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Eine atem­be­rau­bende Begeg­nung: Yang Guifei (Rebekka Reister) und der Eunuch Gao Lishi (Algirdas Bagdonavičius). Foto: Chris­tian Enger
Eine atem­be­rau­bende Begeg­nung: Yang Guifei (Rebekka Reister) und der Eunuch Gao Lishi (Algirdas Bagdonavičius). Foto: Chris­tian Enger
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„… ohne Scheu vor Direktheiten“– Uraufführung von Yijie Wangs „Yang Guifei – die Konkubine des Kaisers“ in Hamburg

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Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von fünf Instituten der Hamburger Musikhochschule brachte eine Opern-Uraufführung zustande, die als ein ephemerer Glücksfall angesehen werden darf. Hinter und neben mir saßen Besucher, die bereits alle vier Vorstellungen der neuen Oper besucht hatten.

Yijie Wang, 1983 in China geboren, war zunächst ausschließlich mit europäischer Musik aufgewachsen, bis ihr während ihres Studiums dann auch die traditionelle chinesische Musik begegnete. Im Rahmen des neuen Hamburger Promotionsstudiengangs Dr. scientiae musicae, komponierte sie – als praktischen Teil ihrer Dissertation – nach eigener Aussage in den vergangenen zwei Jahren kontinuierlich und im letzten Jahr acht Stunden täglich an der abendfüllenden, vieraktigen Oper über eine frühe, starke Frau im alten China des achten Jahrhunderts. Yang Guifei ist im gesamten asiatischen Raum überaus populär, wird ebenso als Schönheit, wie als politische Aktivistin verehrt.

Kaiser Xuanzong hatte die schöne Yang, Ehefrau seines 19. Sohnes, beim Bad beobachtet, sich in sie verliebt und sie zur Scheidung veranlasst – was damals als Blutschande galt. Der Skandal dauerte an, nachdem der Kaiser sie im Harem seiner rund 3.000 Konkubinen zur wichtigsten Nebenfrau („Guifei“) erhoben hatte. In seiner Liebe zu ihr soll er seine Staatsgeschäfte so vernachlässigt haben, dass es zu einer Revolte kam, in deren Folge Yang für alle Katastrophen verantwortlich gemacht und getötet wurde. Aber der Mythos berichtet, dass sich der Kaiser und seine an den Himmel versetzte Lieblings-Nebenfrau auch nach deren Tod einmal im Jahr, am Tag der Liebenden, wieder begegnen durften.

Diese Geschichte ist häufig literarisch bearbeitet worden und auch Thema eines populären asiatischen Musicals. Sören Ingwersen hat sie in ein vieraktiges, sprachlich reizvolles Libretto verpackt. Sexy und ohne Scheu vor Direktheiten, dabei orientalisch einfühlsam, mit Liebe zum Detail und doch stringent, spult sich darin Yangs Leben als Guifei in gut 90 Minuten ab.

Der Regisseur Dominik Neuner wird demnächst als Hamburger Regieprofessor emeritiert. Zum Abschied inszenierte er mit souveräner Könnerschaft selbst in jenem Forum, das seit der Gründung des Studiengangs für Musiktheaterregie durch Götz Friedrich angehenden Regisseuren glänzende Möglichkeiten bietet, neue Lesarten auf einen professionellen Prüfstand zu hieven und umzusetzen.

Neuners eigenes durchaus großstädtisches Bühnenbild, erlaubt durch Umbau weniger Elemente die Verwandlung vom Badehaus zum Harem und zu weiteren kaiserlichen Räumlichkeiten. Die unterschiedlichen Ansätze der Kostümbildnerinnen Astrid Klein und Imke Ludwig, die im reich ausgestatteten und ausführlichen Werkjournal (wenn auch leider ohne Abdruck des Librettos!) deutlich werden, finden auf der Bühne zu einer stimmigen Synthese.

Yijie Wangs Komposition fasziniert bereits ab den Einleitungstakten des 17-köpfigen Orchesters. Ein Motiv, wie das Fallen eines Balles, kehrt im Verlauf der Partitur immer wieder, und auch die strukturelle Wiederkehr ihrer weiteren Themen im Fluss der musikalischen Entwicklung sind plastisch und eindrucksvoll. Klanglichen Bezug zur chinesischen Vorlage bietet die Erfindung eines Schattens der Yang (Ying Ma), die als Alter Ego der Hauptperson auch einmal einen Satz in chinesischer Sprache singt. In ihrer Musiksprache verschmelzt die Komponistin Elemente von Beijing-Oper und Tanzmusik aus der Tang-Dynastie und integriert auch ihre thematisch und inhaltlich verwandten, zuvor bereits uraufgeführten Werke „Himmelssprung“ und „Mondmärchen“. Der Klangeindruck scheint für europäische Operngewohnheiten durchaus vertraut und bietet insgesamt weniger Exotismen als die Fernostopern von Puccini, Mascagni und d’Albert im frühen 20. Jahrhundert.

Der Musikalisierung der Handlung kommt entgegen, dass Yang und der Kaiser auch Künstler sind. Aber Yangs Mitwirkung als Tänzerin in einem Theaterstück, das anlässlich ihrer Vermählung mit dem Kaiser am Hof mit ihr aufgeführt werden soll, sehen Librettist und Komponistin kritisch.

Yang, die gebärunfähige, liebesstarke Frau, präsentiert dem Kaiser ihre nackten Brüste, sobald ihr klar wird, dass ihr Weg sie an dessen Seite führen wird. Viel stärker realpolitisch handelnd als der sie liebende Kaiser, macht sie ihren Vetter Yang Guozong (Axel Wolloschek) zum kaiserlichen Zensor und adoptiert als Stiefsohn den deutlich älteren General An Lushan (Ronaldo Steiner).

Es ist bekannt, dass Kastraten bei der Frauenwelt stets in hoher Gunst standen, da sie Lustgewinn ohne unerwünschte Folgen garantierten, denn trotz ihrer Zeugungsunfähigkeit konnten sie Geschlechtsverkehr ausüben. Diese Erkenntnis hat der Librettist in die Opernhandlung übernommen, wo der Eunuch Gao Lishi, kraftvoll verkörpert vom Counter Algirdas Bagdonavicius, der schönen Kurtisane Yang bei einem längeren Ausbleiben des Kaisers seine Liebesdienste anbietet. Doch Yang, die dem Wein über Gebühr zuspricht, verweigert sich dem Eunuchen und löst so die tödliche Intrige gegen sich aus. Anstelle des ihr angebotenen Dolches lässt sie sich mit dem Schal des Eunuchen erdrosseln.

Sehr sängerfreundlich komponiert, gewinnt Rebekka Reister in der Titelpartie nicht nur das Herz des Kaisers, den Jianeng Lu als liebenden Träumer und Künstler mit gesund gewachsenem Tenor verkörpert.

Ein dreizehnköpfiger, mit einer Reihe asiatischer Studenten besetzter Projektchor gestaltet mit eindrucksvollem Flüster-Piano die Kurtisanen und überzeugt auch in einer Tanzszene, die beim Übergang vom dritten zum vierten Akt das Chaos von inneren Aufständen und äußeren Feinden des Großreichs schildert.

Das Projekt-Orchester der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, angereichert um chinesische Verwandte europäischer Instrumente – Erhu und Jinghu (Geigen), Pipa (Laute) und Guzheng (Zither) – wird von der Dirigentin Bettina Rohrbeck schwungvoll geleitet. Die Transparenz dieses Klangkörpers schafft – auch ohne die auf unterschiedliche Flächen eingesetzten Über- und Untertitelungen – große Textverständlichkeit der Solisten.

Das gemischte deutsch-asiatische Publikum, untersetzt mit Opernfreunden, die zum Teil von weither angereist waren, dankte allen Beteiligten, darunter der anwesenden Komponistin und dem Librettisten, mit großem Jubel.

Weitere Vorstellungen: 2. März; Gastspiele im Theater Kiel: 26. und 30. April 2014.

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