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„Rosenkavalier“ in Halle: Yulia Sokolik, Ki-Hyun Park und Franziska Krötenheerdt. Foto: Anna Kolata
„Rosenkavalier“ in Halle: Yulia Sokolik, Ki-Hyun Park und Franziska Krötenheerdt. Foto: Anna Kolata
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Ochs im Pornoladen und Sophies Entscheidung: Halles wunderbarer „Rosenkavalier“

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Bei der Premiere klemmte der eiserne Vorhang. So kam erst das Publikum der zweiten Vorstellung am 17. März in den Genuss der kompletten „Rosenkavalier“-Neuinszenierung von Opernintendant Walter Sutcliffe und Generalmusikdirektor Fabrice Bollon. Am Rande der sächsischen Strauss-Expertenzentren Dresden und Leipzig stemmten die Bühnen Halle und die beglückend wie lange nicht aufspielende Staatskapelle Halle eine erregende wie herzbewegende „Komödie für Musik“.

Für Romelia Lichtenstein sprang kurzfristig Betsy Horne als Marschallin ein. Sie bewährte sich bestens in einem Ensemble mit für dieses doppelbödige Spiel über Zeit, Lust und Vergänglichkeit kongenialen Überraschungsspitzen. Stars waren Ki-Hyun Park als Baron Ochs auf Lerchenau und Franziska Krötenheerdt als Sophie.

Jüngere Beispiele zeigen, dass Richard Strauss’ Musik zu seiner beliebtesten Oper poetisch über enttäuschte Seherwartungen hinweghilft. Bekanntermaßen besteht das Regie-Dilemma bei der in Dresden 1911 uraufgeführten Oper darin, dass Inszenierungen für das virtuelle „Wien, in den ersten Jahren der Regierung der Kaiserin Maria Theresia“ mitsamt stilisiertem Dialekt und schmachtendem bis brachialem Walzer-Abusus entweder in ein verkitschendes Rondo-Veneziano-Rokoko eintauchen oder die lyrische Leichtigkeit durch altkluge Aufklärungsarbeit beschädigen. Mitunter gelingen stilaffine Ausnahmen wie Roland Schwabs platonisches Kugelspiel in der Salzburger Felsenreitschule 2022.

Aber oft geht es schief – oder Proportionen verrutschen unfreiwillig wie in Barrie Koskys drittem „Rosenkavalier“-Akt bei der Online-Premiere der Bayerischen Staatsoper während der Pandemie.
Ausgerechnet in Halle, das bisher weder als Strauss-Hochburg noch in den letzten Jahren durch außerordentliche Klangwunder von sich reden machte, geschah jetzt ein trotz bissiger Regie sehr stimmiges „Rosenkavalier“-Wunder. Kleine Kratzer im Opernlack wie die mümmelnde Textverständlichkeit und die nicht immer optimale Klangbalance im akustisch schwierigen Opernhaus am Universitätsring kann man getrost vernachlässigen.

Weitaus mehr zählt die toll auf’s Wesentliche konzentrierte und verführerisch changierende Inszenierung von Walter Sutcliffe. Mehr zählt auch das auf melodische Phrasierung statt auf Agilität zielende, dadurch sehr ernstzunehmende Dirigat von Fabrice Bolon und dessen die Staatskapelle synergetisch zusammenschweißendes Klangdenken. Das hatte man in der Kulturhauptstadt Sachsen-Anhalts in dieser Schönheit lange nicht mehr gehört wie immer wieder an diesem Abend – etwa vor dem Schlussduett, wo alles Denken über Zeit und Vergänglichkeit in einem orchestralen Zärtlichkeitsrausch implodiert.

Wenn der rote Bühnenvorhang am Anfang und Ende durch die Leidenschaft der liebenden Leiber in Wellenbewegung kommt, fluoreszieren im mit wenig haptischem Material auskommenden Bühnenbild und in den Kostümen von Kaspar Glarner, auch im Licht von Peter Erlenkötter alle Sinn- und Sinnkrisen-Ebenen von Hugo von Hofmannsthals und Strauss’ Komödie. Das samtrote Himmelbett der Marschallin wird zum silbernen Vintagebett. Ein galanter, gar nicht grober Ochs auf Lerchenau versichert sich ständig mit Griffen zwischen die Beine seiner Männlichkeit und beweist sich im Pornoladen: „Der Rosenkavalier“ Octavian Rofrano betreibt dort und schon im Boudoir der Marschallin seine Travestie-Spielchen als echte Verführung von Frau und Mann mit einer Verve, zu welcher der klare und keineswegs androgyne Mezzosopran von Yulia Sokolik allerlei erotische Projektionsflächen anbietet. Immer wieder wandern Licht und Schatten über die jugendstiligen Bronzen an den Rückwänden. Das macht alle Gesichter älter und wieder jünger, lässt das gesamte Ensemble dabei äußerst gut aussehen.

Kurzfristig rettet Betsy Horne als einspringende Marschallin die für Halle erfreulich gut besuchte Vorstellung. Trotz einer von Bollon zur großen Bravour-Nummer erhitzten Schlussszene des ersten Aktes steht diese Figur hier nicht im Zentrum. Dabei harmoniert Hornes filigrane und lebensweise Marschallin intensiv mit dem Geist von Sutcliffes freizügiger Inszenierung, die im dritten Akt ins bizarre Triebleben des Ochs auf Lerchenau mündet. Als dieser hat Ki-Hyun Park chevalereske wie faunisch und dionysisch überwältigende Auftritte. Ein verführerischer Grandseigneur ist er, eher aus der Belcanto- als aus der Possen-Ecke des Musiktheaters und von feinnerviger Erotik. Ki-Hyun Park gibt auf Höhe von Strauss und Hofmannsthal eine Idealbesetzung gegen den Klischee-Strich.

Ein bisschen liegt das auch an der durch Andrii Chakov veredelten Charge seines Bastard-Sohnes Leopold. Chakov wird anstelle des heute unstatthaften Mohrenknaben Mohammed zum Rosen-Kurier und Mundschenk. Kleinstpartien-Luxus also wie bei ganz großen Festspielen. Gerd Vogel gibt Faninal als alternden Lebemann mit Knieproblem, indes Vanessa Waldhart neben kristallklaren Spitzentönen für die Jungfer Marianne Leitmetzerin auch als schwarze Ballerina auf die Spitzen geht. Das Levée der Marschallin spielt am Meer und droht wie Fellinis „Schiff der Träume“ mit omnipräsenten Schatten der Vergänglichkeit, aus denen die von Chulhyun Kim gesungene Arie des italienischen Tenors abzischt wie eine Rakete aus Strahletönen. Dass Robert Sellier als Valzacchi und Gabriella Guilfoil mit perfekten Koloraturketten als Annina mafiöse Auftragskriminelle sind, muss man nachlesen, ist aber wirkungsvoll.

Neben Ki-Hyun Park gibt es eine weitere Überraschung. Die Braut Sophie wird gern als Paradepartie für Silbersopran mit Emotionen-Garnitur genommen. Zeitgemäß, mit psychologischem Nachdruck und Tiefgang zeigt Franziska Krötenheerdt, dass viel mehr möglich ist. Emanzipiert ist ihre Sophie. Deshalb setzt Krötenheerdt im Umgang mit toxischen Kerlen bedachte Atempausen, montiert die Partie mit Charisma und Glanz neu, macht sie zum Mittelpunkt des zweiten Aufzugs und demonstriert auch noch, dass frau sich sinnlich und mit Hingabefähigleit fallen lassen kann. Einfach schön: In Sutcliffes erotisch knisterndem „Rosenkavalier“-Pandämonium bewahren Strauss’ Figuren trotz eindeutiger Darstellung ihrer sexuellen Energien menschliche Würde. Deshalb passen Sutcliffes hellsichtige Regie und Bollons melosseliges Orchesterleuchten perfekt zusammen. Große Begeisterung im Publikum.

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