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Musik muss das Zentrum bleiben: „Surrogate Cities Ruhr“ in der Kraftzentrale Duisburg. Foto: Ruhrtriennale/Wonge Bergmann
Musik muss das Zentrum bleiben: „Surrogate Cities Ruhr“ in der Kraftzentrale Duisburg. Foto: Ruhrtriennale/Wonge Bergmann
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Nicht vergessen, worin die Stärke besteht

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Heiner Goebbels’ Ruhrtriennale-Intendanz 2012 bis 2014 · Ein Fazit von Georg Beck
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Bilder hat Heiner Goebbels in seinen drei Ruhrtrien­nale-Spielzeiten reichlich geliefert. Jedes für sich ein Balanceakt. Als ob er sagen wollte: Nur die Grenz­linie kann meine Ideallinie sein. Wer gewartet hatte auf das eine Bild, das die Botschaft dieser Inten­danz ausdrückt, musste sich gedulden. Als es dann mit „Surrogate Cities Ruhr“ kam, war es wie ein nachgeholtes Versprechen. Das Einfache, das offenbar (auch dies hat uns diese Intendanz gezeigt) so schwer zu machen ist: dass nämlich das Orchester das Zentrum ist, um das alles kreisen muss.

Der Anfang, ein charmantes Tohuwabohu. Eröffnung der ersten Spielzeit 2012 mit dem bunten Treiben von Goebbels’ Europeras-Regie zwischen Fantasie und Fantasy und dem sehr bewussten Vorhaben, im Sinne Cages das Moment der Bewusstheit aus dem Musizieren zu tilgen. Ein waghalsiger Gegen­entwurf, der in einer halsbre­che­ri­schen Materialschlacht endete. Im Folgejahr der Versuch, den Schamanismus auf der Theaterbühne salonfähig zu machen, ohne sich dessen Destruktionsenergie zu beugen. Wie bei Cage galt das Interesse des regieführenden Intendanten auch im Fall von Harry Partch einem Musiktheater, das im städtischen Repertoirebetrieb chancenlos ist. „The Delusion of the fury“, von Goebbels augen­zwinkernd gedeutet aus dem Geist von Sergeant Pepper, auf der Grenze von Humor und Ulk also, entpuppte sich am Ende ganz sicher als Goebbels’ heiterste Regietat. Schließlich, jene Gelegenheiten, in denen uns Heiner Goebbels den Blick auf den Romantiker Heiner Goebbels freigegeben hat. Romantik verstanden freilich im Sinn des vertieften Wirklichkeitssinnes, wie ihn sein Lieblingsdichter Adalbert Stifter kennt: surrealer Drahtseilakt zwischen Wachen und Träumen.

In bester Erinnerung:Stifters Dinge, die zwischen Nähe und Ferne pendeln­de Installation (man hörte immer Benjamins Aura-Definition mit), die uns zu Zeugen der Wehmut über die verlorenen Paradiese dieser Welt gemacht hat. Man war danach ganz ergriffen. Und schließlich war da, im Finale, in der nun zu Ende gegangenen Spielzeit diese Goebbels-Pastorale, das stumme Gemahnen unserer Naturvergessen­heit. Zugleich noch einmal der Zeigefinger auf ein aus dem Blick geratenes Musiktheater des 20. Jahrhunderts. In diesem Fall eines aus der Komponierwerkstatt des Holländers Louis Andriessen, der in „De Materie“ sicher einen der ersten Versuche gestartet hatte, postmoderne Oper zu realisieren, seinerseits von Heiner Goebbels mit einem „Anything goes!“ beantwortet, indem er Andriessens rituelle Klangzeichen unterfütterte mit einer Schafherde, über der ein leuchtender Zeppelin kreiste. Auf einmal, für eine gefühlte Ewigkeit bewegtes Stillleben. Kontemplation. Betrachtendürfen. Wie in unseren aller­besten Museumsbesuchen, wenn wir vor unseren Lieblingsbildern stehen, an denen man sich ja auch nicht satt sehen kann.

Und da war es dann wieder, das Ausbalancieren der Extreme. Mehr sicher als in Deckers, mehr auch als in Flimms Intendanz hat sich Heiner Goebbels auf Grenzlinien bewegt. Wo anders als zwischen den Gattungen und Disziplinen, fragt Goebbels, sollten wir uns sonst bewegen können, wenn wir glaubhaft und gegenwärtig bleiben wollen? Und wer diesen Goebbels’schen Andriessen gesehen hatte, mochte sich fragen: War das jetzt Konzert oder eher Konzertinstallation? War es Performance? War es Bild-Kunst mit eingebauter Klanginsel oder eher Klang-Kunst mit Bildinsel? Oder doch noch etwas ganz anderes, wofür wir noch keinen Namen haben? So gesehen kein schlechtes Resultat für ein „Internationales Festival der Künste“, das diesem Namen gerecht werden möchte, was dieser Ruhrtriennale fraglos bescheinigt werden kann, ohne in den Jubelton ihrer Erfolge!-Rekorde!-Eigenbilanz einzustimmen: „Höchster Auslas­tungsschnitt“, „jüngste“ Triennale aller Zeiten, „Home­pagezugriffe“, „Interdisziplinarität“, „Zuschauer als Protagonisten“, „zeitgenös­sische Program­mierung“, „Uraufführungen/Eigenproduktionen“. Wer immer dieses Internationale Festival der Künste nur abgemessen, nur durchgezählt hat, konnte und kann zum Triennalejubler werden. Etwas anders wird der Tonfall dann, wenn nach Festival-Qualitäten gefragt wird, danach, was uns die Gleichzeitigkeit von so viel Ungleichzeitigem bedeutet.

Herkommen mittransportiert

Immerhin: Neben den spektakulären Inszenierungen, mit denen diese Ruhrtriennale von sich Reden gemacht und gerade im Polarisieren der Meinungen ihre Gegen­wärtigkeit insgesamt so eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, hat sie in der Rolle des getreuen Korrepetitors stets auch ihr Herkommen mitgespiegelt. Im Schlag­schatten eines gleißenden Triennale-Lichts hat auch Heiner Goebbels wie schon seine Vorgänger durchgehend die konventio­nellen Formate bedient: Solisten-, Ensemble-, Orchesterkonzerte. So herausragend die künstlerischen Resultate hier teilweise waren (etwa ein fantastisches hr-Sinfonieorchester unter Sylvain Cambreling mit Olivier Messiaen, Luc Ferrari, Bernd Alois Zimmermann), so bewegend diese exquisite Festival-Abteilung im Einzelfall auch immer in Erscheinung getreten ist, das Gefühl hielt sich, als ob diese Formate doch eher mitlaufen als mitgestalten im Sinne von miteintreten in den Diskurs der Künste mit der Gesellschaft.

Insofern erschien dieser Teil der Ruhrtriennale fast wie abgekapselt vom Rest der (Kunst-)Welt. Kein Zugang von hier zu den Krisenphänomenen der Zeit und der (Kunst-)Musik, die gerade diese Goebbels’sche Intendanz ja noch einmal wie im Brennglas offengelegt hat. Das Schibboleth hier: das Orchester, seine Position, seine Stellung. Wieviel Raum erhält es? Erhält es überhaupt Raum? Nicht zu übersehen war nämlich, dass eine am (vermeintlich hochphilosophischen) Tropf der Konzeptkunst hängende Regie dabei ist, sich und ihren Einsatz zu verspekulieren.

Namentlich die Romeo-Castellucci-Inszenierungen verbreiteten entsprechende Ratlosigkeit, Betroffenheit. Im einen Fall (Feldman/Becket: „Neither“) war das Orchester, waren die Duisburger Philharmoniker unter Emilio Pomarico an den Rand gedrängt; im anderen Fall (Strawinsky: Sacre) ganz herauskatapultiert und durch Lautsprecher ersetzt, womit dann auch ein Minimallevel für Kritikwürdigkeit unterschritten war. Deutlich wurde: Im Hintergrund rumort es weiter. Werkbegriff, Werkverständnis durch und durch prekär. Ohne alarmistisch zu sein, möchte man doch anmerken: Es ist schon alarmierend, ansehen zu müssen, wie ein alt-neuer „Conceptualism“ in der Kunstmusik eine Art von Unsicherheit schürt, die die Autonomie der Klanggestalt, den Glauben daran auffrisst. 

Neue alte Mitte

Insofern war es dann schon eine Art Erlösung, im Finale des Finales Heiner Goebbels’ „Surrogate Cities Ruhr“ miterleben zu dürfen. Nicht direkt wegen einer wirklich anrührenden Laien-Beteiligung in der
Duisburger Kraftzentrale, wegen einer Alle-machen-mit-Choreografie von Mathilde Monnier aus dem Geist des NRW-Sozialdemokratismus (Ministerpräsidentin: Hannelore Kraft) – wirklich bewegend war die zentrale Position und Stellung, die Goebbels den Bochumer Symphoni­kern zugewiesen hatte. Schon bevor der erste Ton erklungen war, war die Aussage klar, unzweideutig: Musik ist Zentrum, muss Zentrum bleiben. Und das war es dann auch, das Bild, auf das man gewartet hatte. Eines, das man nach hinten als Versöhnungsangebot verstehen und nach vorne als Vermächtnis lesen konnte oder (wenn einem ein solches Wort zu füllig ist) als Auftrag. „Daran unbedingt anknüpfen!“, lautete der unsichtbare Übertitel zu diesem Setting. Ist doch auch ein altes Arbeiterlied. Nicht vergessen, worin die Stärke besteht.

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