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Bleibt den Sirenen treu: Komponist Rolf Riehm. Foto: Charlotte Oswald
Bleibt den Sirenen treu: Komponist Rolf Riehm. Foto: Charlotte Oswald
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Odysseus erfindet sich selbst und zeugt seinen Mörder

Untertitel
Rolf Riehms „Sirenen – Bilder des Begehrens und des Vernichtens“ an der Oper Frankfurt
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Über Odysseus wissen wir allerlei. Die „Ilias“ und die „Odyssee“ des Homer liefern Geschichten von seinen Kriegs- und Wanderjahren, seinen Lügen und Listen, seinen Heldentaten und Abenteuern mit Monstern, Zauberinnen und anderen weiblichen Gestalten. Andererseits wissen wir über Odysseus nichts.

Die Geschichten stammen zum nicht unbeträchtlichen Teil aus dem Kontext eines antiken Kriegsberichtes, und wenn wir aus vier Jahrtausenden Literatur und Geschichte etwas gelernt haben, dann, dass kein Kriegsbericht je dem entsprochen hat, was wir gemeinhin „Wahrheit“ nennen. Wir wissen nicht, ob auch nur eine der unsterblichen Geschichten des Odysseus auch nur ein Körnchen Wahrheit enthält, nicht einmal, ob er überhaupt existiert hat. Odysseus war ein Lügner und Trickser, ein fantasiebegabter Erzähler und Erfinder seiner selbst und damit in gewissem Sinne ein Vorbote moderner Medienexistenzen. Der Frankfurter Komponist Rolf Riehm hat für die Oper Frankfurt ein Auftragswerk geschrieben, in dem Odysseus eine zentrale Rolle spielt: „Sirenen“ mit dem Untertitel „Bilder des Begehrens und des Vernichtens“, wird am 14. September uraufgeführt. Mit den Sirenen hat Riehm sich schon einmal ausgiebig für die Bühne beschäftigt, seine Oper „Das Schweigen der Sirenen“ nach Franz Kafka wurde 1994 in Stuttgart uraufgeführt.

Auch diesmal geht es mit erkenntniskritischem Impetus um den Lügner Odysseus – der, wer weiß das schon genau, vielleicht sogar den Homer erfunden hat –, zugleich aber um die Figur der Zauberin und Inselherrscherin Kirke.

Kirke, die – bis Odysseus auf ihre Insel kam – alle Männer in Schweine verwandelt hat, nimmt Odysseus auf, er zeugt sogar mit ihr einen Sohn, der allerdings nicht in der Odyssee vorkommt, sondern bei Hesiod. Kirke liebt den Odysseus mit göttlicher Kraft und ohne Kompromisse. Als er sie verlassen will, durchschaut sie, dass er ihrer überdrüssig ist und glaubt ihm keine Sekunde lang das Heimweh seiner Kameraden. Aber sie will ihm die Chance geben, dass er die kommenden Abenteuer überlebt, und verrät ihm einen Trick, um den Sirenen zu entkommen. Sie weiß, dass die Sirenen gezwungen wären, sich zu ertränken, wenn Odysseus sich ihrem Einfluss entziehen könnte. Kirke lädt also dem Lügner zuliebe beträchtliche Schuld auf sich.

All das weiß man ausschließlich aus Odysseus’ eigener Erzählung. Odysseus’ Erzählung seiner eigenen Geschichte am Hofe der Phäaken bildet darum eine eigene Handlungsebene der Oper. Der Lügner kommt, der Mythologie nach, nach langen Jahren halbwegs wohlbehalten zu Hause an, wo er allerdings von Telegonos ermordet wird. Telegonos? Das ist der nicht bei Hesiod erwähnte Sohn des Odysseus und der Kirke. In der Logik einer jeden konventionellen Erzählung könnte die Ermordung des Odysseus nur am Ende seiner Erzählungen erfolgen. Bei Riehm bildet der Mord eine Art Vorspann auf dem Proszenium.

In der „Sirenen“-Oper gibt es kein narratives Libretto, sondern ein komplexes Gebilde aus verschiedenen Texten verschiedener Epochen mit verschiedenen thematischen Zentren – Texte, die einander kommentieren, dementieren, fortsetzen, verdeutlichen.

Den Textgruppen entspricht ein Konstrukt aus mehreren Handlungsebenen, deren Montage nicht chronologisch, sondern eher logisch und assoziativ zugleich erfolgt. Was die musikalische Gestalt anbelangt, gibt es eine starke Konzentration auf den Gesang sowie klangliche Eigenarten und Elemente, die teilweise schon aus früheren Kompositionen bekannt erscheinen können. „Das habe ich“, sagt Rolf Riehm, „vor allem getan, weil ich solche Klangcharaktere heute gar nicht mehr komponieren kann. Ich habe sie als uneingelöste Möglichkeiten in älteren Werken vorgefunden und wie Samples in die Situation eingefügt. So dass das Ganze einen, wie ich hoffe, sehr brüchigen Klang ergibt, in dem sich das realisiert, wovon ständig die Rede ist: Die Beziehungen der Menschen, also dieser Götter und Halbgötter, vollziehen sich auf schwankendem Boden, jederzeit kann bei jedem die Existenzgrundlage wegbrechen. Die Musik sollte von diesen existenzbedrohenden Kräften nicht berichten, sondern diese Kräfte sollten in der Verfasstheit der Musik regelrecht obwalten. Die Musik sollte als das Medium der emotionalen Antriebe mit dem Bühnengeschehen wie in einem mächtigen Geschiebe verschmelzen.

Rolf Riehm, „Sirenen – Bilder des Begehrens und des Vernichtens“. Oper in drei Teilen und acht Szenen. Text vom Komponisten, nach der Odyssee des Homer, nach Karoline von Günderode, Isabelle Eberhardt u.a.

Uraufführung: Sonntag, 14. September 2014.

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