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Lohengrin an der Wiener Staatsoper. Foto: Michael Pöhn
Lohengrin an der Wiener Staatsoper. Foto: Michael Pöhn
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Nostalgische Leberkäs- und Weißwursthölle – Andreas Homoki inszeniert Wagners „Lohengrin“ an der Wiener Staatsoper

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Will ein Intendant eines der maßgeblichen europäischen Opernhäuser einen in seiner Liga spielenden Kollegen zu einer Gastinszenierung einladen, ist die Auswahl nicht mehr allzu groß. Die meisten Kapitäne der großen Musiktheaterdampfer sind mehr oder minder begnadete Verwaltungsprofis – in Wien wie in Paris, Brüssel, London, Madrid oder an der Deutschen Oper Berlin, aber auch in den Container-Transportern von Frankfurt, Köln, Düsseldorf, Essen, Hannover, Karlsruhe oder Antwerpen (Simone Young in Hamburg ist zugleich GMD und Intendantin, mithin eine wirkliche Ausnahme).

„Künstler-Intendanten“ an repräsentativen Häusern, die selbst Theater kreieren, sind rar – und manche schon recht betagt (wie Jürgen Flimm an der Berliner Staatsoper) oder (wie Pierre Audi in Amsterdam) nicht mehr die Jüngsten. Da bieten sich auf den ersten Blick am näheren Horizont nur Jossi Wieler in Stuttgart an. Oder eben Andreas Homoki in Zürich. Den Kollegen von der Limmat lud Dominique Meyer an den Wiener Karlsplatz ein, um Richard Wagners „Lohengrin“ aufzudröseln oder aufzubretzeln (es handelt sich mithin um eine „Ko-Produktion“).

Im Vorfeld der Premiere gab es Knatsch. Bertrand de Billy verließ indigniert eine Probe und war für immer weg. Dem Vernehmen nach wegen eines nicht geöffneten Strichs im 3. Aufzug. Möglicherweise passte dem Dirigenten „die ganze Richtung“ der Produktion nicht. Die siedelte sich in einem bayerischen oder tiroler Dorfwirtshaussaal an – vom Besuch eines historisch gut dokumentierten Königs des 9. und 10. Jahrhunderts in Antwerpen bis zur „feierlichen Verklärung“ des betenden Schwanenritters und zum letzten Atemzug von Elsa, die „entseelt in Gottfrieds Armen zu Boden gleitet“. Der Einheitsraum bedient auch die im Zentrum stehende Tragödie der zu Unrecht beschuldigten jungen Brabanter Herzogin, der von Heinrich dem Vogler der Prozess gemacht wird. Elsa weiß nicht, wie ihr geschieht (das wirft nicht erst heute die Frage der Verhandlungs- und Schuldfähigkeit auf). Sie hat keine Chance – und doch macht sie aus dieser anrührenden Chancenlosigkeit in ihrem Märchen- oder Mädchenglauben an die bergeversetzende Liebe erst einmal das Beste.

Homoki entschied sich, die Handlung „quasi modellhaft zu verkleinern“ zu wollen. So könne „sie dem Zuschauer nahekommen und sich mit dessen Lebenserfahrung hier und heute verbinden“. Der Regisseur und der Ausstatter Wolfgang Gussmann ließen die flämischen Edlen und den zum Militäreinsatz im Osten des Reichs mobilisierenden König als alpenländlerische Spießer in einem braun getäfelten und grob möblierten Mehrzweckraum antreten. Die uniformierende Kostümierung mit Krachledernen und ebenfalls erlesenen Lodenmoden für die flandrischen Frauen vermeidet die genauere Verortung in Mitteleuropa und der Mitte des 20. Jahrhunderts. Freilich geben Frisur und Joppe von Günther Groissböck zweckdienliche Hinweise: Dem auch darstellerisch höchst souverän, energisch und führerhaft agierenden Bassisten, der sich halb notgedrungen, halb mit Verachtung für das Gezänk der Untertanen um Gerechtigkeit in der Volksgemeinschaft kümmern muss, fehlt nur noch der besonders charakteristische Schnäuzer. Dieser Heinrich Vogler wird als alerte Kopie gezeigt und das Milieu um ihn herum als jene biertrinkende dumpfbackige Dörflerwelt, in der der Nationalsozialismus einen besonderen Humus und überproportional viele KZ-Aufseher fand.

Dieses Milieu ist zwar, entgegen der Annahme Homokis, mit der heutigen Lebenserfahrung der Operngeher in Wien nicht wirklich verbunden. Doch funktioniert es bestens als Projektionsfläche, um eine (w)irre Geschichte von einem Machtwechsel zu erzählen, die ganz im Gestern verhaftet bleibt (und dadurch verspricht, so gut wie niemand weh zu tun) und aus diesem grell-trashigen Ambiente auch die recht triviale und nur durch den Glaubens-Zauber erhaben wirkende Tragödie der Elsa erwachsen zu lassen. Ohne die Zuseher intellektuell zu fordern, erzählt Homoki linear, wie Elsa fortgesetzt Opfer von gut eingefädelten Intrigen wird (die Augen gewöhnen sich schon während des ersten Akts an die Gamsbarthüte und Hosenträger): das erste Mal (beim vorrechtsstaatlichen Prozess) wird die schwer Beschuldigte auch ohne Eintreffen des Schwanengespanns wundersam errettet, beim zweiten Mal, als Braut, aber Opfer ihres eigenen allzu unreflektierten Liebewollens. So vermasselt sie den kurzen Moment des Glücks, das es in diesem Werk nur als Traum gibt.

Optische Kontrapunkte

Das immer wieder umgestoßene, durcheinandergewirbelte beziehungsweise zweckentfremdete und dann neu geordnete derbe Mobiliar wird optisch kontrapunktiert von einem Ausschnitt aus einem 1820 entstandenen Votivbild, das sich in einer Wallfahrtskirche im Südtiroler Eisacktal erhalten hat: Zwei brennende Herzen. Die erscheinen bereits auf dem Vorhang und mit dem Zusatz „Es gibt ein Glück!“. Dann im Hintergrund der Bühne als Wandbild, das verschiedentlich abgenommen und von Ortrud auch malträtiert wird, als ihr die Felle davonschwimmen. So, wie die Gestaltung des Saals das gezielt verranzte Raum-Ambiente Anna Viebrocks aufzugreifen (oder zu parodieren) scheint, so balanciert die Inszenierung zwischen gebändigtem Marthaler und den Verkleinbürgerlichungstechniken Jossi Wielers. Allerdings mit einem Zug zum Didaktischen. Zum Orchestervorspiel lässt Homoki zwei Episoden aus der Vorgeschichte pantomimisch zeigen: Die Trauerfeier für den alten Herzog von Brabant, des Vaters von Elsa und Gottfried, und die im letzten Moment gescheiterte Hochzeit von Elsa und Friedrich Graf von Telramund. Den stattet Wolfgang Koch als ungehobelten groben Klotz und mit einer Eichbaumstammstimme aus: eine volle Wucht! So ist die vom Dichterkomponisten vorgesehene Eiche nicht nur in Gestalt des Furnierholzes, sondern auch akustisch präsent.

Wolfgang Koch tatscht den König mehrfach kumpelhaft an. Der aber wischt sich allemal leicht indigniert das auf volkstümlich gemachte feine Tuch. Michaela Martens steht als Oberintrigantin Ortrud dem als Friesenschlächter gerühmten Gatten in nichts nach. Auch sie ist eine absolut starke Figur: ein Weibsbild wie ein Hofbräuhaus mit einer Stimme, die wohl Breschen in Stadtmauern sprengen könnte. Bei diesem Kaliber der Achse des Bösen muss sich die Kapelle keine Zurückhaltung auferlegen. Der kurzfristig eingesprungene Dirigent Mikko Franck tut es auch nicht. Er gehört zu den Orchesterführern, die Musik allemal zur Steigerung von Stimmungen mobilisieren und Brechungen der Emphase womöglich für intellektualistisch-dekadent erachten. Eine in naivem Sinn stimmigere Erfüllung der Tableaus von Gussmann und Homoki hätte man sich nicht wünschen können.

Überstrahlender Tenor: Klaus Florian Vogt

Die singenden Figuren „funktionieren“ in dieser nostalgischen Leberkäs- und Weißwursthölle phantastisch – großes Kompliment hinsichtlich des Gesangsvolumens und der Aktionsfreudigkeit den ChoristInnen! Camilla Nylund hebt sich von ihnen ab als zunächst ängstlich kopfschüttelnde, verhalten intonierende, dann immer wieder groß ausholende Elsa mit intensiver Argumentationskraft für die (unterliegende!) Übermacht der christlichen Liebe. Natürlich ganz in Weiß. Sie hat den Schwan – einen gänsegroßen – dabei, um ihrem zunächst namenlosen Kurzzeit-Partner die Anreise mit diesem Märchenmythenmöbel zu ersparen. Als der Trubel zerstiebt, den die laut besungene Ankunft des in höchster Not herbeigebeteten Retters erzeugt, liegt der Ritter im Nachthemd am Boden. Klaus Florian Vogt reckt einen Arm wie einen Schwanenhals und fängt ganz leise an, sein ungeheures Angebot zu unterbreiten: Sieg im Zweikampf gegen völlige Hingabe der Jungfrau. Vogt kommt, sieht und siegt – auf den rasch zusammengeschobenen Tischen mit bloßen, aber eben vom christlichen Gott geführten Händen gegen den messerfuchtelnden Grafen Friedrich (in Gussmanns Milieu hätte das Duell per Fingerhakeln ausgetragen werden müssen!). Der Sieger (Heil!) wird als goldgelockter Lodenmodeheld herausgeputzt, der Verlierer nebst Ehefrau entkleidet. Zu Elsas Hochzeit darf Ortrud immerhin wieder ein Kleid tragen, wenn auch nur ein dunkles. Insgesamt operiert die Inszenierung allemal mit der naheliegendsten und gradlinigsten Symbolik. Aber all das überstrahlt der Tenor: Seit Fritz Wunderlichs Tagen war im deutschen Fach dergleichen makellose Leichtigkeit und souveräne Eleganz nicht zu hören. Wie Vogt minutenlang dem in immer neuen Wellen anrollenden Orchesterüberdruck standhält, ohne strapaziert zu wirken, wie er das Wort „Taube“ in den Mund nimmt und in die Lüfte steigen lässt – das ist superb.

Homoki kontrapunktierte das wagnersch-vormärzliche National-Wollen, das nach 1849 in einen nachhaltig problematischen Nationalismus einschoss, mit seinem drastischen Verweis auf dumpfen Regionalismus des 20. Jahrhunderts. Das wirkt zunächst wie ein mutiger Paukenschlag und nährt die Hoffnung, gerade in Wien würde das Zauber-, Wunder-, Rettungs- und Hybris-Stück, das Hitler für erfolgreichen Wahlkampf mobilisierte, so pointiert, dass es noch einmal zischt. Doch nicht erst mit dem lammfrömmelnden Schluss der Inszenierung, der (werkkonform) das Kind Gottfried als Hoffnungsträger gegen die „Horden aus dem öden Osten“ inthronisiert, scheint Andreas Homoki Angst vor der eingangs dokumentierten eigenen Courage bekommen zu haben. Es dürfte kein wie auch immer einvernehmliches Ende der kontaminierten Geschichte geben. Was hätten denn noch ein paar Buhs mehr bedeutet?

Der neue Wiener „Lohengrin“ war einer Sensation ziemlich nah (und das hohe Paar Nylund/Vogt darf ohne Übertreibung als singulär gefeiert werden). Der österreichische Staatsopernintendant, ein feinsinniger Verwaltungsartist aus Lothringen mit Faible für die sogenannte „Barockoper“ und Geschmack, ließ den Züricher Kollegen diese Inszenierung als Pilotprojekt ins Werk setzen. Der vermied es, das Theater wieder für einen Augenblick zur politisch-moralischen Anstalt zu machen, und setzte aufs Pädagogische. Aber das stößt bei Zauber, Wunder und Plunder bekanntlich an seine Grenzen.

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