Hauptbild
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Ohne Fortsetzung, ohne Folgen

Untertitel
Kompositions-Wettbewerb der „Gläsernen Manufaktur“ in Dresden
Publikationsdatum
Body

Es klingt nach San Marco in Venedig, ist aber geschrieben für eine Industrie-Kathedrale der Gegenwart: Filippo Peroccos Komposition „Riflesso sottile“ (zarte Schimmer), uraufgeführt in der Gläsernen Manufaktur in Dresden. Dieses riesige Haus des VW-Konzerns unweit des reizvollen Großen Gartens ist ein Gebäude von Rang, typisch für die Glasorientierung in der Architektur des letzten Jahrzehnts. In erster Linie ist dieser Bau eine hocheffektive Fertigungsstädte für besonders teure Automobile. Doch mit gewissem Geschick versucht eine als Forum für Kultur und Wirtschaft bezeichnete Gesellschaft, aus der Gläsernen Manufaktur einen attraktiven Faktor im kulturellen Leben der Stadt zu machen.

Die kirchenähnliche Akustik des zentralen Präsentationsraums ließ den Gedanken aufkommen, hier auch Musikveranstaltungen abzuhalten. Man begann vor einiger Zeit mit konzertanten Opernarien und einem Klavierwettbewerb. Die nun erstmals realisierte Idee, eigens für diesen Raum geschriebene Kompositionen aufführen zu lassen, ist verglichen damit weitaus innovativer und spezifischer. Realisiert wurde sie durch einen eigens dafür gegründeten internationalen Kompositionswettbewerb. Dass sich der Wolfsburger Autokonzern dafür bereit erklärte, ist eine in dessen Bilanz kaum wesentlich auffallende gute Tat, von der man sich erst recht wünschte, sie würde Schule machen.

Der Venezianer Filippo Perocco war einer der sechs Teilnehmer, die in diesem Wettbewerb für die öffentlich ausgetragene Schlussrunde ausgewählt waren. In zwei als Halbfinale bezeichneten Konzerten wurden ihre Stücke präsentiert, bevor dann die Hälfte von ihnen nochmals im „Finale“ gegeneinander antreten durfte. Peroccos Stück war das einzige der sechs Semifinalisten, das nur in relativ geringem Maße mit traditionellen Gestaltungselementen auftrumpfte. Doch diese Bescheidenheit half nichts, der junge Italiener musste die Plätze im Finale anderen überlassen, zwei deutschen und einer Spanierin. Denn man wollte hier – wie sich eines der Jurymitglieder ausdrückte – Musik mit besonderer „Hörerfreundlichkeit“ honorieren. Ausdrücklich war, um diesen etwas schwammigen Faktor zu präzisieren, in der Ausschreibung darauf hingewiesen worden, es sei erwünscht, dass in den Partituren der Teilnehmer Elemente aus der U-Musik nicht ausgespart würden. Dazu gab es auch noch eine thematische Akzentuierung des Wettbewerbs: die kompositorische Ausgestaltung des riesigen, in mehrere Ebenen aufgefächerten Glaspalastes. Alle Teilnehmer hatten, um dies zu belegen, zunächst schriftliche Erläuterungen ihrer Konzepte vorgelegt. Erst im nächsten Schritt wurden dann auch Partituren verlangt.

Wer an die Werke der sechs vorgestellten Endrundenteilnehmer Maßstäbe eines der renommierten Festivals für zeitgenössische Musik anlegen wollte, würde sofort enttäuscht sein: wirklich originell oder gar auf dem Weg zu atemberaubend neuen Gestaltungsideen wird man keines von ihnen nennen können. Fast alle konzentrierten sich darauf, erprobte Stilmittel der großen symphonischen oder oratorischen Tradition abzurufen. Ideen der epochalen offeneren Raummusikkonzepte der letzten Jahrzehnte etwa von Luigi Nono blieben vollends ausgespart. Doch auch der in der Ausschreibung formulierte Gedanke, Impulse anderer Musikrichtungen aufzugreifen, versandete zumeist. Und keiner der Ausgewählten wagte auch nur einen Hauch von Widerborstigkeit gegen die auftrumpfende Selbstdarstellungstendenz dieses Ambientes. Einzig der 38-jährige Kölner Komponist Bernd Redmann, der am Ende Zweiter wurde, bezog punktuell auf plausible Weise Elemente heutiger Unterhaltungsmusik ein. Redmanns Komposition „L’usine imaginaire“ (imaginäre Fabrik) reagierte freilich nicht so sehr auf die räumliche Seite des Aufführungsortes, sondern mehr auf dessen Funktion, mit ausdrücklichen Bezügen zur Tradition mechanischer Musik des frühen 20. Jahrhunderts. Auch nach mehrmaligem Hören – außer den Finalrunden gab es auch noch Reprisen in zwei folgenden „Galakonzerten“ – wirkt dieses Werk ein wenig harmlos, dennoch dürfte es dazu geeignet sein, einzelne Wiederaufführungen durch große symphonischer Klangkörper im Rahmen von traditionellen Konzertveranstaltungen zu erhalten.

Als Sieger ging letztlich der 34-jährige Karlsruher Matthias Ockert aus diesem Wettbewerb hervor, einer von mehreren Komponisten dieser Endrunde, die auch ausgebildete Architekten sind. Ockert ließ sich in seinem Werk von philosophischen Erwägungen des Raum-Denkens beflügeln. Sein Werk mit dem Titel „Diaphaneity“ zeigt ein solides handwerkliches Können, wirkte gleichwohl ein wenig angestrengt ambitiös, nicht zuletzt in der wenig zwingenden Einbeziehung von Texten von Joyce und Mies van der Rohe, die in eine seltsam nostalgische Aura eingehüllt erschienen.

Die Dresdner Sinfoniker unter Jonathan Stockhammer, teilweise assistiert von einer Dresdner Sängergruppe mit dem Titel „Ensemble vocal modern“, bemühten sich bei den sechs Uraufführungen redlich, hatten dennoch in der diffizilen Akustik des Aufführungsortes mitunter Probleme, jenen pauschalen Einheitssound zu vermeiden, wie man ihn von Aufführungen in halligen Kirchenräumen kennt. Ganz unkirchliche akustische Nebensignale gab dabei nicht nur die Klimatisation einer großen, begehbaren Werbe-Kugel, sondern vor allem die VW-Spätschicht: Man sah und hörte, wie direkt hinter der riesigen Glasscheibe gearbeitet wurde – was in diesem Hause weniger nach Anstrengung als nach fast klinischer Perfektion und einem eher geringen Arbeitnehmer-Bedarf aussieht. Übrigens war zu vernehmen, dass dieser Dresdner Wettbewerb wohl keine Fortsetzung finden wird. Das ist bedauerlich, erklärt aber vielleicht auch das etwas äußerliche Gehabe, mit dem man den Wettbewerb zu einem singulären Großereignis zu stilisieren suchte. Bezeichnend dafür das im Programmheft zelebrierte Hochjubeln bislang relativ unbekannter Endrunden-Teilnehmer zu renommierten Persönlichkeiten. Immer hin, vom Publikum angenommen wurde diese Finalrunde in beachtlichem Maße. Und würde man dem Ganzen in Zukunft eine profiliertere dramaturgische Ausrichtung geben, könnte so etwas auch und gerade für eine Stadt wie Dresden eine wirkliche Bereicherung werden. Denn im Grunde gibt es in Deutschland nichts Vergleichbares.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!