Marketingtechnisch clever angekündigt, als eine Collage von Kompositionen von Vater und Sohn Scarlatti, als Auftakt der diesjährigen Barock-Tage der Staatsoper Unter den Linden, erweist sich das jüngste Projekt der für „alternative Formate“ geschaffenen Reihe „Linden 21“ als überaus fragwürdig – mehr Selbstzweck denn ein Chiasmus von alter und neuer Musik.
In Letizia Renzinis Performance, so war es angekündigt, sollten „Scarlattis Werke in barocker Besetzung mit Elektronik verschmelzen“. Angesiedelt ist die Uraufführung in der „Neuen Werkstatt“, die vom Intendanten Schulz nach dem Abgang Jürgen Flimms in die Bezeichnung „Alter Orchesterprobensaal “ um- und zurückverwandelt wurde.
Mit großer Beliebigkeit werden einzelne Nummern aus sechs Kantaten, drei Oratorien und zwei Opern Alessandro Scarlattis und aus einer Kantate von Domenico Scarlatti aneinandergereiht, rund um die mit Vulgärausdrücken und Doppeldeutigkeit gespickte komplette Straßen-Kantate auf den Text eines anonymen Dichters in neapolitanischem Dialekt. Deren Titel „Ammore, brutto figlio de pottana“, in deutscher Übersetzung „Liebe du hässlicher Hurensohn“, wurde als Gesamttitel des Abends gewählt – allerdings in englischer Sprache („Love, you son of a bitch“), obgleich doch durchwegs italienisch gesungen wird – und das relativ unverständlich, so dass die hier sonst überaus gepflegte Übertitelung angebracht gewesen wäre. Doch diesmal wurde darauf verzichtet, vermutlich weil die in ein Fitnessstudio verlagerte Handlung ohnehin nichts mit den besungenen Geschichten zu tun hat.
Gleichwohl war in der Einführung hochtrabend angekündigt worden, dass es einen Mord im Fitnessstudio gäbe. Aber das war auf der rechteckigen, vom Publikum umgebenen Spielfläche nicht nachvollziehbar; und dass die in der letzten Szene Bademäntel tragenden Darsteller*innen gerade aus der Sauna kämen, war nur der diesmal besonders knapp gefassten Einführung der Dramaturgin Jana Beckmann zu entnehmen.
Der Einsatz von Mikroports im kleinen Raum und barocken Rahmen ist gewöhnungsbedürftig. So klingt die Sopranistin Lore Binon arg beliebig, der Countertenor Thomas Lichtenecker, obgleich als extrem indisponiert angekündigt, durchaus angenehm und zeugt von einer gesunden Stimmführung – auch wenn er zunächst aus dem Gang vor der Studiobühne nur an den Aufführungsort übertragen wird, obendrein auch hochgestellt rechteckig, per Video-Projektion.
Auf dieser Projektionsfläche wird später nicht etwa ein in der Kantate von Alessandro Scarlatti besungener Gemüsehändler, sondern ein neuzeitlicher italienischer Fischverkäufer gezeigt, der seine seltsamen Delikatessen mit Wasser abspritzt.
Die als interdisziplinärer Ansatz angekündigte Produktion erweist sich in der Umsetzung durch die für Konzept, Inszenierung, Video und Kostüme zuständige Regisseurin, im Verbund mit der selbst kopfstehenden Marina Giovannini als Choreografin, doch recht beliebig.
Videoüberblendungen der singenden Darstellerin mit sich selbst, Luftpolsterfolie zum Ein- und Auswickeln, eine hochgezogene und dann in Schwingungen versetzte Sandsack-Puppe und Auspack-Vorgänge (die wohl auf den Klick-Erfolg von Auspack-Videos im Internet setzen) sind zu wenig für eine aus den gut 100 Opern und 800 Kammerkantaten Alessandro Scarlattis zusammengestellte Nummernabfolge. Als szenisch nachdrücklichste kollektive Geste bleibt das die-Hand-an-die-Stirne-Führen symptomatisch im Gedächtnis.
Der Raumklang, den der elektronische Komponist Giuseppe Ielasi aus dem hier live verwendeten Instrumentarium gebildet hat, besitzt den Charme einer Übung aus dem ersten Semester.
Doch leisten die Instrumentalisten im gymnastischen Rahmen voller Begeisterung Großartiges: Luise Enzian, zunächst an verstärkter, dann rein elektronischer Harfe, Franziska Fleischanderl auf einem von ihr per Servierwagen transportierten, verstärkten Hackbrett als Psalter oder Salterio, Okkyung Lee, die in Diskant und Bassregion an ihrem Violoncello schabt, sowie Thomas Baeté, der seine Viola da gamba zur Selbstbegleitung auch mal wie eine Gitarre hält. Angesichts der Ankündigung dieses Abends als Gesamtkunstwerk kommt dem Hörer beim Grummeln des Cellos die alliterierende Scherzfrage aus der Wagner-Zeit in den Sinn, „Schabst du das Cello, schäbiger Schuft?“ Doch hier ist der gesamtkunstwerkend performative Ansatz ebenso fehlgeschlagen, wie die offensichtlich angestrebte Quadratur des Kreises, Zeitgenössisches mithilfe der Barocktage zu vermitteln.
Die Schlussszene erfolgt als ein Video der sich in einem Lift amüsierenden Beteiligten –zur spannendsten Komposition des Abends, der einzigen von Scarlattis Sohn Domenico; und nach weniger als den angekündigten 70 Minuten ist dieser teure, ausverkaufte, wenn auch nicht dicht besetzte Barocktage-Vorabend vorbei.
- Weitere Aufführungen: 27., 28., 30., 31. Oktober, 2. und 3l. November 2019.