenwillig, oft getragen von einem melancholisch traurigen Grundton, gelegentlich ins Tänzerische sich verlierend: Randständiges im Kosmos der Neuen Musik, doch niemals Rückständiges.

„ ProvinzLärm“ war nicht im mindesten provinziell, und lärmend war es ebenso wenig, denn stille Konzentration auf Struktur und Klang bestimmte diesen geglückten Versuch Gerald Eckerts, in einer kleinen Stadt ein kleines Festival bei höchstem Anspruch auf die Beine zu stellen. Für die Fortsetzung verdient er alle Unterstützung.

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