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Inga Lisa Lehr (Helena Citrónová), Stefanie Rhaue (Rožinka), Damen des Opernchors. Foto: © H. Dietz Fotografie.
Inga Lisa Lehr (Helena Citrónová), Stefanie Rhaue (Rožinka), Damen des Opernchors. Foto: © H. Dietz Fotografie.
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Ohne Dreck und Drastik: Somtow Sucharitkuls „Helena Citrónová“ in Hof

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Die Oper „Helena Citrónová“ des thailändischen Komponisten Somtow Sucharitkul rührt mit musikalischer Schönheit an die unmögliche Liebe einer jüdischen Lagerbewohnerin und eines SS-Aufsehers im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Das Theater Hof brachte die 2020 in Bangkok uraufgeführte Partitur als europäische Erstaufführung heraus. Das Werk entwickelt beträchtliche emotionale Stoßkraft.

Die Sopranstimme der Protagonistin schwelgt über einem klar bis üppig instrumentiertem Orchester mit Solooboe und -klarinette. Das Klavier gehört allerdings zu einer szenischen Salonmusik-Formation von Häftlingen in Auschwitz. Obwohl es um die dunkelste Begebenheit der deutschen Geschichte geht, klingt die Musik ungewöhnlich schön und sogar betörend. Darf das sein?

Natürlich stellten sich das Produktionsteam und die Leitung des Theaters Hofs diese und andere Fragen. Der thailändische Komponist Somtow Sucharitkul (geb. 1952) hatte das Textbuch unter seinem Literatennamen S. P. Somtow nach Erinnerungen und Aussagen des realen Vorbilds für die Titelfigur: Die slowakische Jüdin Helena Citrónová (1922-2007) war eine Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Beim zweiten Wiener Auschwitz-Prozess 1972 entlastete sie den KZ-Aufseher Franz Wunsch. Mit ihm hatte sie während ihres lebensgefährlichen Lageraufenthalts (1942 bis zur Flucht 1945) eine Liebesbeziehung und durch diese ihrer Schwester das Leben retten können. 2005 griff Laurence Rees in der BBC-Dokumentation „Auschwitz: The Nazis and the ‘Final Solution’“ das Schicksal Helena Citrónovás auf. Die israelische Filmemacherin Maya Sarfaty nahm sich der Konstellation in ihrer Dokumention „Liebe war es nie“ (2020) an.

Sucharitkuls fast unheimlich farbige künstlerische Biographie reicht von dem Roman „Vampire Junction“ aus dem Jahr 1984, der von der Horror Writers‘ Association zu einem der vierzig besten Horrorbücher aller Zeiten gekürt wurde, bis zu einem ihm derzeit beschäftigenden zehnteiligen Opernzyklus „DasJati - The Ten Lives of the Buddha“. Die emotionale Unbefangenheit des Komponisten gegenüber dem Sujet reizte den Dirigent Ivo Hentschel und den Regisseur Lothar Krause. Neben ihnen waren Karen Schur-Narula und Markus Gruber an der vom Schöpfer der Oper ausdrücklich gewünschten deutschen Übersetzung beteiligt. Das englischsprachige Originallibretto beinhaltete beträchtliche Schwierigkeiten, um im Deutschen eine angemessene Ebene für den drastischen Sprachgebrauch im Kontext des Lagerlebens herzustellen. Der zur Generalprobe und Premiere anwesende Komponist war begeistert. Diese Produktion gibt die Frage nach der Zulässigkeit von schönen künstlerischen Mitteln und der Ästhetisierung von Grausamkeit an das Publikum weiter. Insofern ist die ästhetische Herausforderung durch „Helena Citrónová“ weitaus spannender als Dramen und Musiktheater, die dem Publikum mit suggestiven Mitteln die eigene Wertung und Beurteilung negativer und positiver Zuschreibungen abnehmen.

Die Hofer Aufführung gerät spannend, weil sie mit extrovertierter Ausstellung von Grausamkeit geizt. Annette Mahlendorf hat auf der quälend langsam rotierenden Drehscheibe ein Bühnenbild mit Nischen und Lichtplätzen gebaut, das Bedrohung und Angst ohne Dreck und Drastik zeigt. Immer wieder blickt man durch gespannten Stacheldraht in das Lager, in dessen dunklen Nischen sich die Menschlichkeit trotz eines unmenschlichem Dauerdrucks ihren schmalen Weg bahnt. In diesem Ambiente muss Lothar Krause zu keinen groben Mitteln greifen, um den Geruch von Gewalt und Tod zu zeigen.

Helena selbst wird durch Inga Lisa Lehr zu einer Lichtgestalt. Sie singt mit einem noch leichten, in allen Lagen strahlenden und unangestrengten Sopran ohne vokale Leidensmiene. Das macht Helena groß bis zur letzten Begegnung mit Franz einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in Wien. Die Oper spart den zweiten Wiener Auschwitz-Prozess mit der Entlastung von Franz Wunsch aus. Sucharitkul zeigt sich in den zwölf betitelten Nummern als passionierter Mahler-Anhänger. Das hört man an einem üppigen Instrumentalsatz, der den Hofer Symphonikern keinerlei Schwierigkeiten bereitet. Die Zwölftonreihe und die gebrochenen Dreiklänge gehen in den spektral wirkenden Details unter. Bei Sucharitkul dürfen auch die Täter Melodien singen und werden vom Orchester so leuchtend umspült wie die Opfer. Beschönigend oder effektvoll ist das, aber mit Respekt vor den Extremsituationen und mit Empathie für alle Figuren. Nichts gerät zu wattierenden Verharmlosung von psychischer und physischer Gewalt. Stimmen und Orchester blühen bei Sucharitkul immer wieder auf. Aber die Üppigkeit hält sich bei der Erstaufführung in Grenzen, weil Ivo Hentschel Schwerpunkte auf Transparenz legt und auftrumpfende Tutti-Stellen erfolgreich klein hält.

Wie schon bei den ambitionierten Produktionen von Glass’ „Der Prozess“ und Reimanns „Traumspiel“ leistet das Hofer Musiktheater-Ensemble Außerordentliches: Stefanie Rhaue ist Helenas Schwester Rozinka und Franz’ Mutter, Yvonne Prentki die Mitgefangene Zdenka. Markus Gruber modelliert die psychisch komplizierte Partie des Franz Wunsch mit charakterisierend anrauender Stimme auch für die ihm zugedachten Kantilenen. Gruber bewegt sich eindrucksvoll auf dem hoch gespannten Trapez zwischen den Gewaltbefugnissen des Aufsehers und Gefühl. Hans-Georg Priese, Marian Müller, Thilo Andersson und Hans-Peter Pollmer zeigen bei ihren administrativen Verrichtungen im Lageralltag, wie die Gewohnheit den Abstumpfungsprozess bedingt. Die Musik erweist sich deshalb nicht als Narkotikum, sondern als Bewusstseinsgift.

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