Hauptbild
Die schöne Helena an der Komischen Oper Berlin. Foto: Iko Freese / drama-berlin.de
Die schöne Helena an der Komischen Oper Berlin. Foto: Iko Freese / drama-berlin.de
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Offenbach, konterkariert mit Wagner und Chanson – „Die schöne Helena“ an der Komischen Oper Berlin

Publikationsdatum
Body

Vitae und Opus von Wagner und Offenbach sind vielfältig verknüpft. In „Carneval des revues“ hatte Jacques Offenbach Wagner als Zukunftsmusiker lächerlich gemacht. Aber Wagner wurde in seiner Revanche sehr viel persönlicher: er persiflierte Offenbach als Jack Offenback in seinem „Lustspiel in antiker Manier“, vom Chor als „herrlicher Jack von Offenback“ akklamiert.

Aus Cosima Wagners Tagebüchern geht hervor, wie oft Wagner gedanklich – und durchaus nicht nur negativ – dem künstlerischen Rivalen Offenbach verbunden war. Barrie Kosky hat in seiner Neuinszenierung „Die schöne Helena“ eine neue Facette hinzu erfunden.

Eine deutlich eigene Lesart der Partitur verrät Henrik Nánási in der Ouvertüre durch unübliche Dehnungen vor Themeneinsätzen. Später fällt auf, wie sehr der Dirigent in dieser Inszenierung ein Diener der Szene ist. Eine jüdisch kostümierte Bühnenmusikgruppe mit Klarinette, Fagott, zwei Hörnern und Trommel sorgt mit jiddischer Musik dafür, Offenbachs Quellen aus dem Synagogengesang zu betonen. Das griechische Parlament schlägt durch den Einsatz dieser Bühnenmusiker im Rang in jüdisch tanzende Ausgelassenheit um.

Die Veralberung der Grand Opéra durch die Opéra bouffe wird in dieser Neuinszenierung durch Bezüge zur klassischen Symphonik und zur romantischen Oper neu hergestellt. Als „Fatalité“ evoziert Helena wiederholt das Schicksalsthema aus Beethovens Fünfter. Und wenn von Agamemnon die Rede ist, wird das Eröffnungsthema aus Strauss‘ „Elektra“ angerissen. Eine männlich gurrende Brieftaube (Karl-Heinz Oettel) tanzt zunächst zu einem Mahlerschen Tradukt, später auf Spitze einen Pas-de-deux mit Helena zu Jaques Brels „NE Me Quitte Pas“.

Aber immer wieder Wagner:

Ein Grammophon wird als Donnermaschine des Kalchas eingeführt und spielt zunächst – verzerrt und krächzend – die Passage des Donner aus dem Schlussbild des „Rheingold“, später dann die Ouvertüre des „Tannhäuser“, dessen Pariser Bearbeitung  auf dem Uraufführungszettel des Jahres 1861 mit Offenbachs Ballett „Le Papillon“ als „Lever de rideau“ verknüpft ist. Kalchas travestiert mit Kopfstimme die Hallenarie der Elisabeth, und aus dem Orchester klingt Wagners Trauermarsch aus der „Götterdämmerung“ an, wenn Helena frustriert auf das Sofa einsticht. Von Schallplatte verzerrt erklingt Sieglindes Abschied von Brünnhilde aus der „Walküre“. Bevor Paris bei der Scharade als Sieger hervorgeht, bläst er auf seiner Mundharmonika die Harmonien der Einleitung von Stolzings Preislied aus den „Meistersingern von Nürnberg“.

Später legt die einsame Helena Schallplatten auf Kalchas’ Donnermaschine, hört Elsas „Einsam in trüben Tagen“, das Wesendonck-Lied „Träume“ und den Liebestod der Isolde. Aber wenn sie die Grammophon-Schallplatten durch die Luft wirft und an die Wand pfeffert, outen sich diese als leichtgewichtige Vinyl-Varianten.

Defizite der neuen Textfassung

Trefflich freche und reimwitzige Übersetzungen waren ein Markenzeichen des vorigen Dezenniums der Komischen Oper Berlin. Die neue Textfassung von Simon Werle greift zwar bisweilen auf die Reinhardt-Korngold-Fassung zurück, ist aber durch die Bank schlecht, denn sie ist schwer singbar und schwer verständlich, was angesichts der sonst an diesem Haus herrschenden Textverständlichkeit als Manko auffällt. Dies liegt insbesondere an den zahlreichen rhythmisch falschen Betonungen, so dass hier die beckmessernden Hammerschläge des Hans Sachs gegen die falschen Betonungen mehr als angebracht wären!

Eine breite Passarelle, mit der die ersten drei Publikumsreihen überbaut sind, auf der ein Sofa und das ganze Ensemble Platz findet, sind der Hauptspielort. Nach der Pause, im dritten Akt, ist das vordem in rot und grün gehaltene gemalte Bühnenbild von Rufus Didwiszus, ein Einheitsraum mit knallenden, hohen Türeingängen auf allen Seiten, als schwarz-weiße Variante zu sehen. Die Farbgebung passiert dann durch einen Papierregen. Wirkungsvoll, aber doch beliebig ist die den Regeln der Zwanzigerjahre nachempfundene Chornummer mit drehenden China-Schirmen.

Sechs Tänzer in der Choreografie von Otto Pichler sind beinahe permanent im Einsatz, springen und rollen wie Kaskadeure über das im dritten Akt bühnenbreite Sofa oder schuhplatteln lederbehost. Im dritten Akt tanzen sie auf Rollschuhen, an Virtuosität allerdings überboten vom ausgestopften Dickwanst Kalchas, der im Badeanzug Rollschuh-Pirouetten dreht und dabei wiederholt gezielt voll hinknallt.

Stimmlich und in seiner Gestaltung bietet Stefan Sevenich als Oberpriester Kalchas eine Spitzenleistung, Von Kostümbildnerin Buki Shiff ist er zunächst als katholischer Priester gewandet.

Die drei Tenöre

Uwe Schönbeck als germanophiler Achill und Peter Renz als Menelaos sitzen in Rollstühlen. Menelaos wird später von seiner Lähmung durch Sandwich-Sex mit seiner Frau und Kalchas plötzlich geheilt. Peter Renz’ kernige Stimme und deutliche Diktion, seine trocken-hintergründige Komik, erweisen sich wieder einmal als ein echter Gewinn. Gemeinsam mit dem Springball-Bassisten Sevenich als Kalchas und dem Bariton Domink Köninger als Agamemnon persifliert er das Wetteifern der Drei Tenöre. Stimmlich gefällt der erotisch genderübergreifende Orest von Theresa Kronthaler.

Der stimmstarke Tenor Tansel Akzeybek als Paris ist als Schäfer zunächst im Cowboy-Outfit gewandet, in der Verkleidung als kytherischer Oberaugur in violettem Kardinalsornat. Mit weißen Dinner Jacket und roten Socken stimmt er als Karaoke ein in Charles Aznavours „Formidable“. Erst als Paris am Ziel seiner Wünsche, zwischen Helenas Schenkeln, angelangt ist, gibt er dem Dirigenten den Einsatz. Bravourös gelungen ist Koskys Bewegungsregie beim Traum-Duett als einer exzessiven Begattungsorgie.

Mehr als einmal über ihren Schatten springt Nicole Chevalier in der Titelpartie und bemüht sich, die Leistungen der legendären Hortense Schneider, die in der Uraufführung dieser Operette nur ein durchsichtiges Kleidchen getragen haben soll, nacheifernd zu überbieten. Bei ihrem ersten Auftritt schreitet Helena singend auf den Händen der Tänzer einher. Breit grimassierend, mit amerikanischen Vulgarismen und geilem Meckern geht sie bei ihrem dramatischen Gesang über die Grenzen der Hygiene. In ihrem eigentlichen Element ist die amerikanische Enkelin des französischen Chansoneurs Maurice Chevalier, wenn sie zu Bandoneon-Begleitung am Anfang des dritten Aktes eine Chanson-Einlage gibt.

Der von David Chavelius einstudierte Chor, das leicht und trefflich aufspielende Orchester der Komischen Oper und ein überaus spielfreudig quirliges Solistenensemble sorgen dafür, dass Offenbachs Melodien als Ohrwürmer im Kopf bleiben.

Aber der mit siebenwöchiger Probendauer als todsicherer Erfolg konzipierte, auf Wagnersches Format ausgedehnte Abend hat mit über drei Stunden Dauer doch seine Längen. Und das Publikum in der Komischen Oper hat man in der vergangenen Spielzeit schon mehr außer Rand und Band erlebt, als am Ende dieser Premiere, die einen zwar ungeteilten, aber doch moderaten und eher kurzen Applaus erntete.

Nicht jeder Erfolg ist kalkulierbar. Und das – um den auch in die Neuinszenierung der „Schönen Helena“ übernommenen Ausspruch Klaus Wowereits zu zitieren, „ist auch gut so“.

  • Weitere Aufführungen: 17., 19., 25. Oktober, 8. 15., 23. November 2014, 2., 18., 23. Januar, 1. Februar, 10. und 12. Juli 2015

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!